Die Haut am Markt. Will Berthold

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Die Haut am Markt - Will Berthold

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zwei Panoramascheiben, so daß der Arzt das Licht im Rücken hatte, das voll auf den eintretenden Besucher fiel. Der Raum war überheizt wie ein Treibhaus, fast kahl, gräßlich hell, aufdringlich sauber; die wenigen Möbel verbreiteten in dieser Hitze eine paradoxe Kälte: schwitzender Frost, dachte ich, das Betriebsklima eines gemütlosen Seeleningenieurs.

      Der Professor kam mir entgegen. Er hatte die Hände in den Taschen seines Kittels und gab sich geschäftig.

      »Ich bin ein alter Mann«, sagte er – es klang, als ob seine Stimme von einem Tonband käme, »ich brauche Wärme. Hoffentlich stört Sie die Temperatur nicht.«

      »Nein«, erwiderte ich. Das Unbehagen spürte ich klebrig an den Händen.

      Der Arzt wies mir einen Sessel an, in dem ich mir vorkam wie in einem Zahnarztstuhl, setzte sich in seinen Schattenwinkel und zündete sich eine Zigarette an.

      »Ich hatte gerade einen interessanten Fall«, erzählte er. »Korsakoffsche Psychose, hoffnungslos –. Wissen Sie, Alkoholismus ist nicht nur ein Fachgebiet der Psychiatrie, sondern auch ein Spezialthema von mir. Apropos: kann ich Ihnen einen Kognak anbieten?«

      »Bitte.«

      Er holte zwei Gläser und eine Flasche aus der Schreibtischschublade, schenkte ein, trank mit verblüffender Schnelligkeit aus, füllte sich nach und lächelte sarkastisch.

      »Es ist merkwürdig«, sagte er mit seiner knarrigen Stimme, »immer wenn ich so ein Alkoholwrack sehe, spüre ich ein Bedürfnis zu trinken.« Er stand auf und ging im Raum hin und her, mit großen, fast abgezirkelten Schritten. »Tja. Wir Psychiater gelten mitunter selbst als komisch. Sie kennen doch den Witz: Der Unterschied zwischen einem Irren und einem Arzt besteht darin, daß der eine die Gitterstäbe von innen, der andere sie von außen sieht.«

      Er lachte heiser und goß den nächsten Kognak hinunter. Entweder ist mit Sybille überhaupt nichts los, dachte ich, oder es ist sehr schlimm. Ich haderte einen Moment mit Gerd, der mir diesen senilen Schwätzer als behandelnden Arzt eingeredet hatte.

      Professor Lex setzte sich wieder an seinen Schreibtisch, der überdimensioniert war, in der Proportion verzeichnet, wie alles in diesem Raum. Ich fuhr mit dem Handrücken über die Stirn. Der Arzt übersah es, dann räumte er die Flasche weg.

      »Was Ihre Frau betrifft«, begann er ohne Übergang, »so bin ich ja von Doktor Frey einigermaßen informiert. Trotzdem muß ich Ihnen einige Fragen stellen. Wann fiel Ihnen zuerst die Veränderung ihres Benehmens auf?«

      »Vor fünf, sechs Jahren«, antwortete ich.

      Er blickte auf einen Zettel mit Notizen.

      »Da war Ihre Frau also sechsundzwanzig?«

      »Ja.«

      »Dabei handelte es sich nur um temporäre Erscheinungen, sagen wir: Trübung auf Zeit?«

      »Ja.«

      Professor Lex sah durch mich hindurch, als wäre ich das Objekt seiner Demonstration und hinter mir säßen seine Studenten.

      »Danach war der Zustand der Patientin wieder annähernd normal? Aber die Anfälle kamen wieder, in kürzeren Abständen?«

      »Ja.«

      »Wie die Szene, die ich gestern abend miterlebte?«

      »Sie war die erste vor Zeugen.«

      Er nickte, sah mich an, mit dem begütigenden Blick des Zahnarztes, der zum Bohrer greift.

      »Selbstverständlich kann ich noch nichts Endgültiges sagen«, versetzte er, »doch steht für mich die Diagnose fest.«

      Ich spürte mein Hemd am Körper. Ich sah sehnsüchtig zum Fenster hin, in einer Art, daß er es merken sollte.

      »Ihre Frau ist eine schizoide Persönlichkeit«, sagte er sachlich, unterkühlt, »und zwar leider durch Veranlagung.«

      Es war nicht mehr heiß, es war kalt, ich spürte die absurde Trockenheit schwitzender Haut.

      »Kennen Sie die Familie?«

      »Sybilles Vater ist im Krieg gefallen«, entgegnete ich widerwillig, »die Mutter starb kurz danach in einem Sanatorium. An Arteriosklerose, wie ich hörte. Ich habe mich nicht weiter erkundigt.«

      »Aber ich«, versetzte der Professor hart. »Ihre Schwiegermutter ist zwar an Herzinfarkt gestorben, aber in einer psychiatrischen Krinik. Sie war dort wegen eines akuten Schubs von Katatonie interniert.«

      Ich verstand es nicht, begriff nicht die desperate Endgültigkeit dieser Feststellung. Ich saß in meinem Zahnarztstuhl, dessen weiche Bequemlichkeit mich in dieser Situation anwiderte; ich wartete, bis die Spitze seines Bohrers den Nerv berührte. Plötzlich spürte ich die Zuckung. Auf einmal hatte ich begriffen. Schizophrenie. Wahnsinn. Vererbbar.

      »Dann nehmen Sie also an«, es klang, als spräche ich mit vollem Mund, »daß Sybille an einer geistigen Störung leidet?«

      »Mein Lieber«, erwiderte der Professor väterlich-überlegen, »was heißt geistiger Defekt in diesem neurotischen Zeitalter? Wir alle leiden an seelischen Störungen und tragen unsere Komplexe in den Aktentaschen mit uns. Eine psychiatrische Untersuchung ergab, daß in New York nur achtzehn Komma sechs Prozent der Bewohner geistig völlig gesund seien. Als Arzt sage ich Ihnen, daß sich gerade dieser Bruchteil, der sich total normal wähnt, aus den größten Narren addiert.«

      Er lachte, stand auf dabei. Er spielt Kabarett auf meine Kosten, dachte ich und entschied mich endgültig für einen anderen Arzt.

      »Schizoid in einer harmlosen Form sind wir vielleicht fast alle. Ihre Frau ist es in einem schon schlimmeren Stadium. Ich will Ihnen gar nicht verhehlen, daß es noch ärger werden kann. Ich darf mich allgemeinverständlich ausdrücken: Gewisse Symptome deuten auf eine Art Verfolgungswahn hin; das läßt auf eine Katatonie schließen.«

      Im spontanen Reflex dachte ich nur an Abwehr: sag, was du willst, versperrte ich mich, es stimmt kein Wort! Du bist ein böser alter Mann mit einem Pferdekopf, der sich produzieren muß. Ich werde noch fünf Minuten Höflichkeit in diese psychologische Folterkammer investieren. Dann gehe ich stante pede zu einem anderen Arzt, der dich Zug um Zug, Wort für Wort widerlegen und deine wortreiche Eitelkeit seinerseits als pathologischen Geltungswahn entlarven wird.

      »Das wiederum deutet auf eine bedenkliche Inklination zum Suicid hin; außerdem ließe sich vielleicht die Fremdgefährdung nicht ausschließen.«

      Konjunktiv, dachte ich, Möglichkeitsform. Inklination: Neigung. Suicid: Selbstmord. So fein sind diese sterilen Unmenschen, so weit abstrahieren sie das Leid, daß sie es unter der wissenschaftlichen Halbwelt latinisierter Formeln ansiedeln.

      »Ich bin ein alter Mann«, sagte er weiter, »es liegt mir nicht mehr, um einen Befund herumzureden. Ich bin der Diagnosen mit Zuckerguß müde. Zwar können wir mit Mitteln der modernen Medizin die äußere Erscheinungsform dieser Krankheit eindämmen: heilen können wir sie nicht.«

      Er ging an das Fenster und sah hinaus. Ich zwang mich, in ihm einen Schauspieler in der Pose des Forschers zu sehen.

      »Das ist der Konkurs der Wissenschaft. Wir können heute die Atomkraft freilegen, die Schallgeschwindigkeit überrunden und vielleicht

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