Wir Sklaven von Suriname. Anton de Kom

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Wir Sklaven von Suriname - Anton de Kom

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Früher hatte das ehemalige Hauspersonal in Sklavenbaracken hinter den Herrenhäusern gehaust. Frimangron bedeutet »Erdboden der freien Menschen«. An den langen Sandstraßen zimmerten sich die neuen Bürger einfache Häuschen und übten Handwerksberufe aus. Die Pontewerfstraat war die wichtigste Straße des Viertels. Aus den kleinen Werkstätten klangen das Sägen der Zimmerleute und das Klopfen und Ticken von Schuhmachern, Gerbern und Blechschmieden. Die Frauen arbeiteten als Wäscherinnen und Büglerinnen für die weiße und hellhäutige Elite, die in der niederländischen Kolonie das Sagen hatte. In dieser Straße, die seit Anfang der achtziger Jahre nach Anton de Kom benannt ist, steht sein Geburtshaus.

      Auf dem Gehweg, auf dem der alte Mann sitzt, wird auch Anton de Kom in seiner Jugend regelmäßig Zeit verbracht haben. Sein Vater war noch Sklave gewesen, seine Großmutter erzählte ihren Enkelkindern »vom Leid der Sklaverei«, wie de Kom es in seiner scharfen Klageschrift Wir Sklaven von Suriname schreibt. Er publizierte das Buch 1934, ein Jahr, nachdem die Kolonialverwaltung ihn aus Suriname verbannt hatte.

      De Kom war ein guter Schüler und hatte schon in jungen Jahren die Fähigkeit entwickelt, Unrecht nicht als Selbstverständlichkeit anzusehen. Die Kinder in seinem Viertel mussten meist barfuß laufen, sie waren in Lumpen gekleidet und trieben sich auch nach der Dämmerung draußen herum. Zwar gab es eine Schulpflicht, doch die wenigsten Eltern hatten die Mittel, das Schulgeld aufzubringen, geschweige denn, anständiges Schuhwerk und Schulkleidung zu kaufen. Es kostete die Eltern schon größte Mühe, ihren Kindern täglich etwas Reis mit gesalzenem Fisch aufzutischen. Wer die Gelegenheit bekam, stellte sein Kind als kweekje zur Verfügung: bei einer gut situierten Familie gegen Kost und Logis das Haus fegen, den Garten rechen und Wassereimer schleppen. Kinderarbeit war üblich. Anton de Kom hatte es vermutlich ein wenig besser. Seinem Vater gelang es als Kleinbauer, mit der Landwirtschaft ein halbwegs gutes Auskommen zu haben. Zudem arbeitete er als Goldgräber. Der junge Anton muss allerdings gelegentlich auf dem imposanten Oranjeplein gewesen sein, in dieser anderen Welt im Herzen der Stadt, wo vor dem vornehmen Gouverneurspalast das Denkmal von Königin Wilhelmina stand, auch wenn sie ihre Kolonie niemals besuchte. Unter den Tamarinden am Platz flanierte das wohlhabende Bürgertum, herausgeputzt in Kostümen oder langen weißen Kleidern. In Frimangron waren alle schwarz. Und daran hat sich bis heute nicht viel geändert.

      Eines Sonntagmorgens fahre ich über den Anton Dragtenweg, den hübsche Häuser mit Aussicht auf den Suriname-Fluss säumen, zum Viertel Clevia. Seite an Seite stehen dort Bruynzeelhäuser mit kleinen Vor- und Hintergärten. Ich parke vor einem frisch geschmirgelten Zaun. »Ich streiche gerade die Haustür«, hatte Cees de Kom am Telefon ein wenig atemlos gesagt. Anton de Koms 91-jähriger Sohn wirkt noch immer sehr rege. Er lässt mich vorangehen, die Treppe hinauf zum Balkon. Seine ein Jahr jüngere Ehefrau schüttelt mir energisch die Hand. Cees de Kom und ich haben etwas gemeinsam, wir sind beide Halbblüter. Beide haben wir einen schwarzen Vater und eine weiße Mutter. Mulatte war einst der korrekte Terminus für Menschen wie uns. Immer wenn ich Cees treffe, wie bei der Premiere des Films über das Leben seines Vaters, versäumt er es nicht, mich auf diese Gemeinsamkeit hinzuweisen. Wenn etwas sein Leben bestimmt hat, dann dass er als halb angesehen wird.

      Cees wurde 1928 geboren. Er war vier Jahre alt, als die Familie in Suriname eintraf. Nach der Festnahme seines Vaters zogen am 7. Februar 1933 unzählige Demonstranten zum Gouvernement, um seine Freilassung zu fordern. Die Polizei eröffnete das Feuer. Es gab zwei Tote und zweiundzwanzig Verwundete. De Kom saß drei Monate im Fort Zeelandia ein, ausgerechnet in jener von den Niederländern erbauten Festung, in der Sklavenhalter gegen Bezahlung ihre vermeintlich unwilligen Versklavten hatten züchtigen lassen. Die grausame Folter durch den Spanischen Bock, die Peitschenhiebe, das Rädern und letztlich lebendig verbrannt zu werden: Wenn es um Körperstrafen ging, übertrafen die holländischen Kolonisatoren die englischen und französischen. Die Arrestzelle musste den Widerstandsgeist in Anton de Kom weiter angefacht haben.

      Nach seiner erzwungenen Rückkehr in die Niederlande behielt ihn der Geheimdienst im Auge. Man hielt de Kom für einen Kommunisten, auch wenn er nie Mitglied der Communistische Partij gewesen war. Er hatte größte Mühe, Arbeit zu finden. »Ich erinnere mich daran, dass mein Vater immer am Schreiben war«, sagt Cees, »mit einem Bleistift, den er aus Sparsamkeit bis zum Stummel aufbrauchte. Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, ging er in den Widerstand und schrieb für die illegale Presse. Am 7. August 1944 wurde er von der Gestapo verhaftet. In der Hoffnung, er käme zurück, saß meine Mutter stundenlang am Fenster. Aber er kam nicht. Mein Bruder und ich wurden nach Deutschland transportiert, um auf einem Bauernhof zu arbeiten. Nach unserer Rückkehr mussten wir gleich wieder aufbrechen, nach Niederländisch-Indien, um dort Ordnung und Frieden wieder herzustellen, wie der Auftrag lautete. Dabei hatte mein Vater doch mit den indonesischen Freiheitskämpfern sympathisiert! Ich schrieb ein Bittgesuch an den Verteidigungsminister, um nicht fort zu müssen. Nach der Befreiung hatte meine Mutter noch immer nichts von meinem Vater gehört. Die letzte Nachricht war, dass er sich im deutschen Konzentrationslager Neuengamme befand. Ohne Neuigkeiten von ihm wolle ich sie nicht allein lassen, schrieb ich, aber damit hatte der Staat keine Eile. Erst 1950 kam das offizielle Schreiben: Mein Vater war am 24. April 1945 im Konzentrationslager gestorben.« Cees weist in das Vorderzimmer. »Und auf dem Stuhl dort ist meine Mutter gestorben, sie schlummerte einfach ein. Wir wohnten damals schon Jahre in Suriname. Und sie verbrachte die Ferien bei uns.« Vor einiger Zeit fand er es an der Zeit, seine Memoiren zu schreiben. »All der Ballast, den man mit sich herumschleppt.« Er reicht mir einen dicken Packen Papier, eingefasst in ein Ringbuch. Twee culturen, één hart (Zwei Kulturen, ein Herz) lautet der Titel, darunter prangt die Zeichnung von zwei ineinander verschlungenen Kreisen: die Eheringe seiner Eltern.

      »In den Niederlanden habe ich meinen Namen einfach mit K geschrieben. Hier habe ich Cees daraus gemacht, das klingt beschwingter, weniger holländisch, denn in den Niederlanden fand ich nichts von meiner surinamischen Kultur wieder.« Als Junge saß er einmal mit seinem Vater in der Straßenbahn, als eine Frau auf Anton de Kom deutete und zu ihrem Kind sagte: »Schau, das ist der schwarze Mann. Pass bloß auf, sonst kommt er dich bald holen.« Es gab auch Kinder, die es auf Cees abgesehen hatten: »Kauf dir bloß keine Seife, du bleibst eh schmutzig«, riefen sie. Und später, immer noch in den Niederlanden, als er für die PTT arbeitete, den Staatsbetrieb für Postwesen, Telegrafie und Telefonie, und mit Kollegen über kulturelle Unterschiede sprach, sagte ein Niederländer unbeholfen: »Wenn ich in Groningen bin, habe ich für die Menschen dort auch einen fremden Akzent.« Bei der Umbettung der sterblichen Überreste seines Vaters am 18. August 1960 auf den Ehrenfriedhof für Kriegsgefallene in Loenen wurden alle Namen vorgelesen, nur der von de Kom nicht. Die Erklärung: ein technischer Defekt. »Immer diese hinterhältigen Gemeinheiten«, seufzt Cees. Immer der Unterlegene sein, nicht verstanden werden – darauf hatte er keine Lust mehr. Sechs Jahre später fuhr er mit seiner Familie auf der MS Oranje Nassau in das Land seines Vaters. Dieselbe Reise, die seine Eltern etwa dreißig Jahre zuvor unternommen hatten. Doch auch in Suriname zeigte sich, dass das Eigene nicht immer genügend geschätzt wird. »Fast alle Bücher, die man hier liest, kommen aus den Niederlanden.« Die Familie ist über eine Stiftung Eigentümerin von Anton de Koms Geburtshaus. Die Mittel fehlen, um es zu restaurieren. Die Behörden kümmert es nicht.

      Die niederländische Knute hinter sich zu lassen, das stand de Kom vor Augen, als er sein zum Klassiker gewordenes Buch geschrieben hat: »Kein Volk kann aber zu voller Blüte gelangen, das erblich mit einem Minderwertigkeitsgefühl behaftet ist. Deshalb möchte dieses Buch die Selbstachtung der Surinamer wachrütteln.« (S. 60) 2020, dem Jahr, in dem Suriname seit 45 Jahren unabhängig ist, haben diese Worte nichts von ihrer Kraft eingebüßt. Mit Wir Sklaven von Suriname war de Kom seiner Zeit weit voraus. Nicht nur für die Surinamer, auch für die Niederländer. Das Land, über das die Niederländer über 300 Jahre regiert haben, bildete lange einen blinden Fleck in der Kolonialgeschichte. Erst seit ein paar Jahren nimmt Suriname einen bescheidenen Platz im kollektiven Bewusstsein ein. Eine Veränderung, die nur ruckweise verläuft. Und die Geschichte kommt nicht ohne Auswüchse daher. Als ich in den 1970er-Jahren in Amsterdam aufwuchs, schrieb ich in meiner Kinderhandschrift einen Brief an die Redaktion meiner Lieblingsmädchenzeitschrift Tina. Ich war zwölf Jahre alt. Nach einem Kompliment

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