Wir Sklaven von Suriname. Anton de Kom

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Wir Sklaven von Suriname - Anton de Kom

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Jeden Tag suchte ich im Briefkasten nach einer Antwort. Dass ich sie nie erhielt, traf mich tief.

      Das Werk von Anton de Kom beeindruckt nicht nur durch seine enorme Aussagekraft, sondern auch durch den Mut, mit dem er Missstände zur Sprache gebracht hat. Es ist eine Anklage gegen den nüchternen Unternehmergeist, die Kleinkrämermentalität, mit denen man ein Land und sein Volk ausgequetscht hatte. Es ist keine schöne Geschichte, aber es ist sehr wohl unsere gemeinsame Geschichte. Die holländischen Vorfahren soffen, hurten und folterten in der Kolonie nur so drauflos, auch aus Langeweile und Frustration wegen des öden Plantagenlebens. Das Ausmaß dieser Dekadenz war im eigenen puritanischen Vaterland undenkbar. De Kom, der in Suriname Geschichtsunterricht über die berühmten niederländischen Seeräuber wie Piet Hein und Michiel de Ruyter erhielt und der die Namen der Gouverneure, die seine afrikanischen Vorfahren in den Schiffsbäuchen verschleppt hatten, auswendig lernen musste, versuchte, tief in die Psyche der Sklavenhalter einzudringen. Er ist ihnen immerzu auf den Fersen und rückt ihnen auf den Pelz, ohne auch nur einen Moment den Druck herauszunehmen. Man kann sich de Kom schreibend vorstellen, weit vorgebeugt auf der Stuhlkante, den Bleistiftstummel auf das Papier drückend. Seine Sprache ist geschmeidig, essayistisch und manchmal lyrisch, mit erstaunlichen Sprachbildern. Von der Handwerkskiste eines Schriftstellers Gebrauch machend, haucht er seinem Werk Farbe und Gefühl ein. Und nirgends vergisst er seinen Hintergrund, wie es treffsicher in einem Odo, einem surinamischen Sprichwort, zum Ausdruck kommt: Im Schnabel eines Vogels kann die Kakerlake ihr Recht nicht geltend machen.

      Wann hat das Verschweigen dieser Seite der Geschichte eigentlich angefangen? Wer davon sprach, konnte lange Zeit mit einer schulmeisterlichen Antwort rechnen, wie etwa: »Naja, überlege mal, was die Franzosen und die Briten getan haben, und sogar die Afrikaner!« Wie die Ausrede eines Käufers von Diebesgut. Einmal ertappt, weist dieser eifernd auf den Hehler und den Dieb: Nicht ich, sie! Und doch: Wo keine Nachfrage, da kein Angebot. Hier und da werden Denkmäler errichtet, die an das Leid erinnern. Man bringt erklärende Texte zu in Ungnade gefallenen Kolonialherren an. Sich aber umzudrehen und dem eigenen Monster in die Augen zu starren, das bereitet noch immer Mühe.

      Wir Sklaven von Suriname hält uns auch heute noch einen Spiegel vor. Das Buch verbreitet die Botschaft von Macht versus Minderheit, von Kapital versus Armut. Spielend leicht lassen sich Parallelen zur Gegenwart ziehen: die miserable Situation von Flüchtlingen im Westen, auch in den Niederlanden. Chinesen, die mit einem Kartell im Nacken von früh bis spät in Geschäften stehen. Drogenbanden, die in Lateinamerika Bürger erpressen, Frauenhandel, Kinderarbeit in asiatischen Textilfabriken. Es sind immer Systeme, die den Rahmen schaffen, aus denen Individuen ihren Vorteil ziehen. Unterdrückung gründet sich auch ausdrücklich auf Stereotypen: Wir gegen die unbekannten, fremden Anderen. Der Vormarsch rechter Populisten in der Welt basiert zu einem wesentlichen Teil auf diesem Wir-Sie-Denken. Der andere ist faul oder kriminell oder beides. »Wollen wir mehr oder weniger Marokkaner?«, fragt Geert Wilders. Noch entschiedener klingt die Parole: Sei normal oder hau ab. America first, aber wem gehört Amerika eigentlich? Aus dieser Position spricht ein vermeintlicher Anspruch auf Eigentum. De Kom durchschaute diese Sichtweise nur allzu gut. Hinter dem anonymen Wort Sklave fügte er zwischen zwei Anführungszeichen »unsere Väter« hinzu. Unsere Väter, nicht einfach nur namenlose Wesen.

      Welche Aktivisten in der Welt gibt es nach Anton de Kom, Mahatma Ghandi, Martin Luther King, Rosa Parks, Malcolm X und Nelson Mandela, die für die als selbstverständlich angesehenen Menschenrechte kämpfen? Sind die Appelle laut genug? Anton de Kom deckte die Mechanismen hinter dem Phänomen der Unfreiheit auf. Hinter der Armut.

      Auf dem Gehweg vor der berühmtesten Hütte von Paramaribo lässt die Blume in der Hand des alten Mannes wegen der Hitze ihren Kopf hängen. Er steht auf und schlurft mit den zu großen Badelatschen die Straße hinunter.

       Judith de Kom

       VORWORT ZUR DRITTEN AUFLAGE (1981)

      »Die Wahrheit facht den Sturm gegen sich an,

      der die Saat in die Weite trägt.«

       Tagore

      »Kein Volk kann aber zu voller Blüte gelangen, das erblich mit einem Minderwertigkeitsgefühl behaftet ist. Deshalb möchte dieses Buch die Selbstachtung der Surinamer wachrütteln«. Dies schreibt Anton de Kom in dem Kapitel »Die Geschichte des Vaterlands«. (S. 60)

      Er ahnte, dass das surinamische Volk, belastet mit dem Kolonialerbe, einen langen und schweren Weg vor sich hatte, um sich zu einer vollwertigen Nation zu entwickeln.

      Wir Sklaven von Suriname ist zum Teil ein politischer Kommentar zur Geschichte Surinames und zum Teil ein Schrei nach Gerechtigkeit. Das Buch ist, und das ist vielleicht das Wichtigste, von einem Landsmann geschrieben, der aufgrund seiner abweichenden Auffassungen die koloniale Unterdrückung am eigenen Leib erfahren musste.

      Anton de Kom wird 1898 in Paramaribo geboren.

      »Er war ein ruhiges Kind. Als Junge ein regelrechter Bücherwurm«, erzählen Verwandte.

      Sein Vater ist Goldsucher. Nach dem Rückgang der Goldgewinnung wendet er sich der Landwirtschaft zu. Die Familie besteht aus sechs Kindern, drei Jungen und drei Mädchen. Anton ist der älteste Sohn. Er besucht die Paulusschool in Paramaribo, eine Grund- und Sekundarschule, was damals, 1910, eine Ausnahme ist.

      Zeugnisse besagen, dass er ab 1916 als Büroangestellter bei dem Gerichtsvollzieher H.C. Cooke und drei Jahre bei den Balata Compagnieën Suriname en Guyana angestellt ist.

      Letztgenannte Arbeitsstelle bringt ihn in Kontakt mit den Balata-Bleeders. Dies ist auch seine erste Konfrontation mit der Ausbeutung. Ein Arbeiter, der ihn gekannt hat, sagt: »Er saß im Büro und kämpfte für uns. Er sorgte dafür, dass wir den Lohn erhielten, der uns zustand.«

      Im Juni 1920 fährt de Kom in die Niederlande und tritt freiwillig in den Dienst des 2. Husarenregiments ein. Nach nur einem Jahr verlässt er das Militär und findet eine Stelle als Büroangestellter. Im Januar 1926 heiratet de Kom Petronella C. Borsboom. Dieser Ehe entstammen drei Söhne und eine Tochter.

      Als einer der wenigen Schwarzen in den Niederlanden kommt er in den 1920er-Jahren mit den nationalistischen Studenten aus dem heutigen Indonesien in Berührung, wie Mohammed Hatta, der später bei der politischen Bewusstwerdung und Befreiung Indonesiens eine so wichtige Rolle spielen wird. Auch durch sie entwickelt sich de Koms politisches Bewusstsein. Der Aufstieg der Black-Power-Bewegung in Amerika, unter anderem mit dem Auftreten Marcus Garveys, trägt ebenfalls dazu bei. Er kommt in Kontakt mit linken niederländischen Schriftstellern und entwickelt sich zu einem guten Redner. Er hält Vorträge über Suriname, sein Land, und gegen den Kolonialismus.

      »Ein sozial engagierter Mann, still und bescheiden, der aber heftig auf Unrecht und Ausbeutung reagierte«, sagen Menschen, die ihn gekannt haben.

      Im Dezember 1932 kehrt de Kom aus familiären Gründen in sein Vaterland zurück.

      Die soziale Situation dort ist menschenunwürdig. Seit 1920 hat sich nichts geändert: hohe Kindersterblichkeit, Unterernährung, Arbeitslosigkeit, Baracken, schlechtes Gesundheitswesen. De Kom gründet eine Beratungsstelle. Er hört sich die Klagen der Menschen an und spornt sie an, solidarisch zu sein und sich zu organisieren.

      Dies alles wird von der Kolonialmacht als Bedrohung gesehen. Sie greift ein und verhaftet de Kom.

      Am 7. Februar 1933 ziehen hunderte Kreolen, Hindustani und Javaner zum Generalanwalt, um die Freilassung des Mannes zu fordern, der für ihre Rechte eintritt. Unerwartet eröffnet die Polizei das Feuer.

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