Die bekanntesten Werke von Robert Louis Stevenson. Robert Louis Stevenson
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Mit dem unendlich feinen Takt der Jugend mied Archie von jener Stunde an das Thema. Das war vielleicht schade. Hätte er nur gesprochen – sich frei ausgesprochen – sich selbst in einen Strom von Worten aufgelöst (wie es die Jugend liebt und das ihr gutes Recht ist) – es hätte vielleicht nie eine Geschichte derer von Hermiston zu schreiben gegeben. Jedoch bereits der Schatten einer Drohung von Lächerlichkeit genügte; aus der milden Schärfe jener Worte las er ein Verbot, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß Glenalmond es auch als solches beabsichtigt hatte.
Diesen Greis ausgenommen, besaß der Junge keinen Vertrauten oder Freund. Ernst und feurig legte er den Weg durch Schule und Universität zurück und bewegte sich unter einer Schar von Gleichgültigen in dem unsichtbaren Panzer seiner Schüchternheit. Er wuchs heran, ein schöner Mensch, mit offenem, sprechendem Antlitz und anmutigem, jugendlichem Wesen; er war klug, errang sich Auszeichnungen, glänzte im »Speculative Club«. Von Rechts wegen hätte er den Mittelpunkt eines Freundeskreises bilden sollen; allein etwas, das teils seiner Mutter Feinfühligkeit, teils seines Vaters Strenge war, hielt ihn allen fern. Es ist eine Tatsache – und obendrein eine äußerst sonderbare –, daß Hermistons Sohn unter seinen Altersgenossen als ein echter Sproß vom alten Stamme galt. »Sie sind ein Freund Archie Weirs?« bemerkte einst jemand zu Frank Innes; und Innes antwortete mit seiner üblichen Frivolität und mit mehr als gewöhnlicher Einsicht: »Ich kenne Weir, aber mit Archie hatte ich noch nie das Vergnügen.« Niemand kannte Archie, eine Krankheit, die vornehmlich einzigen Söhnen eigen ist. Er segelte unter eigener Flagge, und keiner achtete darauf; es war, als sei er in eine Welt verpflanzt, wo selbst die Hoffnung auf Intimität verbannt war, und er blickte um sich: auf das Treiben seiner Kommilitonen und vorwärts in die Zukunft und sah nichts als banale Tage voll banaler Bekanntschaften, ohne Hoffnung und ohne Interesse.
Als die Zeit verstrich, fühlte sich der alte, zähe Sünder immer mehr zu dem Sohne seiner Lenden und dem einzigen Stammhalter des neubegründeten Geschlechts hingezogen, und das mit einer Weichheit des Gefühls, die er selbst kaum zu glauben vermochte und die auszudrücken er sich völlig außerstande sah. Mit einem Gesicht, einer Stimme und einem Wesen, in vierzig Jahren geschult, Schrecken und Widerwillen einzuflößen, wird Rhadamanth vielleicht groß, niemals jedoch liebenswürdig erscheinen. Daß er Archie zu gewinnen versuchte, ist eine Tatsache, jedoch nicht gering genug zu bewerten, so unauffällig war der Versuch, so stoisch wurde sein Scheitern ertragen. Eiserne Naturen wie die Hermistons dürfen kein Mitgefühl beanspruchen. War es ihm mißlungen, seines Sohnes Freundschaft, ja auch nur dessen Duldung zu erringen – nun, so mußte er seinen Weg aufwärts über die mächtige, öde Treppenflucht seiner Pflicht allein, ungestützt, aber auch unverzagt fortsetzen. Vielleicht hätte er seinen Beziehungen zu Archie ein wenig mehr Freude abgewinnen können, das sah er zu Momenten ein; aber Freude war in der seltsamen Chemie des Lebens lediglich ein Nebenprodukt, auf das nur Narren rechneten.
Schwieriger ist es, Archies Standpunkt verständlich zu machen, da wir inzwischen alle erwachsen sind und die Tage unserer Jugend vergessen haben. Er machte auch nicht den leisesten Versuch, diesen Mann zu verstehen, mit dem er beim Frühstück und beim Abendessen beisammensaß. Scheu vor Schmerz, Gier nach Genuß – das sind die beiden einander ablösenden Pole der Jugend; und Archie neigte mehr zu dem ersteren. Der Wind blies kalt aus der einen Richtung – er kehrte ihr den Rücken, blieb so wenig wie irgend möglich in seines Vaters Gesellschaft und wandte, wenn dort, den Blick, soweit der Anstand das erlaubte, von seines Vaters Gesicht. Viele Hunderte von Tagen spielte das Lampenlicht bei der Tafel über diesen beiden Gesichtern – Mylords, gerötet, finster, geringschätzig; Archies, voll potentiellen Lebens, das jedoch in dieser Gesellschaft stets gedämpft und wie unter einem Schleier erglänzte; vielleicht gab es in der ganzen Christenheit keine zwei Wesen, die einander so radikal fremd waren. Der Vater sprach entweder mit großartiger Einfachheit nur von dem, was ihn selbst interessierte, oder bewahrte ein ungekünsteltes Schweigen. Der Sohn zerbrach sich währenddessen den Kopf nach irgendeinem ganz sicheren Thema, das ihm erneute Beweise von Mylords eingeborener Grobschlächtigkeit oder restloser Inhumanität ersparen möchte. Dabei betrat er die Wege der Unterhaltung zimperlich gleich einer Dame, die auf einer Nebengasse ihre Röcke hochrafft. Machte er einen Mißgriff und floß Mylord über von verletzenden Reden, so straffte sich Archies Gestalt, seine Stirn verfinsterte sich, sein Anteil an dem Gespräch erstarb; Mylord dagegen fuhr getreulich und unbekümmert fort, vor seinem schweigenden und beleidigten Sohne sein schlimmstes Selbst zu entbreiten.
»Nun, der ist ein armer Teufel, der nicht auch einen guten Tag zu genießen versteht«, pflegte er am Schluß solch einer nachtmahrähnlichen Unterhaltung zu bemerken. »Aber ich muß jetzt wieder an meinen Pflug!« Und er zog sich, wie gewöhnlich, in sein Hinterzimmer zurück, während Archie zitternd vor Feindseligkeit und Verachtung in die Dunkelheit und auf die Straße hinausstürzte.
3
Betrifft das Hängen von Duncan Jopp
Eines Tages im Jahre 1813 verirrte sich Archie durch Zufall in den Kriminalgerichtshof. Der diensttuende Beamte schaffte dem Sohne des Vorsitzenden Platz. Dort vor den Schranken, im Mittelpunkt aller Augen, stand eine elende, gemeine Mißgeburt von einem Menschen, ein gewisser Duncan Jopp, im Kampf um seinen Kopf. Seine Geschichte, wie sie an diesem öffentlichen Ort mühsam aus ihm herausgepreßt wurde, bot ein Abbild der Schande, des Lasters und der Feigheit, kurz, des Verbrechens in seiner nacktesten Gestalt, und das Geschöpf dort lauschte ihr zeitweilig, als habe es sie begriffen – als vergäße es mitunter das Grauen seiner Umgebung und erinnere sich der Schmach, die es hierhergebracht. Sein Haupt war auf die Brust gesunken, seine Hände umklammerten zuckend die Schranken; die Haare hingen ihm wirr ins Gesicht, und von Zeit zu Zeit warf er sie in den Nacken zurück; jetzt blickte er sich hastig voll abgründigen Entsetzens im Publikum um, jetzt betrachtete er das Antlitz des Richters und schluckte krampfhaft. Um seinen Hals hatte er einen Fetzen schmutzigen Flanells gebunden; das war es vielleicht, was das zwischen Ekel und Mitleid schwankende Zünglein der Waage in Archies Herzen zu seinen Gunsten sich neigen ließ. Das Wesen dort stand vor dem Sprung ins Nichts; noch eine kleine Weile, noch das pomphaft rohe Possenspiel des Endes, und es hatte zu leben aufgehört. Inzwischen aber pflegte es mit einem letzten menschlichen Zug, der den Zuschauer selbst an der Kehle packte, einen wehen Hals. Ihm gegenüber, in der roten Robe der Kriminaljustiz, saß Lord Hermiston, das Gesicht von einer weißen Perücke umrahmt. Ehrlich wie er war vom Scheitel bis zur Sohle, gab er sich nicht die Mühe, die Tugend der Unparteilichkeit zu heucheln. Der vorliegende Fall verlangte auch keine Feinfühligkeit; hier war ein Mann, der gehenkt werden mußte – so etwa würde Hermistons Auffassung gelautet haben –, und er war dabei, ihn zu henken. Auch konnte man seine Lordschaft unmöglich von einer gewissen Freude an seiner Aufgabe freisprechen. Es war klar, er schwelgte im Gebrauch seines geschulten Intellekts, in der klaren Einsicht, mit der er sofort die Lücken in dem Tatbestand entdeckte, in dem groben, unverhohlenen Spott, mit dem er die fadenscheinigen Vorwände der Verteidigung zerpflückte. Er hatte es sich bequem gemacht, er scherzte und benahm sich an diesem feierlichen Ort mit der Ungeniertheit der Schenke; und der Fetzen Menschheit mit dem Flanellappen um den Hals wurde unter Hohn-und Spottgelächter zum Galgen gejagt.
Duncan besaß eine Geliebte, eine kaum weniger jämmerliche Kreatur, wenn auch weit älter als er selbst, die jetzt knicksend und winselnd vortrat, um noch das Gewicht ihres Verrats hinzuzufügen. Mylord sprach ihr in seinen donnerndsten Tönen die Eidesformel vor und schloß mit einer schneidenden Ermahnung.
»Achte auf deine Worte, Janet. Ich hab’ schon längst ein Auge auf dich gerichtet und lasse nicht