Die bekanntesten Werke von Robert Louis Stevenson. Robert Louis Stevenson
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»Nein, ich war es nicht«, sagte der Richter; »obwohl – um ganz aufrichtig zu sein – das leicht hätte sein können – natürlich nachdem ich zuvor dich gesprochen und gewarnt hätte. So war es, glaube ich, Glenkindie.«
»Jener elende Knirps?« rief Archie.
»Sehr richtig, jener Knirps«, entgegnete seine Lordschaft, »obgleich das kaum eine passende Bezeichnung für einen Senator des Justizkollegiums sein dürfte. Wir vernahmen gerade die verschiedenen Parteien in einem langen, spitzfindigen Fideikommißstreit; Creech plädierte ziemlich weitschweifig zugunsten einer Neubelehnung, als ich sah, wie Glenkindie sich mit der Hand vor dem Mund zu Hermiston vorbeugte, um ihm etwas zuzuflüstern. Niemand hätte die Art der Mitteilung aus deines Vaters Miene erraten können, wohl aber aus der Glenkindies, denn die Bosheit funkelte ihm ein wenig zu deutlich aus den Augen. Aber dein Vater – nein! Ein Mann aus Granit. Im nächsten Moment hatte er sich auf Creech gestürzt. ›Mr. Creech‹, sagte er, ›ich möchte einen Blick in jene Belehnungsurkunde werfen‹, und in den nächsten dreißig Minuten«, bemerkte Glenalmond mit einem Lächeln, »kämpften Mr. Creech und Kompanie einen ziemlich unebenen Kampf, der, wie ich wohl kaum hinzuzufügen brauche, mit ihrer völligen Niederlage endete. Die Klage wurde abgewiesen. Ja, ich zweifle, ob ich Hermiston je in besserer Form sah. Er schwelgte buchstäblich in apicibus juris.«
Archie vermochte nicht länger an sich zu halten. Brüsk schob er den Teller hinweg und unterbrach diesen wohlüberlegten und belanglosen Redefluß. »Da habe ich nun einen Narren aus mir gemacht, wenn nicht noch Schlimmeres. Sie sollen über uns beide richten – richten zwischen Vater und Sohn. Zu Ihnen kann ich sprechen; es ist nicht so, als – ich will Ihnen sagen, was ich empfinde und was ich zu tun beabsichtige, und Sie sollen der Richter sein.«
»Ich lehne jegliche Jurisdiktion ab«, antwortete Glenalmond mit feierlichem Ernst. »Aber wenn es dir guttut, mein lieber Junge, dein Herz auszuschütten, und falls es dich interessiert, was ich darüber zu sagen habe, stehe ich ganz zu deiner Verfügung. Laß einen alten Mann es einmal aussprechen, ohne sich dessen zu schämen: Ich liebe dich wie einen Sohn.«
Archie stieß einen scharfen, unartikulierten Laut aus. »Ja«, rief er, »da haben wir’s! Lieben! Wie einen Sohn! Und wie, meinen Sie, liebe ich meinen Vater?«
»Ruhig, immer ruhig«, sagte Mylord.
»Ich will sehr ruhig sein«, erwiderte Archie, »und rückhaltlos offen. Ich liebe meinen Vater nicht, ich frage mich manchmal, ob ich ihn nicht hasse. Das ist meine Schmach, vielleicht sogar meine Sünde, aber vor Gottes Angesicht nicht meine Schuld. Wie sollte ich ihn auch lieben? Er hat niemals zu mir gesprochen, niemals mich angelächelt; ja, ich glaube, er hat mich niemals berührt. Sie kennen ja seine Art zu reden. Sie reden nicht so, dennoch vermögen Sie stillzusitzen und ihm ohne zu schaudern zuzuhören, das kann ich nicht. Mir dreht sich die Seele im Leibe um, wenn er damit anfängt; ich möchte ihn auf den Mund schlagen. Und das ist noch gar nichts. Ich wohnte der Verhandlung gegen Duncan Jopp bei. Sie waren nicht da, aber Sie müssen meinen Vater oft genug gehört haben; er ist ja berüchtigt dafür – dafür, daß – sehen Sie nur meine Lage! Er ist mein Vater, und so muß ich über ihn sprechen – berüchtigt dafür, daß er ein brutaler Mensch und grausam und feig ist. Lord Glenalmond, ich gebe Ihnen mein Wort, als ich den Gerichtssaal verließ, hatte ich nur noch den Wunsch, zu sterben – die Schmach ging über meine Kraft: aber ich – ich –« Er erhob sich von seinem Platze und begann aufgeregt im Zimmer auf und ab zu schreiten. »Ja, wer bin ich denn? Ein Knabe, der noch nie auf die Probe gestellt wurde, der außer dieser ohnmächtigen, billigen Torheit gegenüber seinem Vater noch nie etwas geleistet hat. Aber ich sage Ihnen, Mylord – und ich kenne mich selbst –, wenigstens gehöre ich zu jener Art Männern – oder, wenn Sie wollen, Knaben –, die lieber unter Qualen ihr Leben lassen würden, als zuzusehen, daß auf der Welt jemand so leiden muß, wie jener Schuft gelitten hat. Und was habe ich dagegen getan? Ich sehe es jetzt ein. Ich habe einen Narren aus mir gemacht, wie ich das schon zu Anfang sagte, und ich bin umgekehrt und habe meinen Vater um Verzeihung gebeten und habe mich ganz in seine Hand gegeben – und –, und er hat mich nach Hermiston geschickt«, fügte er mit einem elenden Lächeln hinzu, »auf Lebenszeit vermutlich – und was soll ich dazu sagen? Ich glaube sogar, er hat ganz recht getan und hat mich leichteren Kaufs davongelassen, als ich es verdiene.«
»Mein armer, lieber Junge«, bemerkte Glenalmond. »Mein armer, lieber und – wenn das Wort gestattet ist – grenzenlos törichter Junge! Du bist lediglich im Begriff, einzusehen, wo du stehst: für jemanden deines oder auch meines Temperaments eine schmerzliche Entdeckung. Die Welt ist nicht für uns geschaffen; sie ist für tausend Millionen Menschen geschaffen, die sich alle voneinander und von uns unterscheiden; aber für uns gibt es keine breite, bequeme Heerstraße, wir müssen mühsam klettern und uns schinden. Denke nur nicht, daß ich mich im geringsten wundere; glaube auch ja nicht, daß ich dich zu tadeln beabsichtige; im Gegenteil, ich bewundere dich eher! Aber die Sache fordert zu ein, zwei Bemerkungen heraus, die mir da gerade einfallen und die (wenn du sie leidenschaftslos betrachtest) vielleicht dazu dienen können, dich zu einer gemäßigteren Anschauungsweise zu bekehren. Erstens einmal vermag ich dich nicht von einem gut Teil sogenannter Intoleranz freizusprechen. Du scheinst dich ungemein verletzt zu fühlen, nur weil dein Vater sich nach dem Abendessen ein wenig unfein ausdrückt, was unzweifelhaft sein gutes Recht und (obwohl ich es selbst auch nicht sehr liebe) doch lediglich eine Frage des Geschmacks ist. Dein Vater ist – daran brauche ich dich wohl kaum erst zu erinnern, da es ein so offenbarer Gemeinplatz ist – älter als du selbst. Zum mindesten ist er majorenn und sui juris und kann seine Unterhaltung ganz nach seinem Belieben wählen. Und weißt du, daß ich mich manchmal frage, ob er nicht eine genauso stichhaltige Klage gegen uns vorbringen könnte? Wir sagen, daß wir ihn manchmal – hm – ein wenig – gewöhnlich finden, aber ich vermute stark, er könnte uns entgegenhalten, er fände uns immer langweilig. Ein durchaus beachtenswerter Einwand!«
Und er strahlte Archie an, ohne ihm jedoch ein Lächeln zu entlocken.
»Nun zu ›Archibald über die Todesstrafe‹. Das ist ein durchaus einleuchtender, akademischer Standpunkt; natürlich vertrete ich ihn nicht und kann ihn auch nicht vertreten, aber damit ist nicht gesagt, daß nicht zahlreiche tüchtige und treffliche Männer in der Vergangenheit deiner Meinung waren. Vielleicht habe auch ich selbst einmal ein wenig in die nämliche Ketzerei hineingerochen. Mein dritter Klient – oder war es der vierte – wurde der Anlaß, daß ich zu meiner ursprünglichen Ansicht zurückkehrte. In meinem Leben ist mir kein Mensch begegnet, an den ich so rückhaltlos glaubte; ich hätte meine Hand für ihn ins Feuer gesteckt, hätte mich für ihn kreuzigen lassen; aber als es zur Gerichtsverhandlung kam, enthüllte er sich mir langsam und allmählich und nach unleugbaren Beweisen als ein so niedriger, so kaltblütiger und so abgründiger Schurke, daß ich mich versucht fühlte, ihm mein Mandat vor die Füße zu schleudern. Damals kochte ich über gegen den Mann mit noch stärkerer tropischer Temperatur, als ich früher für ihn brannte. Aber ich sagte zu mir selbst: Nein, du hast seine Verteidigung übernommen, und du darfst nicht, nur weil deine Ansicht sich geändert hat, den Mann jetzt fallenlassen. All die Ströme der Beredsamkeit, die du erst gestern nacht mit so viel Begeisterung gesammelt, sind hier nicht am Platze, und doch darfst du ihn nicht im Stiche lassen; du mußt reden. Also redete ich und – bekam ihn frei. Der Fall begründete meinen Ruf. Aber eine derartige Erfahrung wirkt charakterbildend. Ein Mann darf seine Leidenschaften weder vor die Schranken noch vor den Richterstuhl bringen«, fügte er hinzu.
Die Geschichte hatte Archies Interesse von neuem geweckt. »Ich kann nicht leugnen«, begann er, »ich meine, ich kann mir sehr wohl denken, daß es Menschen gibt, die besser tot als lebendig wären. Aber wer sind denn wir, daß wir uns anmaßen, all die verborgenen Beweggründe von Gottes unglücklicher Kreatur zu kennen? Wie kommen wir dazu, uns selbst zu trauen, da es scheint, daß Gott selbst sich prüfen muß, ehe er handelt? Und uns obendrein in Wohlbehagen zu wiegen? Ja, Behagen: Tigris ut aspera.«
»Vielleicht