Das Haus der Stimmen. Ursula Isbel-Dotzler

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Das Haus der Stimmen - Ursula Isbel-Dotzler

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eine alte Verwandte gewesen, die gut Kuchen backen konnte und nicht an uns Kindern herumnörgelte, sondern uns so sein ließ, wie wir waren. Jetzt aber spürte ich plötzlich, dass ich sie mochte und dass sie mir so seltsam vertraut war, als bestünde eine geheime Wesensverwandtschaft zwischen uns. „Hallo, Tante Jule”, sagte ich.

      Sie ergriff meine Hand. Mamas ausgestreckte Rechte übersah sie. Ihre Finger waren kühl und glatt und unglaublich leicht; ich fürchtete, ich könnte ihr die Knochen brechen, wenn ich zu fest zudrückte.

      „Pulcinella mag dich”, sagte sie. „Sie ist eine gute Menschenkennerin.”

      Ihr Blick war prüfend. „Wie hübsch du geworden bist! Du siehst meiner Schwester Anna ähnlich, deiner Großmutter. Sie war immer die hübscheste von uns allen und hatte jede Menge Verehrer, obwohl sie weder kochen noch einen Haushalt führen konnte.”

      Mama lachte. Es klang nervös. „Kochen hat sie ihr Leben lang nicht richtig gelernt. Aber sie hatte Charme. Sie konnte jeden um den Finger wickeln, wenn sie nur wollte.”

      Etwas rappelte an der Terrassentür. Als wir hinsahen, schob das Pferd seinen Kopf ins Wohnzimmer. Der Vorhang war wie ein Brautschleier um seinen Kopf drapiert.

      „Huckleberry hat Hunger.” Tante Jule schnalzte mit der Zunge. „Ich gebe ihm etwas geschroteten Mais und ein paar Äpfel.” Sie sah uns freundlich an. „Schön, dass ihr hier wart! Adieu dann, kommt mich mal wieder besuchen.” Damit ging sie zur Terrassentür, drängte den Fuchs zurück, wobei ein ziemliches Durcheinander mit der Gardine entstand, und verschwand ins Freie.

      Wir blieben verdutzt zurück.

      „Und was machen wir jetzt?”, fragte Mama.

      4

      „Vielleicht sollten wir uns ja im Kro am Hafen einmieten”, sagte meine Mutter.

      „Unsinn! Wir wohnen hier, es ist jede Menge Platz. Außerdem isťs am besten für alle Beteiligten, wenn wir in ihrer Nähe sind. Sie scheint einfach nicht begriffen zu haben, was für eine weite Reise wir gemacht haben. Sie denkt wohl, wir wohnen hier irgendwo auf der Insel.”

      Wir traten auf die Terrasse. Tante Jule kam eben aus einem Nebengebäude und schleppte einen Eimer, der im Vergleich zu ihrer dünnen kleinen Gestalt riesig wirkte. Der Rotfuchs verstellte ihr den Weg und steckte die Nase in den Eimer. Ein paar Hühner kamen aus allen Himmelsrichtungen angerannt, scharten sich um sie und reckten die Hälse.

      Tante Jule stellte den Eimer ab, griff in die Tasche ihrer ausgebeulten Hose und verstreute Körner. Sofort begann ein wildes, hektisches Geflatter und Gepicke.

      Ich zog meine Mutter hinter mir her. „Tante Jule”, sagte ich laut, „können wir unser Gepäck ins Haus bringen?”

      „Ich bin nicht taub, Kind. Ihr wollt also hier wohnen? Das Gästezimmer ist rechts in der oberen Etage. Aber passt auf, ein Teil der Treppenstufen ist morsch.”

      „Könntest du die Vordertür aufschließen?”, fragte Mama.

      Tante Jule sah sie zerstreut an. „Ich bin nicht sicher, wo der Schlüssel hingekommen ist. Ich finde ihn schon einige Zeit nicht mehr – ein paar Tage oder Wochen. Im April war er noch da … “

      Die Treppe war wirklich morsch. Eine der Stufen war bereits durchgebrochen. Meine Mutter kam aus dem Seufzen nicht mehr heraus.

      Das Haus roch dumpf und modrig und kam mir riesig vor. Allein der Flur im oberen Stockwerk war groß wie ein Ballsaal. Die Wände hingen voller Bilder, alte Stiche und Aquarelle und Ölgemälde.

      Ich versuchte einen Fensterflügel zu öffnen, aber der Griff gab nicht nach. Erst beim dritten Fenster klappte es. Der Luftzug brachte die dunklen, staubigen Spinnwebfäden an der Decke zum Zittern.

      Aufs Geratewohl öffneten wir eine Tür zur Rechten, denn Tante Jule hatte uns nicht genau gesagt, wo das Gästezimmer lag. Der Raum war leer bis auf einen mächtigen Schrank und ein Bett aus Messing, in dem kein Bettzeug war, nur drei gestreifte Matratzenteile.

      „Das kann ja heiter werden!”, sagte Mama.

      Wir versuchten es mit der nächsten Tür. Dahinter verbarg sich ein Zimmer, das mehr als bewohnt wirkte; es war voll gestopft mit Möbelstücken. Überall lagen Kleider, Schuhe, Taschen, Bücher und alte Zeitschriften herum. Wollsachen quollen aus einer geöffneten Truhe. In einer Ecke stand eine Leinwand, die halb mit einem Stück Stoff verhängt war.

      Hastig traten wir den Rückzug an. Das Nebenzimmer war unerwartet ordentlich mit einem Sofa, einem runden Mahagonitisch und eleganten, steiflehnigen Stühlen, einem schönen verzierten Eichenschrank, Orientteppichen und einem hohen Ofen aus schwarzem Gusseisen; doch es gab kein Bett darin.

      Über dem Sofa hingen zwei Porträts. Eines zeigte eine junge Frau mit einer Fülle goldblonder Haare, schmalem Gesicht und großen ernsten Augen. Sie trug ein dunkles Samtkleid und hielt einen Strauß Mohnblumen in der Hand.

      „Das ist Jule kurz nach ihrer Heirat; ein Freund ihres Mannes hat sie gemalt”, sagte Mama. „Du sahst ihr in ihren jungen Jahren ziemlich ähnlich.”

      Das zweite, etwas kleinere Bild war das Porträt einer dunkelhaarigen Frau, schon etwas rundlich, mit hellen Augen und einem rätselhaften, leicht spöttischen Lächeln um den vollen Mund.

      „Und das muss Jette sein, als sie jung war. Eine Schönheit ist sie nie gewesen.”

      Wir drehten uns um. Eine Stimme rief von der Treppe her: „Was macht ihr da? Schließt sofort die Tür! Rasch! Die Tür zu, sage ich!”

      Verwirrt traten wir zurück.

      Ich griff nach der Klinke und zog die Tür zu.

      Tante Jule stand auf dem Treppenabsatz und musterte uns wie ein Racheengel. „Was habt ihr gemacht?”, wiederholte sie in schrillem Ton.

      „Wir wussten nicht … “, begann Mama. „Wir wussten nicht, wo das Gästezimmer ist, da haben wir … “

      „Ihr habt sie herausgelassen!” Tante Jule klammerte sich am Geländer fest. „Jetzt sind sie im ganzen Haus – überall – das ist schrecklich!”

      Mama und ich wechselten einen Blick. Wir hatten keine Ahnung, wen sie meinte.

      „Aber im Zimmer war niemand”, versicherte ich.

      „Mach dir keine Sorgen, das Zimmer war vollkommen leer. Kein Mensch war drin!”

      Sie beachtete mich nicht. „Jetzt sind sie überall im Haus”, wiederholte sie. Plötzlich war ihre Stimme tonlos. „Ihr habt sie herausgelassen … “

      5

      Nachts rüttelte der Wind an den Rotbuchen, die Runestengaard umstanden. Meine Mutter schnarchte leise, aber unaufhörlich.

      Ich lag in dem fremden Bett mit dem klammen Bettzeug, sah in die Dunkelheit und dachte an Michael, wie meistens, wenn ich nicht schlafen konnte. Michael und ich hatten uns auf der Geburtstagsfete einer Freundin kennen gelernt und Hals über Kopf ineinander verliebt. Ich hatte geglaubt, es wäre für immer und ewig, aber es hatte kaum mehr als ein halbes Jahr gedauert. Dann hatte er sich ebenso rasch und heftig in eine Studienkollegin

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