Das schlafende Heer. Clara Viebig
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Aber unbeirrt, aus allen Kräften, aus ganzer Seele sang Hanns-Martin von Doleschal mit den Seinen — alle Verse.
Und dann, die Hand seiner Frau fassend, rief er froh erregt: „Geht nun, und feiert! Trinkt, esst, tanzt! Man wird euch Kaffe und Kuchen, Semmeln und Würste und Bier geben, soviel ihr mögt. Aber ich bitte, freut euch mit Massen. Wir wollen uns alle freuen — so!“ Die Vögte zu sich heranwinkend, übergab er ihnen das Geldgeschenk zur Verteilung.
Der Sprecher zog tief den Hut und winkte den andern zu: „Unser gnädiger Herr und die Herrin und die jungen gnädigen Herren — dass sie leben hoch!“
„Hoch, hoch, hoch!“
Dieser Ruf hatte mehr Kraft; er schmetterte so laut, dass das ‚Es lebe Polen‘, das plötzlich verstohlen von der hintersten Reihe her erklang, nicht das Ohr des Herrn erreichte. — —
Über den Hof flatterten die bunten Bänder. Die Ciotka, das Tantchen, die Witwe von Sierakowski, dem Dorfmusikanten, die dessen einzige Erbschaft, die Bassgeige, angetreten hatte, sass auf der umgestülpten Tonne, das Ungetüm zwischen den Knien, und strich wacker drauflos.
Ignaz Ruda, der Lehrer von Pociecha, kratzte die erste Violine; Krzywousty, das Schiefmaul, blies das Horn, und Kurek, das Hähnchen, der Mann ohne Nase, ein kleiner, halb närrischer, immer lachender Alter, spielte den Dudelsack.
Himmlische Musik! Aller Augen funkelten. Sie spielten den Krakowiak — was war schöner als der?
„Vogt, lasst Eure Alte sitzen, versucht’s mit ’ner Jungen, da geht’s besser!“
„Grykasch, tritt du mit der Magdusia an, Lukasch, nimm die Malgosia!“
„He, he, angetreten, stellt euch auf!“
„Komm, Krajutsch, tanz mit mir“, rief die Zosia, die Tochter des Dwornik vom Vorwerk, ihrem Liebsten, dem deutschen Stellmacher Krauz, zu; sie hatte ihn längst den Krakowiak tanzen gelehrt.
Die Stallknechte fassten die Melkmägde um, der Schmied nahm die Gänsemagd, der Schafmeister die Gesindeköchin; Schnitter und Schnitterinnen paarten sich. Der Gärtner suchte sich was Feineres aus, die hübsche Rosalka, die den Reim gesprochen, kam ihm gerade recht.
Jeder Tänzer schlägt den langschössigen Rock über den Arm und packt seine Tänzerin mit beiden Händen fest um die Taille — dicht Brust an Brust —, und er schiebt sein Bein zwischen die Beine in den flatternden Röcken.
Józef Grykasch hebt an:
„Püppchen kommt gesprungen,
Um den Wachskopf Löckchen,
Mit dem Holzpupp-Jungen
Im Krakauer Röckchen.“
Rechtsum, linksum, immer in der Runde herum, in den Knien gewippt, fest zugetrampelt, dass der Boden dröhnt. Die Paare sind wie miteinander verwachsen. Rascher wird der langsam begonnene Tanz, enger noch die Umschlingung, stärker das Kniewippen, röter die Köpfe, feuriger der eintönige Rhythmus. Es trampelt und stampft, es dudelt und keucht: rascher, rascher! Die Zuschauenden brüllen den Refrain und klatschen in die Hände.
Dem Tantchen war die Mütze ins Genick gerutscht, unbedeckt hingen ihr die grauen Strähnen bis auf die verdächtig erglühende Nase. Ruda, der Lehrer, war totenblass geworden, auf den Backenknochen brannten ihm hektische Flecken, aber es lohnte sich die Anstrengung schon — wann hätte er je soviel verdient?? Krzywousty schlenkerte sein Horn hastig aus, allen Speichel aus dem Schiefmaul hatte er da hineingetutet. Der Mann ohne Nase blies die Backen auf, dass man die Nase nicht gesehen hätte, auch wenn er noch eine gehabt.
Am Himmel blinkte der Abendstern. Heissa! Krakowiak, Geld in der Tasche! Jetzt fehlte nur noch Schnaps. Aber — o weh! — nur Bier in den Krügen!
Wie sie auch gossen und gossen, kein Schnaps floss heraus. Und auch keiner war zu kriegen.
Es machten sich ihrer ein paar Verwegene auf und stolperten nach der Küche im Seitenbau. Dort hantierte die Mamsell, und auf dem Tisch stand die Satte mit der dicken Milch für die Herrschaft, Zucker und Zimt und geriebenes Brot dabei. Aber das reizte sie heute nicht — auch nicht der Schinken und die Bratkartoffeln in der Pfanne — sie hatten heute selber gut gegessen, nur trinken wollten sie, trinken!
Doch trauten sie sich nicht recht; die Mamsell musste erst dreimal fragen, was ihr Begehr sei. Sie grinsten verlegen und stiessen sich an, traten von einem Bein aufs andre und wichen doch nicht. Endlich stotterte es der eine heraus: „Wódki!“
„Nichts da Wudki! Keinen Schnaps! Der gnädige Herr hat’s verboten.“ Und als sie nicht gingen, hob die Entschlossene drohend die Schöpfkelle: „Pascholl!“
Gehorsam machten sie sich fort, die Köpfe duckend; aber draussen murrten sie. Was, keinen Schnaps?! Nirgendwo ein Erntefest ohne den. Das war auch dem Nüchternsten gegen den Spass. Wenn denn der Herr durchaus keinen Schnaps gab zur Arbeitszeit, wollte man sich am Ende, wenn auch schwer, darein schicken; aber heute, heute, an dem Tag, wo man nicht Knecht war, wo man feierte, frei wie ein Herr, heute wollte man Schnaps haben!
Bier mochte man gar nicht mehr. Wenn man Krakowiak getanzt hat, gehört sich ein Schnaps drauf, sonst verkühlt man das Blut.
„He, Tantchen, was meint Ihr zu einem Schnäpschen?“
„Streicht auf! Ignaz Ruda, gebt nur den Takt an zum Trinklied! He, aufgepasst:
‚Kuba trinkt dem Jakob zu,
Jakob trinkt dem Michal zu —‘“
„Im Krug von Pociecha gibt’s Schnaps genug bei Eljakim Eiweih. Brüder, auf, lasst uns hingehen und einen trinken!“
„Mein Seelchen, mein Täubchen, komme du auch mit uns!“
„Aber sacht — sacht — ganz sacht!“ — — — —
„Ich weiss gar nicht“, sagte Helene von Doleschal, die am offenen Fenster lehnte und auf den dunkelnden Park hinaussah, dem die Nebel des Sees weisse Schleier überzogen, „die Leute sind diesmal lange nicht so vergnügt!“
„Das kommt dir nur so vor.“ Ihr Mann trat zu ihr und legte den Arm um ihre Schultern. Sie waren beide fast gleich gross; hochgewachsen standen Mann und Frau in der Dämmerung und schauten hinüber zum Lysa Góra, auf dessen hochstämmiger Kiefer eben noch ein letzter Tagesstrahl rot geglüht, aber jetzt jäh erloschen war. Von den Farben der Fahne, die den ganzen Tag lustig gewinkt hatte, war auch nichts mehr zu sehen; die Dunkelheit, die herbstlich herangekrochen war, hatte alles verschluckt.
„Ein dunkler Abend heut“, sagte er, „’s kann leicht sein, dass es morgen wieder trüb ist. Aber der heutige Tag war wie ausgesucht. Wie mich das freut!“
„Nein, ich höre doch gar kein fröhliches Lachen“, sagte sie und hielt den Kopf lauschend vorgeneigt.
„Du kannst es nicht bis hierher hören. Geh an ein Fenster, das nach dem Hof hinaus sieht, da wirst du schon was zu hören kriegen. Vor einer Stunde etwa war ich draussen, die Tanzerei und die Fröhlichkeit waren in vollem Gange.“