Nana. Emile Zola
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Fauchery betrachtete sie in ihrer großen Robe aus blaßblauem Atlas, wie sie drollig auf einer Ecke ihres Sessels saß, dünn und keck wie ein Junge, und am Ende war er überrascht, sie hier zu sehen; bei Caroline Héquet, deren Mutter das Haus seriös aufgezogen hatte, hatte man eine bessere Haltung. Das war ein richtiger Stoff für einen Artikel. Was für eine merkwürdige Welt war doch diese Pariser Gesellschaft! Die steifsten Salons wurden in Mitleidenschaft gezogen. Offensichtlich mußte dieser schweigsame Théophile Venot, der sich zu lächeln begnügte, wobei er seine schlechten Zähne zeigte, ein Vermächtnis der verstorbenen Gräfin sein, ebenso wie die Damen reifen Alters, Frau Chantereau, Frau du Joncquoy, und vier oder fünf Greise, die unbeweglich in den Ecken saßen. Graf Muffat brachte Beamte mit, die jene korrekte Haltung hatten, die man in den Tuilerien bei den Männern liebte; unter anderem den Bürovorsteher, der immer noch allein mitten im Zimmer saß mit glattrasiertem Gesicht und glanzlosen Blicken, so in seinen Frack eingeschnürt, daß er keine Bewegung wagen konnte. Fast alle jungen Leute und einige Persönlichkeiten mit vornehmem Benehmen hatte der Marquis de Chouard mitgebracht, der weiterhin Beziehungen zur legitimistischen Partei unterhielt, nachdem er sich bei seinem Eintritt in den Staatsrat mit dem Regime ausgesöhnt hatte. Übrig blieben Léonide de Chezelles, Steiner, eine ganz zweifelhafte Ecke, gegen die Frau Hugon mit ihrer Ruhe einer alten liebenswürdigen Frau abstach. Und Fauchery, der schon seinen Artikel vor sich sah, nannte das die Ecke der Gräfin Sabine.
„Ein anderes Mal“, fuhr Steiner leiser fort, „hat Léonide ihren Tenor nach Montauban kommen lassen. Sie bewohnte das Schloß Beaurecueil, zwei Meilen weiter weg, und kam alle Tage in einer zweispännigen Kalesche an, um ihn im ,Lion d’Orʻ, wo er abgestiegen war, zu besuchen . . . Der Wagen wartete vor der Tür, Léonide blieb stundenlang, während sich die Leute ansammelten und die Pferde betrachteten.“
Schweigen war eingetreten; einige feierliche Sekunden verstrichen in dem hohen Raum. Zwei junge Leute tuschelten, doch auch sie schwiegen, und man vernahm nur noch den gedämpften Schritt des Grafen Muffat, der das Zimmer durchquerte. Die Lampen schienen blasser geworden zu sein; das Feuer erlosch, und ein düsterer Schatten umhüllte die alten Freunde des Hauses in ihren Sesseln, die sie dort seit vierzig Jahren einnahmen. Es war, als hätten die Gäste zwischen dem Wechseln zweier Sätze den Geist der Mutter des Grafen mit ihrer vornehmen, eisigen Miene verspürt.
Doch schon begann Gräfin Sabine wieder:
„Schließlich war ein Gerücht darüber in Umlauf . . . Der junge Mann soll gestorben sein, und das würde den Eintritt dieses armen Kindes ins Kloster erklären. Übrigens heißt es, Herr de Fougeray hätte niemals in die Heirat eingewilligt.“
„Es werden noch allerhand andere Sachen erzählt“, rief Léonide unbesonnen aus. Sie begann zu lachen, weigerte sich jedoch, zu reden.
Sabine führte, von dieser Heiterkeit angesteckt, ihr Taschentuch an die Lippen. Und dieses Lachen in der Feierlichkeit des großen, weiten Raums nahm einen Klang an, der Fauchery in Erstaunen setzte. Es klang wie zerklirrendes Kristall. Sicher war da ein Sprung im Entstehen.
Sofort antworteten alle Stimmen; Frau du Joncquoy erhob Einspruch; Frau Chantereau wußte, es sei eine Heirat geplant gewesen, aus der Sache sei aber nichts geworden. Selbst die Männer wagten ihre Meinung zu äußern. Einige Minuten lang herrschte ein Durcheinander von Urteilen, in die sich die verschiedenen Elemente des Salons, Bonapartisten und Legitimisten, die mit den Skeptikern der Gesellschaft vermischt waren, auf einmal stürzten, wobei sie hart aneinandergerieten. Estelle hatte geläutet, damit Holz auf das Feuer gelegt würde. Der Diener schraubte die Lampen wieder hoch. Man hätte an ein Erwachen denken können. Fauchery lächelte gleichsam vor Behagen.
„Zum Teufel! Sie heiraten Gott, wenn sie ihren Vetter nicht haben heiraten können“, stieß Vandeuvres, den diese Frage langweilte und der eben wieder zu Fauchery getreten war, zwischen den Zähnen hervor. „Mein Lieber, haben Sie jemals erlebt, daß eine Frau, die geliebt wird, Nonne geworden ist?“ Er wartete die Antwort nicht ab, er hatte genug davon; und halblaut fragte er: „Sagen Sie, wie viele sind wir morgen? — Da sind die Mignons, Steiner, Sie, Blanche und ich . . . Wer noch?“
„Caroline, nehme ich an . . . Simonne . . . Gaga zweifellos . . . Genau weiß man das nie, nicht wahr? Man glaubt, es sind zwanzig bei diesen Anlässen, und dann sind es dreißig.“ Vandeuvres, der die Damen betrachtete, sprang jäh auf ein anderes Thema über.
„Vor fünfzehn Jahren muß sie sehr gut ausgesehen haben, diese Dame du Joncquoy . . . Die arme Estelle ist noch länger geworden. Das ist nun ein hübsches Plättbrett zum Ins-Bett-Legen!“ Doch er unterbrach sich und kam auf das morgige Souper zurück. „Das Langweilige bei diesen Dingern da ist, daß es immer dieselben Frauen sind . . . Man brauchte was Neues. Bemühen Sie sich doch mal, welche aufzutreiben . . . Halt! Ich habe eine Idee! Ich werde den dicken Mann da bitten, die Frau mitzubringen, die er neulich abends ins Théâtre des Variétés ausgeführt hat.“ Er sprach von dem Bürovorsteher, der in der Mitte des Salons eingeschlummert war.
Fauchery amüsierte sich von weitem damit, diese heikle Verhandlung zu verfolgen. Vandeuvres hatte sich neben den dicken Mann gesetzt, der sehr würdig blieb. Die beiden schienen einen Augenblick maßvoll die schwebende Frage zu erörtern, nämlich herauszubekommen, welches wirkliche Gefühl ein junges Mädchen dazu treibe, ins Kloster zu gehen. Dann kam der Graf zurück und sagte:
„Es ist nicht möglich. Er schwört, sie sei sittsam. Sie würde ablehnen . . . Dabei hätte ich gewettet, daß ich sie bei Laure gesehen habe.“
„Wie? Sie gehen zu Laure!“ murmelte Fauchery lachend. „Sie wagen sich an solche Orte! — Ich glaubte, da kämen nur wir hin, wir armen Teufel . . .“
„Oh, mein Lieber, man muß doch alles kennenlernen.“ Jetzt grinsten sie mit leuchtenden Augen und erzählten sich Einzelheiten über den Mittagstisch in der Rue des Martyrs, wo die dicke Laure Piédefer die kleinen Weiber, die in Geldverlegenheit waren, für drei Francs essen ließ. Ein schönes Loch! Alle kleinen Weiber küßten Laure auf den Mund. Und als Gräfin Sabine den Kopf wandte, da sie beim Vorbeigehen ein Wort verstanden hatte, zogen sie sich erheitert und rot geworden zurück, wobei sie einander anstießen. In ihrer Nähe hatten sie Georges Hugon nicht bemerkt, der ihnen zuhörte, wobei er so stark errötete, daß sich eine rosige Woge von seinen Ohren bis zu seinem Mädchenhals ergoß. Dieses Baby war schamerfüllt und hingerissen. Seit ihn seine Mutter im Salon losgelassen hatte, schlich er hinter Frau de Chezelles umher, der einzigen Frau, die er schick fand. Und doch übertraf Nana sie ganz gewaltig!
„Gestern abend“, sagte Frau Hugon, „hat mich Georges ins Theater geführt. Ja, ins Théâtre des Variétés, in das ich bestimmt seit zehn Jahren keinen Fuß mehr gesetzt habe. Der Junge schwärmt für Musik . . . Mir hat das kaum Spaß gemacht, aber er war so glücklich! — Merkwürdige Stücke macht man heute. Außerdem begeistert mich Musik wenig, muß ich gestehen.“
„Wie Madame? Sie mögen Musik nicht?“ rief Frau du Joncquoy und erhob die Augen zum Himmel. „Ist es möglich, daß man Musik nicht liebt?“
Das wurde zu einem allgemeinen Ausruf. Niemand erwähnte dieses Stück im Théâtre des Variétés, aus dem die gute Frau Hugon nicht klug geworden war; die Damen kannten es, aber sie redeten nicht darüber. Sofort stürzte man sich in Gefühlsseligkeit, in eine ausgeklügelte und verzückte Bewunderung der Meister. Frau du Joncquoy liebte nur Weber, Frau Chantereau hielt es mit den Italienern. Die Stimmen der Damen waren weich und schmachtend geworden. Man hätte meinen können, es sei eine kirchliche Andacht vor dem Kamin, der verschwiegene und vor Wonne vergehende Lobgesang in einer kleinen Kapelle.
„Nun“,