Spitzenreiterinnen. Jovana Reisinger
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LAURA
Laura kann ihr Glück kaum fassen. Sie bekam heute zum Mittag nicht nur ein Drei-Gänge-Menü mitsamt Dessert, sondern auch den Heiratsantrag, den sie sich immer gewünscht hat. Mit einem Diamantring in einer dunkelblauen Samtschachtel und einem Glas Champagner und einem Strauß Rosen und einem Mann auf Knien und anschließendem Applaus von Fremden.
Dabei wurde sie von einer Kellnerin gefilmt, damit sie ein Video hat, das sie immer wieder anschauen und herzeigen kann. Denn so ein Moment ist einzigartig, dafür wurden Smartphones erfunden. Laura hatte also, nachdem sie die wichtigste Frage im Leben vernommen hatte, die Hände vors Gesicht gehalten und gestrahlt, und es liefen ihr mindestens zwei Tränen über die Wangen. Eigentlich schon vor der Frage. Die Samtschachtel hatte genügt, in ihr alle Dämme zum Brechen zu bringen. Sie wusste schließlich, wie das läuft. Alle Frauen wissen das. Alle Frauen haben das schon so oft gesehen. Schon so oft mit anschauen müssen. Frauen haben die Prozedur internalisiert und erkennen frühzeitig die Zeichen. Sie wissen, was geschieht und wie eine sich zu verhalten hat in so einer Situation. Das Kramen in der Tasche, Schmuckschachtel, freudestrahlender Mensch, der die Schmuckschachtel hält, ein Kniefall und schwups: verlobt.
Jetzt sitzt Laura in einem Café und erzählt ihrer besten Freundin Verena davon, die artig nickt und die Hand auf ihrem Knie ablegt und monoton über eine Stelle streichelt. Beide Frauen strahlen sich an.
Was bedeutet das, fragt sich Verena, bin ich unfähig, mich an eine Person zu binden, um es auch mal schön zu haben? Sie kriegt wieder alles, was sie will. Und ich kriege nichts. Jetzt hat sie einen Mann. Unfair! Klammheimlich wird Verena von gewaltigen Gefühlen übermannt. Sie ist geübt darin, diese nicht zu zeigen. Es muss ja nicht jeder wissen, was im Inneren so los ist.
Verena nippt an ihrem Glas, während Laura von Kleidern plaudert und schon Termine arrangiert. Verena zermartert sich hinter ihrer rosigen Fassade das Hirn. Das ist eine Niederlage. Laura gewinnt im Frauengame. So ein Debakel muss mit Fassung getragen werden. Würdevoll nimmt Verena noch einen großen Schluck und schenkt sich nach. Beide wissen in diesem Moment: Laura wird es jetzt schön haben. Noch schöner als ohnehin schon. Beide haben Tränen in den Augen.
Verena greift nach dem Glas, will den Kloß im Hals hinunterschlucken und prustet stattdessen drauf los. Dabei spuckt sie ihrer besten Freundin ins Gesicht. Schnell lachen, einen Witz aus eigenem Scheitern machen, weil es dann erträglicher ist. Gemeinsam über das Unvermögen gackern. Wer will gerade jetzt eine traurige beste Freundin haben? Außerdem sind weinende Frauen in der Öffentlichkeit kein Augenschmaus. Welche weinende Frau sieht denn bitte schön und begehrenswert aus? Und begehrenswert wär Verena gern. Muss sie sein. Schließlich lacht sie ihrer eigenen erfüllten Zukunft nicht eben entgegen.
»Also doch ein Happy End!«
»Gerade noch, würde ich sagen. Schließlich wirst du dieses Jahr fünfunddreißig!«
»Ich werde siebenunddreißig.«
»Wir werden noch mal fünfunddreißig.«
»Hochzeit zehn Jahre später als geplant. Mehr Prosecco?«
»Ja. Den Schampus kann sich nur dein Mann leisten.«
»Wie das klingt, hihi, mein Mann.«
»Ja, gewöhn dich dran. Du hast jetzt einen Mann. Und du bist seine Frau. Da kommen jetzt alle niederen Besitzansprüche hoch! Gehörst jetzt ihm. Er gehört dir. So schön. Wo ist der überhaupt?«
»Termin. Notfall. Irgendwas musste sofort erledigt werden. Kaum waren wir verlobt, Telefonterror. Typisch. Aber ich hab ja auch noch dich. Du rennst mir ja nicht davon.«
»Eher nicht.«
»Eben.«
»Na, er wird’s schon wieder gut machen.«
»Oh, ihm fällt bestimmt was ein.«
»Ist er gut im Sich-entschuldigen?«
»Bisher schon.«
Beide kichern, und obwohl keine so genau weiß, worüber, werden sie lauter, bis die anderen Gäste verstummen und irritiert herüberschauen. Für andere Gäste haben sie allerdings keine Zeit. Laura betrachtet den Ring an ihrem Finger. Verena betrachtet den Ring an Lauras Finger und dazu ihre eigenen Hände. Beide Frauen sind gleich alt, sie gingen auf das gleiche Gymnasium, studierten in der Hauptstadt, sind zurück in die heimatliche, gemütliche, niederbayerische Kleinstadt gekommen, um dort in den Büros zu arbeiten, die ihre Eltern aufgebaut hatten. Sie hatten die gleichen Startvoraussetzungen und große Hoffnungen. Eine von ihnen hat jetzt zumindest einen Mann. So hatten sie sich das nicht vorgestellt.
Laura fühlt sich erlöst. Laura schaut in eine neue Zukunft. In eine schöne. Eigenheim, Ehemann, Erbe.
Verena stürzt das nächste Glas. Hilft jetzt alles nichts. Das Leben geht schließlich weiter. »Mehr Prosecco bitte. Ja, noch eine Flasche!«
Andere Gäste schütteln die Köpfe. Ihnen fehlt das Gespür für die Besonderheit dieses Moments. Schade. Gemeinsam feiert es sich noch schöner. Sich für andere freuen können ist eine erstrebenswerte Eigenschaft.
Laura lädt ein Foto von ihrem Ringfinger bei Instagram hoch. Die Likes prasseln darauf wie ein Unwetter.
Verena aktualisiert ihr Tinder-Profil. Irgendeinen muss es hier doch noch für sie geben. Denn darum geht es schließlich. Einen finden, einen behalten und ihn hoffentlich überleben.
PETRA
Petra weiß, was jetzt kommt. Dafür braucht sie keine weibliche Intuition. Lediglich eine Uhr.
Werktags, früher Nachmittag.
Da stolzieren die Männer nach ihrer Mittagspause durch die große Stahltür, mitten hinein in die Galerie, an deren Empfang sie sitzt, und fordern ihre Pakete und ihre Post. Weil Petra arbeitet nicht nur in einer der angesagtesten Galerien der Stadt, sie ist auch so etwas wie die Postdame der Männer oben drüber. Quasi ihre private Zustellerin. In etwa so etwas wie eine Assistentin. Eine Regelung, die weit vor Petras Einstellung geschaffen wurde. Die wohl so lange bestehen wird, bis es entweder die Galerie oder das Designbüro im Dachboden nicht mehr geben wird. Wenn sie besonders guter Laune sind, fordern die Männer eine Privatführung – mit Augenzwinkern, versteht sich. Petra wird dafür bezahlt, freundlich zu sein. Manchmal muss sie an ihrer Attitüde arbeiten. Das fällt aber nur anderen Leuten auf. Die helfen ihr dann, ihr Benehmen zu korrigieren.
Da sitzt sie also, mit dem letzten Rest Rohkostsalat und ihrer angebissenen Vollkornsemmel und wartet. Eine wartende Frau. Doch worauf wartet sie? Sie wartet darauf, mit unmöglichen Männern in einen unmöglichen Dialog zu treten, tagein, tagaus. Eine ewige Wiederholung, bis es irgendwem irgendwann zu öde wird. Petra wird nicht dafür bezahlt, solche Begegnungen zu hinterfragen, sie wird dafür bezahlt, solche Begegnungen stattfinden zu lassen. Und das ist hier schließlich ein Begegnungsraum. Kunst bringt die Leute zusammen.
14 Uhr. Jetzt wird’s Zeit. Sie schlägt ihr Buch auf und ihr MacBook zu. Überlegt. Vielleicht wäre es schlauer, das Buch zuzuschlagen und das MacBook auf, um Gespräche über das Buch zu vermeiden. Ein prüfender Blick in den Innenhof. Andererseits, es spielt schon gar keine Rolle mehr, was sie anhat, was sie in der Hand hält, was sie in der Galerie zeigen, was die Welt sonst so hergibt, die Typen finden immer was. Vorkehrungen treffen. Maßnahmen im Vorhinein ergreifen, damit es nicht