Spitzenreiterinnen. Jovana Reisinger

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Spitzenreiterinnen - Jovana Reisinger

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erleichtert an, denn auf die Hochzeit ihrer eigenen und einzigen Tochter wollte sie nun wirklich nicht verzichten müssen. Lesbisch oder nicht. Petra entfuhr nur ein schrilles Lachen. Schwamm drüber!

      Der Hund hat keine Lust mehr und rennt keinem Stöckchen hinterher. Zeit für eine Pause. Petra setzt sich, nimmt Grazia neben sich auf die Bank, sie warten. Auf bessere Zeiten. Auf noch besseres Wetter. Auf bessere Gründe, wieder zurückzugehen. Schwierig wird’s, wenn alles egal ist. Petra lässt Grazia auf ihren Schoß. Beide machen erschöpft die Äuglein zu.

      BARBARA

      Barbara sitzt auf einer nigelnagelneuen, dunkelgrünen Liege mit cremefarbenen Polstern, auf deren Waschzettel das Wort »Luxus« steht, und schaut starr geradeaus, über ihren Körper und den Pool hinweg, hinein ins Gebüsch, als wäre da was, doch da ist nichts. Sie zieht zur Beruhigung an ihrer dünnen, pastelllilafarbenen Zigarette der Marke Vogue, woraufhin ihr ein tiefer, aufgebender Seufzer entkommt, als wüsste sie, dass sie gleich erledigt ist und zwar so richtig.

      Die unbegründete Ahnung einer nahenden Katastrophe hat von ihr Besitz ergriffen, und Barbara ist darüber erleichtert, weil sich überhaupt was regt. Barbara lässt die Angst nicht mehr los, besser als sich an gar nichts mehr klammern zu können. Wenigstens eine Konstante im Leben. Und weil es mit der Angst als Begleiterin nie langweilig wird, steigert sie sich in besonders faden Momenten in sie hinein bis ins Unermessliche. Hinter jedem Schatten vermutet sie einen Mörder, von jedem Baum könnte sie in der nächsten Sekunde erschlagen werden, und in ihrem eigenen Pool sieht sie eine Todesfalle.

      Die Zigarette geht aus, sie steckt sich eine neue an. Jetzt ist es auch schon egal, ob der Krebs noch kommt. Vielleicht wär’s sogar besser. Die Vorsorgeuntersuchung hat sie abgesagt. Jetzt will sie auch nicht mehr gerettet werden. Wenigstens ist es angenehm mild. Klimawandel sei Dank sitzt sie heuer schon im Februar draußen.

      Im Gebüsch raschelt’s. Barbara ist bereit und wackelt nervös mit dem rechten Bein, das sie über das linke geschlagen hat. Sie schaut so angestrengt, dass sich ihr Oberkörper langsam nach vorne bewegt und sich ihre Augen dabei verengen.

      »Barbara! Jetzt sei nicht peinlich!«, schallt es da, »Es kommt kein böser Geist, um dich zu holen, der Postbote kommt gleich, das ist alles, und da vorn sitzt wahrscheinlich eine Amsel drin und du scheißt dich gleich an. Was soll denn das! Du bist doch eine erwachsene Frau!« Endlich, denkt sich Barbara, die zutiefst erschrak und eine erholsame Gänsehaut am ganzen Körper spürt, da ist sie wieder, die scheltende Stimme vom D. – sie wusste doch, dass gleich was kommt. Sie hat es immer schon gewusst. Dass der sich nicht abschütteln lässt, denkt Barbara und zieht an der Vogue. Im Gebüsch raschelt’s weiter. Und dann: absolut nichts zu sehen. »Sag ich’s doch! So eine Aufregung wegen nichts!« Der D. ist tot und zetert trotzdem in ihrem Schädel herum – das Leben ist wirklich ungerecht.

      Doch Barbara ist erleichtert, die Stimme ihres toten Mannes hört sie immer noch so klar. Warum war der eigentlich immer so lästig? So leicht reizbar? Das Wippen ihres Beines wird langsamer, bis es schließlich aufhört. Barbara ist sich gar nicht mehr sicher, ob es überhaupt im Gebüsch geraschelt hat. Denn es ist schön ruhig hier auf der Terrasse, eines Morgens stand sogar ein Reh vor den Büschen. So eine Idylle nennt Barbara ihr Heim. Dass das Reh heimlich die Jungpflanzen frisst, ist ihr noch gar nicht bewusst.

      Da der Pool, da die zweite Liege – völlig unbenutzt. Da blühen später die Rosen, und da hinten haben D. und Barbara einmal den Kater und die Katze beerdigt. Der Kater war dick, ein wandelnder Hocker auf vier Beinchen, so sah der aus mit seinen langen Haaren, ein Quadrat, und mit einem Schnurren so laut wie ein Motor. Und die Katze war grazil, irgendwie elegant und wenig verschmust, die wollte mehr Action. Ganz wie D. und Barbara, er ein Hocker, sie so abenteuerlustig. Sie weiß gar nicht, wann die Tiere verstorben sind. Zeit ist für Barbara weniger greifbar denn je. Die Zigarette geht aus, sie steckt sich eine neue an. Was soll’s. Ist eh schön. Mir geht’s gut, denkt sich Barbara. Schöner wär’s nur, wenn die Sonne noch ordentlicher scheinen würde. Heute hängt so ein diesiger Dunst, gänzlich unattraktiv. Spuken kann’s auch bei Sonnenschein. Es muss nicht immer trüb sein.

      Sie lehnt sich zurück und wackelt wieder nervös, ihre Hand streift über den Poolliegenaufsatz. So gemütlich. Die Zigarette hängt ihr von den Lippen, der Blick hängt an ihren lackierten Fingernägeln.

      Mit einem Satz und einem Jauchzen springt ein weißer Spitz aus dem Gestrüpp, rennt schnurstracks auf sie zu und hechelt aufgeregt. Wer weiß, ob vor Freude oder Durst oder Tollwut, und tut dabei so, als wär das ein ganz gewöhnlicher Vorgang. Als wären sich die beiden schon längst bekannt.

      Barbara, die sich so gern fürchtet, hat sich nicht erschrocken, betrachtet den freudig umherhüpfenden Spitz, nimmt erst mal lässig die Kippe aus dem Mund und drückt sie im winzigen Marmoraschenbecher aus, der auf dem Tischchen neben ihrer Liege steht. Der Hund gibt sein Bestes. Er setzt sich artig zu Barbaras Füßen und schaut sie an. Mund auf, Mund zu, Zunge raus, hechel, hechel, die Zunge fährt über ihre Hand. Barbara ist erst in diesem Moment völlig überwältigt und stößt einen spitzen Schrei aus. Jetzt begreift sie erst: Ist die Strafe Gottes ein kleiner, weißer Zuchthund? Der Hund hat keine Ahnung von der tiefen Angst, die sich in Barbara breit zu machen scheint, ist er nur Entzückung und Lobhudelei gewohnt, er schleckt ihr deshalb sanftmütig über das Bein, um ihr die benötigte Zuneigung zu entlocken. Das erinnert Barbara an ihre Krampfadern, und sie lässt die Zuneigung über sich ergehen, als wäre das die verdiente Folter. Sie versucht, sich dran zu erinnern, in welchen Gestalten der Teufel sonst immer auftaucht. Sie hat wohl völlig vergessen, dass sie längst aus der katholischen Kirche ausgetreten ist und sich eigentlich gegen den Glauben entschieden hat. Aber in so einer Gegend, da am Starnberger See, da kann wirklich gut an einen Gott geglaubt werden, so schön ist es da. Und so ein Hund, so ein herangezüchteter, ist ja auch wirklich nicht von dieser Welt.

      Der Hund hat keine Zeit für solche Erwägungen, der braucht Nahrung und setzt auf mitleiderregendes Winseln, was sogar die Barbara zurück in die Realität bringt. Kirche! Jesus! Gott!, sie schüttelt den Kopf und wundert sich mehr über sich selbst als über ihren neuen Begleiter. Endlich kommt der Sinn fürs Wesentliche zurück. Sie leert den Aschenbecher in den Pool, den wird sie so schnell eh nicht mehr betreten und steht auf, der Hund springt in die Höh, Barbara geht zur Terrassentür, öffnet diese, geht hinein, nickt dem Hund zu, der keine Einladung mehr gebraucht hätte, und so verschwinden die beiden im Haus. Barbara weiß, was zu tun ist: Küche, Kühlschrank, Fleisch von gestern.

      Sie weiß, wie sie das Gewinsel ums Essen abstellen kann.

      Das hat sie ihre ganze Ehe lang gewusst. Gefressen wird doch immer gleich.

      Dem Hund ist alles Wurst, der stürzt sich auf den Teller, den Barbara just auf den Boden stellt, und frisst in Windeseile alles auf. Sie steht neben ihm, die Hände ineinander geschlagen und ganz gerührt von so einem Appetit. Ein vergessenes Glücksgefühl. In der Zwischenzeit macht der Postbote am Briefkasten herum, und Barbara schaut auf die Uhr. Erst elf. Der Tag ist noch so lang. Der Briefträger ist pünktlich. Brav und vorbildlich. Langweilig und vorhersehbar. Sie schneidet dem Hund noch ein bisschen mehr Fleisch auf. Der Hund liebt sie gerade sehr. Und das fühlt sich gut an.

      Also, was ist jetzt zu tun? Wo wird ein fremder Hund gemeldet? Kann schon sein, dass er einer Villentante von einem Seegrundstück abgehauen ist, da würde ich auch fliehen, so ausgschamt san die da drüben – aber dann kommt der ausgerechnet hier an? Das ist ja viel zu weit weg. Hinter dem Gebüsch ist nichts. Ganz lange nichts. Und auf der anderen Seite, also vor dem Haus, da kenn ich mich aus. Da hat niemand so einen Hund. Noch nie gehabt. Der war auch noch nie zu Besuch, des hätt ich doch mitbekommen. Der wird ja nicht an der Loisach entlang spaziert sein bis hierher. So ein Schoßhündchen überlebt doch nicht in der echten Welt. Ach, Schmarrn! Ein bisserl dreckig ist er, aber nicht dreckig genug. Geh, Blödsinn,

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