Spitzenreiterinnen. Jovana Reisinger
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Ein weißer Defender fährt in den Innenhof. Petra weiß, was jetzt kommt. Ihre Chefin. Genauer: die Frau vom Chef. Die scheint jetzt die Fäden endgültig in der Hand zu haben. Ihr Mann ist schon länger nicht mehr aufgetaucht. Es gab keine Mitteilung, kein Teammeeting, nicht einmal ein öffentliches Statement. Er blieb plötzlich aus, sie räumte sein Büro um, und jetzt macht sie die Ansagen. Gut für sie, denkt sich Petra. Mehr Frauen in Führungspositionen. Vor allem im Kulturbetrieb. Da will Petra schließlich auch mal hin. Immer dranbleiben. Immer nach den Möglichkeiten Ausschau halten.
Der Motor verstummt. Die Chefin steigt aus, öffnet die Hintertür, ein kleiner Dackel springt aus dem Auto und läuft direkt zur Eingangstür, in der mittlerweile Petra steht, weil sie freundlich ist und weiß, dass die Chefin gern begrüßt wird. Die Chefin weiß nicht, dass das ein Automatismus ist. Das Auto, der Hund, der Job, die Stadt. Petra findet das toll. Fehlt nur noch der Jagdschein, die Chefin ist allerdings Vegetarierin.
»Hallihallo Petra! Wie geht es dir heute?«
»Maxi! Gut. Es riefen ein paar Leute an, hier ist die Telefonliste.«
»Ahhh, hmmm, danke. Und sonst?«
»Sonst hat sich wenig getan, später kommen die Akademiestudenten – die führst du durch die Ausstellung, nicht wahr?«
»Ja. Sehr gut. Sehr, sehr gut. Die brauchen wir nämlich.«
»Wen?«
»Die Kunststudenten!«
»Aha.«
»Petra, Liebes, die Kunststudenten sind unsere Zukunft. Sag, kannst du Grazia nehmen? Sonst zieht sie wieder die ganze Aufmerksamkeit auf sich und das mag Mami nicht, wenn sie gerade eine Führung gibt, nicht wahr?«
»Natürlich, wir können eine Runde gehen.«
»Stell auch das Telefon stumm, nicht dass es läutet, während ihr fort seid. Wär auch blöd. Die Leute können schließlich E-Mails schreiben, wenn sie was von mir wollen. Die wichtigen Leute haben eh meine Privatnummern. Der Rest kann warten.«
»Wie lang sollen wir fort sein?«
»Eine Stunde. Am besten du gehst, kurz bevor sie kommen. Sonst wissen sie nichts mit dir anzufangen, und das sorgt nur für Verwirrung.«
»Ist gut.«
»Weißt du was, geh sofort! Dann kann ich mich in Ruhe vorbereiten.«
»Ist gut, Maxi.«
Petra hat eine These in Bezug auf Hunde und Kinder: Wenn den Leuten nichts anderes mehr einfällt, kommt eins von beiden. Für den Sinn im Leben. Weil um den geht’s, den zu finden gilt’s. Sinnlos scheint ein Leben ohne Aufgabe. Eine Möglichkeit ist dabei, sich etwas Sinnstiftendes anzuschaffen. Etwas, worum sich gekümmert werden kann, nur dies sind gute Eigenschaften: Selbstaufopferung, Opferbereitschaft und hingebungsvolle Fürsorge. Mütterliche Eigenschaften. Fraueneigenschaften. Pflegende Eigenschaften. Die Eigenschaften, die die Welt beieinander halten. Fürchterlich findet das Petra.
Petra möchte keine Kinder. Wenn sie das sagt, sagt ihre Mutter, dass sie ihren Muttertrieb schon noch entdecken werde, und ihre Freundinnen, dass das mitnichten eine natürliche Entscheidung sei. Petra hat gute Gründe, keine Kinder zu wollen, aber wird nicht danach gefragt. Nicht einmal ihr Coming-Out scheint noch eine besondere Hürde darzustellen.
»Die biologische Uhr tickt, Petra, du wirst sie schon noch spüren und dich dann befruchten lassen«, säuselte die Tante Bella und griff weise in sich hineingrinsend nach ihrem Aperol Spritz. Befruchten lassen, als würde ihr ein netter, harmloser Herr eine Obstplatte reichen. Oder sie mit einem Smoothie einseifen. Prost!
Petra und Grazia spazieren los. Schön vorbei an den alten Prachtbauten, vorbei an den Wohnhäusern und endlich hinein in die belebteren Straßen. Da sitzen die Leute draußen vor den Cafés, gierig nach Sonne, in ihren Daunenmänteln und ihren Winterstiefeln und ihren Wollhauben, die angesichts der Wetterlage bereits überflüssig sind. Den Leuten hier geht es gut, die Leute hier sehen gesund aus. Froh und munter. Vergnügt und nett. Rote Bäckchen, weiße Zähne, pralle Portemonnaies. Status, Status, Status. Petra wird richtig warm ums Herz, auch dank der gnadenlosen Sonne.
Die Galerie befindet sich in einem beliebten Viertel unter Gutsituierten, ist jedoch ausgerechnet in der Nebenstraße einer Nebenstraße gelandet. Sie wird nicht allzu häufig zufällig gefunden. Ein echter Geheimtipp. Nur für Kenner. Nur für wirklich Interessierte. Nur für die, die Bescheid wissen. Es sind naturgemäß eher ruhige Arbeitstage.
»Was für ein Luxus!«, sagt dazu die Tante. »Dass es solche Jobs überhaupt noch gibt. Bemerkenswert!« Solche Jobs, meint sie, seien völlig überflüssig, weil sie nur von wenigen Menschen in Anspruch genommen werden. Was zählt, sind die Jobs, die viele Menschen glücklich machen, nicht einige wenige. Ihrer zum Beispiel. Zugegeben, hin und wieder weint eine Frau, wenn sie nach einer faltenreduzierenden Spritze entgegen ihrer Warnung zu lange in der Sonne war und nun anstelle der Falten eine Narbe trägt. »Aber die fangen sich dann schon«, sagt die Tante. »Was bringt die Galeristin einer Gesellschaft?«, fragt die Tante und zieht dabei die Augenbraue hoch. »Und was bringt deren Assistentin der Gesellschaft?«, schiebt sie hinterher. »Eben«, schließt die Tante, »niemand weiß, dass es dich gibt. Meine Schusterin ist relevanter als du.«
Autsch. Das saß. Der Petra wird ganz schwindelig bei so einem Gespräch. Nicht weil Petra glaubt, sie sei etwas Besseres als eine Fachkraft für Sohlen und Schuhwerk, nein, weil Petra sich selbst so sieht. Petra, die viel Zeit und Geld in ihre Ausbildung gesteckt hat, fühlt sich wie eine Bilderbuch-Versagerin, denn, so viel ist sicher, mit dreißig fängt die große Karriere nicht mehr an. Das Sorgenkind der Familie. Erst Langzeitstudentin, dann ohne Geld und ohne Einbauküche, mit einem Beruf, den niemand versteht, und obendrauf noch lesbisch. Oh weh! Ihre Mutter und ihre Tante lachen darüber. Bella und Elle sind immer fleißig am Sorgen-weglachen. Was einen nicht angreift, tut einem nicht weh. Was einem nicht weh tut, kann schnell vergessen werden. Immer schön weich bleiben. Harte Frauen wirken doch eher abschreckend, und verhärmte Frauen sind am allerabschreckendsten. Sanft soll sie sein, die Frau, sanft und lieb und nett. Ein gepflegtes Äußeres und ein außerordentlich liebreizendes Inneres. So ist’s recht.
Petra lässt den Hund von der Leine. Grazia weiß zunächst nicht recht, wie ihr geschieht und rührt sich nicht vom Fleck. Sie betrachtet ihr Teilzeit-Frauchen und wartet auf deren Aktion. Aktion, Reaktion. Affirmation ist die bessere Strategie im Job. Freundlich nicken, freundlich lächeln, zustimmen. Ja und ja und ja! Petra ist darin geschult. Sie schaut den Hund an, geht in die Hocke und strahlt aufmunternd. Der Hund weiß immer noch nicht so recht. Da wirft sie ein Stöckchen tiefer in den Park. Und Grazia tut, was von ihr verlangt wird, und läuft dem Stöckchen hinterher. Petra kommt mit, und so gehen sie weiter in die Natur hinein. Die Vöglein zwitschern und das Bächlein sprudelt, und die Autos werden leiser, und die anderen Menschen sind auch ganz stumm. Endlich Ruhe. Die Enten schnattern, weil der Hund dahergerannt kommt und wenn Grazia endlich kackt, zögert Petra keine Sekunde, um die Plastiktüte aus der Jackentasche zu ziehen, die Scheiße aufzuklauben und geschickt das Tütchen zu verknoten. Petra ist geduldig.
»Denn Geduld ist etwas, das wir Frauen brauchen«, gab ihr die Mutter mit auf den Weg, »Geduld und die Fähigkeit, nachsichtig zu sein.« Dabei zwinkerte sie und deutete auf ihren Mann, der lässig auf dem Sofa fernsah und dessen Hand im Hosenbund steckte. Typische Fernsehpose. Geduldig trägt sie die rote Tüte minutenlang durch den Park, bis endlich der nächste