Spitzenreiterinnen. Jovana Reisinger

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Spitzenreiterinnen - Jovana Reisinger

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meinst, was der frisst. So ein Rassehund. Sicher nur das Allerfeinste. Irgend so eine Wohlstandsverwahrloste wird den schon verhätschelt haben. Naja, jetzt sagen wir’s mal so: Der Hund kam aus freien Stücken hier an, dann darf er auch bleiben. Jawoll. Ich helfe, wo ich kann. Mei, jetzt schaut er wieder so liab. Vielleicht no a Radl Wurst?

      Sie stellt ihm die neu gefüllte Schüssel hin, und der Hund macht keine Anstalten, irgendetwas anderes zu wollen. »Da schau her, Hundi, feines Fleischi!« Der Hund weiß, was feines Fleisch ist. Vielleicht hat er auch tatsächlich ein gutes Gespür fürs Timing, weil lange hätte es Barbara nicht mehr ausgehalten, dann hätte sie vor lauter Langeweile erst ernsthaft Angst und dann wohl doch noch einen Vogel bekommen – und hätte sich wahrscheinlich selbst niedergestreckt. Sie erwartet so sicher eine Bestrafung, dass sie sich permanent selbst bestraft. Eine Bestrafung, weil sie noch lebte, den D. beerdigte, weil sie nicht zuckerkrank ist, weil sie sich auch ein bisschen freut, allein zu sein, den D. nicht mehr im Haus zu haben. Der Ehegatte hat sich überfressen. Passiert. Das ist kein Einzelfall. Und dem hat’s immer geschmeckt. Der D. hat bis zum Schluss versichert, wie fein alles schmeckt. Sie hat ihn zu nichts gezwungen, nein, es war eher umgekehrt: Er hat das Essen eingefordert. Sonst war er noch lästiger. Und wer will freiwillig so einen Grantler zuhause sitzen haben?

      »Jetzt muss einmal die Kirche im Dorf gelassen werden. D. war ein erwachsener Mann, der sich selbst in den Tod gefressen hat. Barbara ist lediglich ihrer fraulichen Pflicht nachgegangen und hat für ihn gekocht – das fordert ihr doch von euren Frauen! Ich würd euch alle vergiften!« Das hat Jolie gesagt, kurz nachdem sie auf den Tisch geschlagen hat wie ein Kerl, als die Männer Barbara als Todes-Köchin, als Todes-Gattin verhöhnten. Dann blieb es für einige Minuten mucksmäuschenstill im Wirtshaus. Jolie atmete schwer und setzte sich aufrecht hin, die Männer schauten bedröppelt und erschrocken. So wie Emma, die gar nicht wusste, wie ihr geschah. Jolie reiste ein paar Tage später wieder ab und damit verstummten auch die empörten Männer, die so eine freche Aktion überhaupt nicht gutheißen konnten, aber da hatte die freche junge Frau längst einen Keim in Barbara und in Emma gepflanzt. Barbara merkte, dass sie der Tod des eigenen Mannes auf ungeahnte Weise auch erleichterte. Der Keim sprießt. Die Realität als Witwe. Eine einsame Frau ohne Chance auf eine neue Liebe, denn die gibt es für Frauen in ihrem Alter nicht noch einmal.

      Der Spitz ist fertig mit Fressen und möchte jetzt den Bungalow inspizieren, den er sich als neues Heim ausgesucht hat. Barbara folgt ihm und ist zufrieden über die Abwechslung, auch etwas verunsichert, wer weiß, ob der überhaupt stubenrein ist.

      Sie greift nach dem Telefon, denn wenn sie eins nicht kann, ist das, gute Neuigkeiten für sich behalten: »Emma, pass auf: Da steht der plötzlich auf meiner Terrass’n, hab ich mich erschrock’n, kannst dir vorstell’n. Hüpft der da aus dem Gebüsch heraus, wie ich nichts-ahnend auf der Liege lieg und mich entspanne. Ja, na freilich, was soll ich denn sonst tun? Aber schau in sei liabs G’sicht, da zergeht dir’s Herz! Ja, eh, wart, ich schick dir gleich ein Foto, gleichzeitig geht das nicht. Du, ganz ehrlich: Ich hab keine Kinder, ich hab Geld auf dem Konto, ich nehm den Hund schon auf, das darfst mir glauben! Mein neuer Freund wird das. Treuer Begleiter, oder? Mei, so liab. Naaa, ich weiß nicht, wem der gehört. Ja, wenn ich’s dir doch sage, da ist keine Hundemarke. Na, die Polizei, so ein Schmarrn, als würden die sich jetzt mit so einem Schoßhündchen herumschlagen wollen, die haben wirklich was Besseres zu tun. Ins Tierheim? Bist narrisch. Das überlebt doch so ein feiner Hund gar nicht. Wenn du den jetzt sehen könntest, würdest nicht so damisch reden. Ich schick dir jetzt ein Bild, weil ich muss sowieso auflegen. Wir hören uns, gell? Ja, freilich sehen wir uns am Freitag. Na, sofort passt’s mir eigentlich nicht. Heute hab ich wirklich gar keine Zeit für einen Besuch. Na geh! Hör auf. Wirklich? Mei, das ist ja schad. Woher weißt du das? Na, sowas aber auch. Du, das tut mir jetzt wirklich leid, aber ich muss wirklich auflegen, weil der Hund ist jetzt irgendwo, und der kennt sich hier nicht aus. Ja, genau. Alsooooo, bis dann! Ja. Na, eh. Durchhalten, gell? Servus!«

      Barbara ist stolz darauf, wie gut ihr schon wieder die Telefonate gelingen und wie gut sie diese Mitleids-Besuche abwimmeln kann. Sie braucht jetzt kein Mitleid. Sie braucht Abwechslung, und die hat sie jetzt. Dank dem Herrn. Sie lacht. Haha, als würd ich an den Herrgott glauben. Fröhlich spaziert sie durch ihr eigenes Haus und schaut in jedes Zimmer wie an Ostern, wie ein Kind auf der Suche nach der versteckten Süßigkeiten.

      Dann entdeckt sie das süße Unschuldslamm: Der Hund liegt schon auf dem Bett und hebt kurz den Kopf, als Barbara ins Zimmer tritt. Der Hund weiß allerdings eh, dass er nicht vom Bett gestaubt wird, und legt den Kopf wieder ab. Barbara tätschelt sein Köpfchen und da kommt ihr erst, dass sie sein Fell noch gar nicht berührt hat. Meine Güte, ist das weich. Und fluffig. Wo ist denn da der Körper, fragt sich Barbara, der Hund, der ist ja weniger als nichts. Sie legt sich auch auf’s Bett, lässt sogar die Schuhe an. Wozu liegt da denn eine Tagesdecke, wenn nicht dafür. Hündchen und Frauchen schauen sich zufrieden an. Gut ist’s. So könnt’s bleiben. Schade, dass so ein Hund nicht schnurren kann. Irgendein Geräusch der Zuneigung wär jetzt schön. Barbara flüstert Liebkosungen in die Stille. Das Hündchen schmatzt zufrieden.

      Dass Barbara mal einen so prächtigen Zuchthund hätte, das hat wirklich niemand geahnt. Frauchen und Hündchen schließen die Augen und dösen, bis sie beide einschlafen. Den Luxus eines Schläfchens am helllichten Tage hat sich Barbara bis vor D.s Tod kein einziges Mal in ihrem Leben gegönnt. Wie gut sich das anfühlt, einfach himmlisch, denkt sie sich und schlummert ein.

      Dass Barbara nicht im Himmel angekommen ist, wird ihr klar, als sie vom Kratzen an der Terrassentür, in Verbindung mit dem ihr noch nicht geläufigen Winseln geweckt wird und in ihr sofort Alarmbereitschaft herrscht. Der Hund muss pieseln. »Obacht! Jetzt aber raus, sofort, mach mir ja nicht auf den Teppich, sonst war’s das mit uns beiden, Freundchen. Weißer Flokati. Wehe, du scheißt mir in die Bude!«

      Sie springt aus dem Bett, reißt eine andere Terrassentür auf. Der Hund schießt sofort in Richtung des Gebüschs, aus dem er vorhin heraussprang und verrichtet sein Geschäft. »Hast mir eh nicht ins Bett, oh weh, lieber gleich nachschauen.« Sie tastet die Bettwäsche ab. »Puh, Glück gehabt. So ein Braves!« Barbara ist dermaßen erschrocken, erst über eine potenziell nasse Tagesdecke, dann weil sie befürchtet, ihr neuer Begleiter rennt jetzt einfach denselben Weg zurück, dorthin, woher er eben gekommen ist, und sie würden sich nie wieder sehen, so rennt sie in die Küche und greift nach einer Packung Wurst, eilt auf die Terrasse, reißt das Papier auf und lockt das Hündchen so, wie sie einst ihren Mann anlockte: mit dem Versprechen auf eine Gaumenfreude, auf ein bequemes Leben, auf nie enden wollende Bedienung. Auf puren Mittelstandsluxus. Sie raschelt und ruft und müht sich ab, völlig überflüssig.

      Der weiße Spitz kommt dahergetappt und schnappt gierig nach der Wurst, Barbara lässt ihn hüpfen und springen, und es erfüllt sie mit so einer großen Freude, dass sie erst jetzt bemerkt, wie spät es eigentlich ist. Sie manövriert den Hund ins Haus, legt ihm noch ein paar Scheiben unterschiedlichen Aufschnitts auf seinen Teller wie einst D. und verlässt den Bungalow. Seit Langem war sie nicht mehr so motiviert, in die Welt hinauszutreten.

      Heute aber. Endlich eine Aufgabe. Und zwar eine große.

      Eilig marschiert sie zum Auto, steckt sich eine Vogue an, fährt aus der Einfahrt und in Richtung Industriegebiet. Nächster Halt: Haustierbedarf. Im Radio kommen Powerballaden der 80er. Oh, sie fühlt sich gut und singt mit. Wann hat es so etwas zuletzt gegeben? Das fragen sich nicht nur die Nachbarn, die sie so eilig davonbrausen sahen, sondern auch diejenigen, die sie singend an Ampeln angaffen.

      Den Weg kennt sie blind. Durch die Wohngebiete, über die Brücke, an der Gärtnerei, am Möbelhaus mit großem Sonderverkauf vorbei, an den Fast-Food-Ketten entlang zum Baumarkt, dahinter der Discounter, das Back-Center, und da kommt er auch schon, der Laden für Mausi, Katzi, Hundi und alles Mögliche dazwischen, neben dem Schuh-Outlet, dem Mega-Action-Markt und den Billig-Kleiderläden, aus denen der Plastikgeruch über den gemeinsamen Parkplatz weht. Hier reihen sich auf der einen Ortshälfte die Konsumtempel aneinander, damit auf

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