Spitzenreiterinnen. Jovana Reisinger
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»Endlich sehen wir uns wieder!«
»Ich freu mich so!«
»Ich mich auch!«
»Na wunderbar, setz dich doch hierhin.«
»Wein?«
»Ja, unbedingt! Und eine Flasche Wasser, aber ohne Gas.«
»Haha, nein, nein, ganz unaufgeregtes Wasser bestellen wir jetzt.«
»Nicht, dass noch eine Katastrophe passiert, hihi.«
»Meine Güte, lang ist’s her!«
Die Theaterbesucher wissen schon, was sie wollen, und deuten hin zu der einsamen Frau, die sich heute offensichtlich mal was gönnt, was ein Gefühl der Zugehörigkeit bei den Theaterbesuchern auslöst: »Eine solche Etagere – aber mit Hummer!«
»Und eine ohne Hummer, aber dafür mit doppelt so vielen Austern.«
»Eine kleine Vorspeise?«
»Nein, nein, wir haben auch gar nicht so viel Zeit.«
»Sehr schön, perfekte Wahl. Darf’s ein Aperitif sein?«
»Ja, unbedingt!«
»Bitte, was empfehlen Sie?«
»Jawoll, das nehmen wir.«
Die Familie versteht, was bestellt werden muss und winkt den Kellner heran.
»Bitte, wir hätten a gern so eine Platte.«
»Mit Hummer?«
»Na, den nicht.«
»Mit den kleinen schwarzen Schnecken?«
»Ja, freilich, und mit den großen, so wie bei ihr.«
»Vorzügliche Wahl. Sind Sie zum ersten Mal bei uns?«
»Ja, schon.«
»Ach, wie wunderbar, Sie werden begeistert sein von unseren Köstlichkeiten!«
»Wie viele brauch’ ma denn da, für uns vier?«
»Ich würde Ihnen zwei empfehlen und eine Portion Austern extra, sieben Stück?«
»Ja, guad.«
»Darf es noch das passende Glas Champagner dazu sein? So wird der Genuss erst perfekt.«
»Na dann, freilich!«
»Für die Erwachsenen, versteht sich.« Gelächter. Zum Glück ist die erste Hürde überwunden, das Essen ist bestellt, der Kellner ist freundlich.
Der Mann, die Frau, die Tochter, der Sohn nicken und legen sich die Servietten auf die Schöße. Jetzt heißt es abwarten und die Vorfreude aushalten.
Lisa nickt zustimmend und schlingt weiter die Meerestiere, als wäre sie bei einem Wettbewerb. Wann hat sie zuletzt gegessen und auch noch so gut? Lisa schenkt sich nach, sie säuft, sie stößt auf, sie wischt sich mit der fettigen Hand das Gesicht ab. Kräuter zieren ihre Mundwinkel und Wangen. Wo ist die ordentliche Frau hin? Das Handy vibriert. Nein, sie ist noch nicht so weit. Sie kann selbst noch nicht glauben, was heute passiert ist. Sie schlürft an der nächsten Auster und wird zusehends gieriger.
Die Theaterbesucher amüsieren sich herrlich über diesen Anblick und prosten ihr zu. Der Kellner kriegt von dem ganzen Spaß leider nichts mit, es strömen die Gäste nur so herein in die Stube. Diesmal stürmen sie sogar voraus und lassen sich erst gar nicht platzieren.
Die scheinen hier richtig zuhause zu sein, denkt sich der Familienvater, das muss ein Leben sein! Seine Frau schaut lieber den anderen Frauen zu, unsicher, ob lustvoll oder abgestoßen.
Schon wieder wird die Tür aufgerissen, und zwei Paare suchen sich jeweils die romantischsten Ecken für ihre Rendezvous. Schließlich ist heute Valentinstag. Dieses Restaurant schreit nach Romantik, die Gewölbe, die Polster mit ihrem schönen Muster, die Auswahl! Die Tische füllen sich, und bald gibt es kaum noch freie Plätze.
Lisa kann ihr Glück kaum fassen und ruft nach einer neuen Flasche Schampus. Seit Stunden sitzt sie hier und endlich kommt Leben in die Stube. Der Kellner rennt hin und her. Freudig und gierig werden die Etageren der Tischnachbarn begutachtet, und es wird stets eine noch größere bestellt.
»Mehr Hummer!«
»Mehr Austern!«
»Mehr Garnelen!«
»Mehr Schnecken!«
»Mehr Saucen!«
»Mehr Eis!«
Da kommt endlich die Schneckenplatte zur niederbayerischen Familie, für die seit ihrer Reise in die Provence solch eine Schnecke eine unvergleichliche Delikatesse ist. Ein Staunen schreibt sich in ihre Gesichter, und Lisa wünscht einen guten Appetit, malt sich aus, sie könnte noch einmal mit dem Essen von vorn anfangen. Das traurigste am guten Essen ist ja der Moment, wenn es vorbei ist und der Bauch zu voll. Es erfüllt sie der Neid. Sie blickt auf ihren Tisch, reißt die Hand in die Luft: »Champagner!«
»Jawoll!«, rufen die Theaterbesucher zurück.
Der Kellner bringt ihr eine neue Flasche. So wie Lisa ausschaut, mit Öl-, Fett- und Saucenflecken auf ihrem weißen Hemd, mit ihren müde herunterhängenden Gesichtszügen, in der Art, wie sie konzentriert einatmen muss, bevor sie ernsthaft sprechen kann, mit der Schlaffheit in den Händen, die das Besteck halten, bräuchte sie vielmehr ein Gespräch, frische Luft oder ein Bett. Stattdessen bekommt sie, wonach sie verlangte. Sie findet das lustig. Hier bekommt sie alles, was sie will.
Lisa schenkt sich nach, verschüttet, fängt an zu lachen. Es ist kein freundliches, peinlich-berührtes Damenlachen, es ist ein lautes, tief aus dem Inneren kommendes, ein dreckiges Lachen. Die Theaterbesucher erschrecken sich förmlich, dass so etwas aus einer so zierlichen Frau herauskommen kann und stimmen sich dann selbst in ein Gelächter ein – allerdings in ein feindliches. Die haben sich auf das Betrachten anderer eingestellt, das Aburteilen. Warum nicht auch hier damit beginnen? Der Familienvater schaut entsetzt, und die Blicke, die Lisa gerade auf sich zieht, sind entwaffnend boshaft. Doch Lisa sieht diese Blicke nicht. Sie sieht die beinah verputzte Edelplatte Meeresfrüchte, die sie sich an diesem scheußlichen Tag bestellte, um sich besser zu fühlen, sieht die Champagner-Flasche, in der es schön aufregend prickelt und die sie kichern lässt. Sie sieht ihr Telefon, das ständig aufleuchtet, und sie sieht an ihrem Körper herunter. Mit großer Geste greift sie sich die nächste Auster, bemüht sich erst gar nicht um ein Besteck, sondern saugt und schlürft und schlabbert, holt sich die nächste, jetzt werden noch die letzten Reste gegessen, hergeschenkt wird nichts. Und warum Zeit mit Formalitäten verschwenden, wie Besteck und Etikette? Wen interessiert das schon? Wen interessiere ich schon? Ich bin nichts. Nichts wert, nicht vorhanden. Schaut mich an, ich bin eine Versagerin, alles an mir ist falsch.
Das Paar links von ihr betrachtet sie, und die