Gottloser Westen?. Alexander Garth

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aus. In den Medien werden christliche Überzeugungen als veraltet, überholt und reformbedürftig apostrophiert. Gleichzeitig werden die Versuche vor allem von evangelischen Kirchenvertretern, das Christentum an die Entwicklungen unserer Zeit anzupassen, verhöhnt oder zumindest nicht ernst genommen. Die christliche Glaubensvermittlung in Elternhaus und Schule ist weitgehend weggebrochen. Kinder werden nicht mehr wie früher in den Glauben »hineingeboren«. Im Gegenteil, der Glaube erscheint ihnen als eine fremde Welt, in die sie erst mühsam durch Jugendleiter, Pfarrer, Konfirmandenunterricht, Jugendkirche hinein sozialisiert werden. Christliche Überzeugungen werden schon heute nur von einer Minderheit geteilt. Obgleich (noch) weit über 50 % der Menschen in Deutschland einer Kirche angehören, können sich doch nur wenige Kirchenmitglieder mit zentralen Aussagen des christlichen Glaubens identifizieren, wie sie z. B. im apostolischen Glaubensbekenntnis zusammengefasst sind. Zwar bezeichnen sich die meisten Kirchenmitglieder als religiös, »definieren aber den Inhalt ihres Glaubens ebenso wie ihre Vorstellungen von Gott eher diffus«, wie eine Sinus-Studie 2013 unter deutschen Katholiken ergab.7 Bei Protestanten dürfte die Zahl derer, die mit der christlichen Kernbotschaft etwas anfangen können, noch geringer ausfallen. In den beiden großen Kirchen ist eine Light-Version des Glaubens der Mainstream, von der Basis bis hin zu den kirchenleitenden Amtsträgern.

      Drittens: Religion im öffentlichen Raum wird immer mehr zurückgedrängt. Die schwindende Zahl der Kirchenmitglieder reduziert den Einfluss der Kirche in der Gesellschaft. Glaube ist Privatsache geworden. Spiel und Genuss, Konsum und Freizeit werden zu primären Zielen des Lebens und zum Religionsersatz. Die Kirchen hierzulande haben sich schleichend damit abgefunden, dass sie immer mehr aus der Mitte der Gesellschaft verdrängt werden. Das liegt nicht nur daran, dass sie immer kleiner werden. Der christliche Glaube scheint an Attraktivität in weiten Teilen der Bevölkerung abzunehmen. Der Politikwissenschaftler Andreas Püttmann beobachtet eine »Verdunstung« des christlichen Glaubens als gesellschaftlich relevante Größe in Europa. Ein ganzer Kontinent ist dabei, sich von seinem geistlichen und damit langfristig auch von seinem geistig-moralischen Fundament zu verabschieden.8

       1.5 VIER WELTANSCHAULICHE FELDER

      Man kann in Deutschland unter weltanschaulich-religiöser Perspektive vier grundsätzliche Bereiche ausmachen:

      Da ist zum einen das Feld des traditionellen Christentums in katholischer, protestantischer oder freikirchlicher Gestalt. In diesem Feld spielen Kirche, konservative Werte, die christliche Tradition, kirchliche Kultur, klassische Gottesdienste (auch die Freikirchen haben Gottesdienstmodelle, die für sie klassisch sind) eine verbindende Rolle. Dieser Bereich wird gestärkt durch Zuzug aus Polen, Afrika, Südamerika und Indien, besonders dem katholischen Kerala.

      Dann gibt es das atheistisierende Feld, in dem sich Menschen bewegen, die aus sehr unterschiedlichen Beweggründen heraus eine Existenz Gottes verneinen oder zumindest die Frage danach ablehnen. Sie verstehen sich als Areligiöse, Atheisten, neue Atheisten, Agnostiker oder einfach nur Skeptiker. Nicht wenige sind zu einer atheistischen Grundüberzeugung gekommen, weil sie durch die Begegnung mit einem falschen oder vergifteten Gottesbild den Glauben ablehnen. Andere führen naturwissenschaftliche Gründe, wieder andere das Leid der Welt an.

      Einen dritten Bereich bilden die Muslime. Es gibt nicht den Islam, genauso wenig wie es das Christentum gibt. Vielmehr bilden die Muslime eine heterogene Gruppierung, die sowohl radikale Islamisten umfasst wie auch gemäßigte und liberale Gläubige. Allerdings ist der Anteil der sogenannten Hochreligiösen in dieser Gruppe immens.

      Und schließlich viertens ist die Gruppe der Spirituellen zu nennen: Menschen, die religiös sind, vielleicht sogar regelmäßig beten, ein spirituelles Weltbild haben, die sich aber nicht an organisierte Religionsformen binden.

      Während die erste Gruppe, das traditionelle Christentum, abnimmt, wachsen die Felder Atheismus, Islam und spirituell Offene.

      Wie ist es eigentlich um die Zukunftsfähigkeit der Kirche in Deutschland bestellt? Schaut man auf die zurückgehenden Mitgliederzahlen, die Finanzentwicklung und auf die immer wieder diagnostizierte schwindende Relevanz des christlichen Glaubens in Kirche und Gesellschaft, so sehen die Prognosen für die Zukunft dieser ehrwürdigen Institution eher düster aus. Wenn die Kirche weiter als prägende Größe in der Gesellschaft mitwirken will, dann kommen Herausforderungen auf sie zu, die einen Umbau erforderlich machen.

       2. RELIGIÖSES ERWACHEN?

       2.1 EINE IMMER RELIGIÖSERE WELT

      Schaut man von Europa weg, so bekommt man das Bild einer zunehmend religiösen Welt. Global boomt Religion in einem für europäische Geister unvorstellbaren Maße. Die Prognose, dass in einer modernen Gesellschaft Religion sowohl kulturell als auch politisch an Bedeutung verliert und sich selbst säkularisiert, hat sich als falsch erwiesen oder bedarf zumindest einer radikalen Modifikation. Betrachtet man die religiösen Entwicklungen seit 1990 in den meisten Ländern der Erde, so liegt der Schluss nahe, dass der von vielen prophezeite Siegeszug des Säkularismus eine Fehlprognose war und die alte Säkularisierungsthese global gesehen widerlegt ist. In fast allen Teilen der Welt boomt Religion wie nie zuvor, besonders auch das Christentum. Nur in Europa wirkt es eigenartig müde und überaltert.

      Gerade Gesellschaften, die stark im Aufschwung sind und einen intensiven Modernisierungsprozess durchlaufen, öffnen sich dem christlichen Glauben. Ausgerechnet in China, einem immer noch irgendwie kommunistischen Land, ist das Christentum eine Bewegung geworden, die Millionen erfasst. China hat heute mit einem Anteil von schätzungsweise 10 % Christen die wahrscheinlich kraftvollste und bald größte christliche Kirche der Welt. Während es noch zur Zeit der sogenannten Kulturrevolution (1966–1976), in der die Christen grausam verfolgt wurden, gerade knapp 2 Millionen Christen gab, wuchs die Zahl auf heute schätzungsweise 100 Millionen. Besonders in den Städten und unter der akademischen Elite ist der Glaube attraktiv geworden. Das Mercator Institute for China Studies prognostiziert für das Jahr 2030 ein Wachstum der Kirche auf 200 Millionen Christen.9 Diese Zahl ist auch insofern bedeutsam, als dass Kirchenmitgliedschaft (sowohl in einer offiziellen Kirche als auch in einer Untergrundkirche, Hauskirchen genannt) tatsächlich etwas über Glaube und Glaubenspraxis aussagt. Das Phänomen europäischen Christentums, dass viele Kirchenmitglieder in innerlicher und äußerlicher Distanz zu Glaube und Kirche leben, ist in China so gut wie unbekannt. Das gilt auch für andere asiatische Kirchen (wie z. B. Südkorea) und für die meisten afrikanischen Kirchen.

      Das explosive Wachstum der protestantischen Kirchen in Südkorea zeichnet ein ähnliches Bild. In den fünfziger Jahren war Südkorea ein rückständiges Agrarland. Der Anteil von Protestanten an der Bevölkerung betrug gerade ca. 3 %, Katholiken ca. 2,5 %. Im Jahre 2010 wurde das Christentum mit einem Anteil von 29 % der Gesamtbevölkerung zur größten Religionsgemeinschaft des Landes, davon 18,3 % Protestanten. Damit ist die Zahl der Christen um mehr als das Zweihundertfache gestiegen. Dieses unglaubliche Wachstum ging Hand in Hand mit einer umfassenden Modernisierung, Industrialisierung und Urbanisierung, also genau mit jenen Faktoren, die eigentlich eine Säkularisierung forcieren. Heute gehört Südkorea zu den modernsten und religiösesten Nationen der Welt.10

      In Lateinamerika gewinnt man den starken Eindruck, dass sich das religiöse Klima dort nicht abkühlt, wie man es durch die Modernisierung des Kontinents erwarten müsste. Im Gegenteil! Das unglaubliche Wachstum evangelikaler Kirchen, vor allem pfingstlich-charismatischer Prägung, verdeutlicht, dass man eher von Desäkularisierungstendenzen sprechen müsste. In einem Kontinent, in dem die katholische Kirche das Monopol auf Religion hatte, gewinnt eine enthusiastische Form des Protestantismus immer mehr Anhänger. Heute sind rund 20 %, also rund 120 Millionen der über 600 Millionen Lateinamerikaner

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