Gottloser Westen?. Alexander Garth

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gottloser Westen? - Alexander Garth страница 6

Автор:
Серия:
Издательство:
Gottloser Westen? - Alexander Garth

Скачать книгу

und nahm in Menschenrechtsfragen eine unklare Position ein. Es kam vor, dass die Kirche auf der Seite von Diktatoren stand, wie das anscheinend in Argentinien der Fall war. Erst das Zweite Vatikanische Konzil (1962–1966) brachte eine völlige Neuorientierung, durch welche die Voraussetzungen dafür geschaffen wurden, dass die katholische Kirche in der Folge weltweit zu einer Kraft zivilgesellschaftlicher Demokratisierung wurde. Zum Ende des 20. Jahrhunderts erleben wir das Engagement der Kirchen für die Armen, Unterdrückten, Ungebildeten und Ausgegrenzten. Katholische Bischöfe spielen eine fördernde und entscheidende Rolle in den Freiheitsbewegungen Lateinamerikas. Der Erzbischof von San Salvador Oscar Romero trat vehement für soziale und politische Reformen ein und bezahlte seine Opposition zur damaligen Militärdiktatur mit dem Leben. Er gilt als ein führender Vertreter der lateinamerikanischen Befreiungstheologie, die sich für soziale Gerechtigkeit und eine Umgestaltung der Gesellschaft aus dem Geist des Evangeliums engagiert. Der Vatikan beobachtete die katholischen Befreiungsbewegungen mit Skepsis, weil er kommunistische Ideen als eigentliche Antriebskraft dahinter vermutete.

      Der polnische Papst Johannes Paul II. hat in den 1980er Jahren die Menschen zum Widerstand gegen kommunistische Unrechtsdiktaturen angestiftet und damit eine Freiheits- und Demokratiebewegung im damaligen Ostblock mit ausgelöst.20 Die Geschichte der Friedlichen Revolution von 1989 in der DDR belegt die friedensstiftende Kraft und Kreativität der christlichen Religion. Die sogenannte Wende wurde in den Kirchen des Landes geboren. Zu Tausenden versammelten sich die Menschen dort, beteten, diskutierten und hörten das Evangelium des Friedens. Dann zogen sie mit Kerzen auf die Straße, um für Freiheit und für ein Ende des DDR-Regimes zu demonstrieren.21

      Erzbischof Desmond Tutus Engagement für Versöhnung und die Rechte der schwarzen Südafrikaner geschah mit einer eindeutig religiösen Motivation. Nach Monica Toft haben seit den 1970er Jahren religiöse Akteure in den großen politischen Umbruchbewegungen in 63 % der Fälle die Demokratisierung vorangetrieben. Sie nennt viele globale Beispiele, wie es dem religiösen Einfluss zu danken ist, zu Modernisierung, Demokratisierung und wirtschaftlichem Fortschritt einen entscheidenden Beitrag geleistet zu haben. Sie schreibt: »Die letzten vier Jahrzehnte haben gezeigt, dass Religion ein Zerstörer von Diktaturen sein kann, ein Initiator von Friedensverhandlungen und Versöhnung, ein Förderer wirtschaftlicher Entwicklungen und Projekte, ein Befürworter von Frauenrechten, ein Krankheitsbekämpfer und ein Verteidiger von Menschenrechten.«22 Es gibt heute eine unglaubliche Fülle religiös motivierter Initiativen, um gegen Armut, Ungerechtigkeit, Sklaverei, Kinderarbeit, Frauenunterdrückung, Rassismus, Verfolgung anders Glaubender, Bildungsarmut, Frauenhandel, Diskriminierung von Homosexuellen einzutreten und sich für die Nöte der Menschen einzusetzen.

      Die spirituelle Leere des westlichen Materialismus

      Der westliche Materialismus mit seinem Machbarkeitswahn, mit seiner Vergötterung von Wohlstand, mit seiner Ökonomisierung und Sexualisierung weiter Lebensbereiche hat eine spirituelle Verarmung erzeugt, die für viele Menschen außerhalb des abendländischen Kulturkreises weder nachvollziehbar noch erstrebenswert ist. Ein durchrationalisiertes und auf Effektivität getrimmtes Leben schafft eine geistliche Wüste. Der Mensch verliert die religiöse Dimension und findet sich in einer entzauberten Welt wieder, in der er nicht mehr weiß, wer er ist. Das reduktionistische Menschenbild des westlichen Materialismus, in welchem der Mensch eine hochevolutionierte seelenlose Biomaschine ist, die in totaler Diesseitsfixierung und religiöser Sterilität verarmt, befindet sich diametral im Gegensatz zum spirituellen Lebensgefühl eines Afrikaners oder Südamerikaners. Diese erstreben zwar die Modernisierung mit allen ihren guten Früchten, aber ohne die ideologischen Implikate. Überall in der Welt außerhalb des westlichen Kulturkreises gehört das Übernatürliche so fest zum Alltag der Menschen, dass sie Mühe haben, uns Westler samt unserem kritischen Rationalismus zu verstehen. Sie denken, wir atheistisierenden Skeptiker sind spirituell behindert. Sie halten Atheisten sogar für moralisch und intellektuell minderwertig. Eine erfolgreiche Säkularisierung setzt die religionsdistanzierte, von Skeptizismus und Absolutsetzung der menschlichen Ratio geprägte Mentalität des Westens voraus. Da diese aus globaler Perspektive gesehen eher eine Ausnahmeerscheinung ist, kann sich Säkularisierung weltweit nicht durchsetzen. Im Gegenteil! Sie bleibt eine Sonderform, Religion aber boomt.

      Religion als Motor sozialer Transformationen

      Dreimal war ich für mehrere Wochen in Bangalore, Indien, um das Wachstum der Mount Zion Pentecostal Church (KMPC) zu studieren. Die Pfingstkirche hat unter Leitung von Bischof Dr. Francis Jackson in den letzten zwanzig Jahren über dreihundert neue Gemeinden gegründet. Die meisten davon begannen als Kirche der Ärmsten unter den Dalits, den sogenannten kastenlosen »Unberührbaren« in den Slums der Vorstädte. Francis Jackson, der selber einen Dalit-Hintergrund hat und in seiner Jugend Marxist war, kam bei einer Evangelisation, die er eigentlich mit einer jugendlichen Schlägertruppe stören wollte, zum christlichen Glauben. Nach Abschluss des Studiums gründete er in Bangalore eine kleine Gemeinde, die sehr schnell wuchs und sich multiplizierte. Mich interessierten als deutschen Theologen und Gemeindegründer die Gründe für das unglaubliche Wachstum dieser Bewegung. Die Theologie dieser sich multiplizierenden Kirche ist denkbar simpel. Es fällt aber auf, welche große Rolle soziale Faktoren für das Gemeindewachstum spielen. Menschen, die sich dem christlichen Glauben zuwenden, schaffen in den meisten Fällen den langsamen Aufstieg aus der untersten Gesellschaftsschicht in die Mittelschicht. Fast alle Gemeinden, die von der Mount Zion Pentecostal Church gegründet wurden, starteten in den Slums von Bangalore unter den Ärmsten der Armen, den Dalits.

      Überhaupt spielen soziale Gründe für das Wachstum der evangelikal-charismatisch geprägten Kirchen in der sogenannten Dritten Welt eine entscheidende Rolle:

      Erstens zieht die Hinwendung zum christlichen Glauben meistens einen Mentalitätswandel nach sich. Wer mit fernöstlichen Kulturen tiefer in Berührung kommt, dem fällt auf, dass Asiaten eher dazu tendieren, sich mit ihrem Schicksal abzufinden, das sie als von höheren Mächten gegeben akzeptieren. In Indien wird das durch die hinduistische Lehre vom Karma verstärkt, nach der die Lebensbedingungen eines Menschen das Resultat seines vorangegangenen Lebens sind.23 Der christliche Glaube dagegen betont die Eigenverantwortung und Selbstbestimmung des Menschen: »Mit Gottes Hilfe kann ich meine Lebensumstände verändern, und mit Disziplin und Fleiß etwas erreichen im Leben«. Im Hinduismus ist man schicksalshaft auf seine Vergangenheit festgenagelt, die sich auswirkt bis in das nächste Leben. Die Kernbotschaft des christlichen Glaubens aber lautet, dass Gott durch die Selbsthingabe Jesu am Kreuz Sünde vergibt und einen Neuanfang schenkt. Der Mensch wird von seinem belastenden Schicksal befreit und erfährt die enorm bevollmächtigende Chance, ein besseres Leben zu führen. Das setzt einen sozialen Motivationsschub frei.

      Zweitens leben die meisten Pfingstkirchen als Gemeinschaften, in denen Werte wie Verbindlichkeit, Treue, maßvoller Genuss und ein hohes Arbeitsethos prämiert werden, während Alkohol, Drogen, billiges Vergnügen und außerehelicher Sex verpönt sind. Das setzt erhebliche Ressourcen frei, die nun in den sozialen Aufstieg, in die Familie, in Bildung, Arbeit und Kirchgemeinde investiert werden. Eltern, die oft kaum lesen und schreiben können, kommen nun in die wirtschaftliche Lage, ihre Kinder auf eine gute Schule schicken zu können.

      Drittens sind Pfingstgemeinden interessante und wichtige Orte für Menschen, die gute Jobs suchen. Man trifft dort Leute, die verlässlich in Handel, Industrie oder im Dienstleistungssektor arbeiten. Gemeinden bilden Kommunikationsstrukturen, durch die man den Anschluss zu einem erfolgreichen Arbeitsleben bekommen kann, wenn zum Beispiel ein Gemeindemitglied seinem Chef einen Mitchristen als zuverlässigen und motivierten Mitarbeiter empfiehlt.

      In Lateinamerika arbeiten die Pfingstgemeinden besonders erfolgreich in den suburbanen Randgebieten der Millionenmetropolen, in den dichtbesiedelten und von Armut und Kriminalität beherrschten Favelas und Slums. Hier sammeln sich jene, die vor der Chancenlosigkeit der ländlichen Gebiete in die Städte geflohen sind auf der Suche nach einer Zukunft. Die Pfingstgemeinden mit ihrem

Скачать книгу