Schwabens Abgründe. Группа авторов

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Schwabens Abgründe - Группа авторов

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dreckigen Füße, hält Wollsocken in der Hand und nickt mir aufmunternd zu.

      Wo hat er die her? Halten Polizeireviere warme Strümpfe für Menschen, die verschwunden waren und ohne Schuhe zurückkehren, bereit?

      »Danke«, sage ich, aber es klingt mehr nach dem Krächzen einer bösen Hexe als nach Aschenputtel.

      Er hält die eine Socke tatsächlich so, dass ich mit dem Fuß hineinschlüpfen kann, danach die zweite. Nachdem meine Füße versorgt sind, steht er auf. Erst jetzt sehe ich, dass sich hinter dem Tresen zwei weitere Beamte eingefunden haben. Sie schauen mich an, als wäre ich etwas ganz Besonderes. Ja, das bin ich. Ich bin die, die es geschafft hat, die Frau, die entkommen ist.

      »Frau Martin?«

      Die Stimme der Frau trifft mich völlig unvorbereitet. Wieder zucke ich zusammen. Ich habe sie nicht kommen sehen, die Frau in Jeans und weißer Bluse. Aber sie lächelt, so, wie der Polizist gelächelt hat. Und sie zeigt mit der Hand auf einen Flur mit vielen Türen, einen Flur, den ich ebenfalls noch nicht wahrgenommen habe.

      »Mein Name ist Dr. Hofner«, sagt sie. »Ich bin Psychologin. Es ist alles in Ordnung. Kommen Sie bitte, wir möchten Ihre Aussage aufnehmen.«

      Sie geleitet mich in ein Zimmer – PVC-Boden, ein Tisch mit vier Stühlen, eine Neonröhre – und bittet mich, Platz zu nehmen.

      »Ich möchte nach Hause.« Ich bleibe an der Tür stehen.

      »Das verstehe ich sehr gut«, sagt sie. »Doch wir brauchen Ihre Aussage. Die ist für uns sehr wichtig. Das verstehen Sie sicher.«

      Natürlich verstehe ich das, sie müssen schließlich meinen Entführer festnehmen. Er muss bestraft werden. Für das, was er mir angetan hat. Also gehe ich hinein, in diesen Raum, der mehr nach Zelle aussieht, und setze mich.

      Die Frau setzt sich mir gegenüber. Wie war ihr Name doch gleich? Ich habe es vergessen. Ob ich nachfragen soll?

      Ich frage nicht, denn es ist nicht wichtig. Bald bin ich wieder zu Hause, und alles andere spielt keine Rolle.

      Nun betritt ein Mann den Raum, er stellt sich als irgendein Kommissar vor. Er lächelt nicht, sondern ist sehr ernst. Auf den Tisch legt er Papiere. Sicher meine Akte. Meine Vermissten-Akte.

      »Frau Martin«, sagt er. »Können Sie …«

      Martin. Ich weiß, dass ich es bin, und trotzdem bin ich mir unsicher. Weil mich so lange niemand mehr so genannt hat. Weil …

      »Frau Martin?« Der Polizist schaut mich fragend an.

      »Entschuldigung«, sage ich automatisch und merke selbst, dass ich den Kopf einziehe. »Ich wollte Sie nicht verärgern. Ehrlich.«

      Nun lächelt auch der Polizist. Keine fiese Fratze, sondern ein warmes Lächeln. Und diese Wärme kommt bei mir an. Berührt mich. »Es ist alles gut«, sagt er.

      Gut, hallt das Echo in mir nach, und ich spüre, wie sich meine Muskeln allmählich wieder entspannen. Alles wird gut.

      »Können Sie mir sagen, was in den letzten Tagen passiert ist?«

      »In den letzten 527 Tagen? Ich kann nicht … ich meine …« Ich breche ab, starre auf meine Hände.

      »Sie sind hier in Sicherheit, Frau Martin«, versichert er mir. »Können Sie mir sagen, was in den letzten Stunden passiert ist? Wo waren Sie in den letzten Stunden? Wie sind Sie hierhergekommen?«

      Ich schließe die Augen, atme tief ein und wieder aus und versuche, der Angst, die in jedem Winkel meines Körpers und meiner Seele sitzt, die gegen die Freude der Freiheit kämpft, Herr zu werden.

      »Er kann dir nichts tun«, flüstere ich und lasse die Bilder der Vergangenheit auf mich zurasen. Bedrohlich wie ein ganzes Heer von Kriegern, die mich vernichten wollen. Aber ich lasse mich nicht vernichten, ich bin in Sicherheit. Alles wird gut.

      »Die letzten Stunden, sie waren wie immer. Ein fester Ablauf. Kein Abweichen. Immer genau dasselbe. Ich war im Kellerraum eingesperrt. Ein Kellerraum aus roten Backsteinen und mit einem Betonboden. Mit einer blauen Eisentür, die so einen Schlitz hatte. Zum Reinschauen … zum …« Es ist so heiß hier. Ich kann nicht atmen. Ich kann nicht …

      »Trinken Sie einen Schluck Wasser«, sagt diese Ärztin. Das war sie doch, eine Ärztin. Oder? Wie hieß sie noch mal?

      »Frau Martin, trinken Sie.« Sie schiebt einen weißen Plastikbecher über den Tisch.

      Ich blicke von ihr zu ihm, schaue zur Tür und dem Mann in Uniform, der dort steht. Es sind drei. Drei Personen, die mich beschützen können. Vor ihm. Ich trinke. Schnell. Dann bin ich schneller zu Hause.

      »Lassen Sie sich Zeit«, sagt der Polizist.

      Hatte er mir seinen Namen überhaupt gesagt? Aber eigentlich ist das egal, denn eigentlich sind Namen nicht wichtig.

      »So eine Klappe, in der Tür«, wiederholt er meine Worte.

      Ich nicke. »In der Wand, gegenüber der Tür, war ganz oben ein schmaler Streifen. Ein kleines Fenster. Ich kam nicht dran. Der Raum muss fünf oder sechs Meter hoch gewesen sein. Ein Keller. Verstehen Sie? Ein düsterer Kerker aus rotem Backstein.«

      Der Polizist nickt, er versteht mich.

      »Aber immerhin hatte ich ein wenig Licht, und so konnte unterscheiden, ob Tag oder Nacht war. So konnte ich zählen.«

      »Zählen?«, fragt er.

      »Die Tage. 527. Ich habe mit kleinen Bruchstücken des Backsteins Striche auf dem Boden gemacht. 527 Striche. Verstehen Sie?«

      »Ja, ich verstehe.«

      Erst jetzt fällt mir auf, wie weich seine Stimme ist. Weich, wie dicker dunkelroter Samt.

      »Frau Martin, Sie sagten, dass er Sie dort eingesperrt habe. Waren Sie nur in diesem Kellerraum oder durften Sie diesen Raum ab und zu verlassen? Um auf die Toilette zu gehen?«

      Ich schüttle den Kopf und starre dabei wieder auf meine Hände. Blutverkrustete Hände. »Nur der Raum. Ein Eimer war meine Toilette. Den hat er einmal am Tag gewechselt. Und einmal am Tag durfte ich meine Zähne putzen. Da brachte er mir eine Schüssel mit Wasser, eine Holzzahnbürste und Zahnpasta. Er hat mich dabei immer genau beobachtet, mich nicht eine Sekunde aus den Augen gelassen. Und er hat mich gezwungen, mich zu waschen. Dafür musste ich mich ausziehen. Nackt auszie… Ich wollte nicht … wollte meine Kleider nicht ausziehen …, weil ich … Aber als ich mich geweigert habe, hat er mich geschlagen. Mit der Faust ins Gesicht. Als ich am Boden lag, hat er mich getreten. Mehrfach. Es tat so weh. Dann hat er seine Hose geöffnet … er hat … mich angepinkelt. Gelacht hat er und gesagt, dass ich mich jetzt ausziehen müsste, weil ich sonst für immer und ewig nach seiner Pisse stinken würde.«

      Ich schlucke, versuche, nicht zu hyperventilieren, mich auf die Tatsachen zu konzentrieren. »Ich habe mich ausgezogen und gewaschen. Und er hat dabei zugesehen. Nur zugesehen. Er hat mir neue Kleider gebracht. Kurze, durchsichtige Kleider, Fummel, die aussahen, als würden sie irgendeiner Prostituierten gehören. Überall hat die Haut durchgeschaut. Und das, obwohl ich in einem Keller eingesperrt war. Es war kalt. Überall nur Stein und Beton. Backstein. Die

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