Schwabens Abgründe. Группа авторов

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Schwabens Abgründe - Группа авторов

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beibringen, mit Messer und Gabel zu essen, erhielt ich meine Lektionen, wie ein Messer in meiner Hand den Lebensfaden der Zielperson lautlos und rasch durchtrennt. Und wie eine Glock zerlegt, gesäubert, zusammengesetzt und präzise abgefeuert wird. So wie andere Kinder in die Tanzschule geschickt werden, machte man mich mit allen Kampftechniken vertraut, die darauf ausgerichtet sind, größtmögliche Schäden am Körper meines Gegenübers zu verursachen – bestmöglich mit letalen Folgen. So wie andere Eltern ihre Kinder ermutigen, Freundschaften zu schließen, tätowierte meine Mutter mir in den rechten Oberarm: Nur die Familie zählt. So wie andere Kinder unterstützt werden, einen Schulabschluss zu machen, bestimmte der Patron, dass ich keinen brauchen werde.

      Ich gehöre zur Familie der Assassinen, mit dem Hauptsitz in einer Villa auf dem Stuttgarter Killesberg. Dafür brauche ich nur eine Ausbildung – und die soll heute zum Abschluss gebracht werden.

      Es ist so weit. Sie rufen nach mir. »Bellona«, rufen sie – die Göttin des Krieges.

      Ich trete vor den Spiegel, richte meine blonde Pagenschnitt-Perücke und das dunkelblaue Kostüm und sehe mich das letzte Mal in meinem Zimmer um. Ein flüchtiger Kontrollgriff an die rechte Blazertasche, die durch ihren voluminösen Schnitt verbirgt, dass sich etwas darin befindet, gibt mir mehr Sicherheit als all die Jahre meines Drills. Es ist das Erbe meines Großvaters. Das Einzige, was ich je von ihm gewollt habe.

      Mein Bewacher vor der Zimmertür tritt zur Seite, als ich diese öffne. Sie trauen mir nicht, bevor sie nicht etwas in der Hand haben, das mich für immer an die Familie bindet. Deshalb werden sie heute alles auf Video aufnehmen. Ein zur Initiation gehörendes Ritual, so sagen sie. Aber ich weiß, was wirklich dahintersteckt. Sollte mir trotz aller Maßnahmen, die sie über die Jahre hinweg ergriffen haben, doch der Defekt anhaften, werden sie das Video nicht der Polizei zuspielen. Nein, es wird ganz altmodisch im Briefkasten des Vaters landen, der ab heute den Rest seines Lebens um seinen Sohn – meine Zielperson – trauern soll.

      Der Defekt. Ich war sieben Jahre alt, als mein Cousin Viktor den Auftrag erhielt, meinen älteren Bruder zu exekutieren. Denn mein Bruder hatte diesen Defekt – er hatte ein Gewissen, und er wollte aussteigen.

      »Lektion Nummer eins«, haben sie zu mir gesagt.

      An diesem Tag habe ich die Verbindung meiner Gedanken zu meiner Mimik gekappt. Meine wahren, verräterischen, für mich lebensgefährlichen Gedanken befinden sich seitdem in den Tiefen meines Daseins, niedergedrückt von der Gewissheit, dass das Bestreben, aussteigen zu wollen, dort endet, wo sich mein Bruder befindet. Aber meine Gedanken existieren, sie sind lebendig und gierig, an die Oberfläche vorzudringen, um sich zu zeigen.

      Ich gehe die Treppe zur Halle im Erdgeschoss hinunter und weiß, dass es nach heute kein Zurück mehr geben wird.

      Dort steht sie, die Familie. Mein Vater erwartet mich an der untersten Treppenstufe. Seine Gesichtszüge lassen keinen Zweifel daran, was er von mir erwartet. Mach mir und deiner Familie Ehre, wage es nicht, mich zu enttäuschen, erweise dich würdig. Er küsst mich auf die linke, dann auf die rechte Wange und reicht mich weiter. Erst meine Onkel, dann meine Cousins und zum Schluss meine Mutter. Sie drückt mich an sich und sagt: »Ich bin so stolz auf dich.«

      Wie kann sie nur.

      Mein Cousin Viktor tritt vor. »Hier, nimm, das wirst du brauchen.« Er drückt mir eine Mappe mit Unterlagen und eine Visitenkarte in die Hand.

      Luxusimmobilien für gehobene Ansprüche, lese ich darauf. Tamara Gerling, mein Projekt-Name.

      »Und das«, fährt Viktor fort. »Ein Messer ist die beste Waffe für das erste Mal. Sieh ihm dabei in die Augen. Es wird dir gefallen, was du zu sehen bekommst.«

      Ich imitiere sein Lächeln, das muss reichen. Alle wissen es: Mit dem Stoß der Klinge in das Herz meiner Zielperson sickert deren Blut aus den Herzkammern unbrauchbar in den Körper und meine ebenso unbrauchbare Unschuld aus mir heraus. Gleichzeitig wird das unwiderrufliche Band geknüpft, das mich zu einer Assassine macht.

      Ich stecke das Messer in die mit Carbonfaser verstärkte Innentasche meines Blazers und halte meine Hand in Richtung meines Onkels fordernd auf. Er betreibt eine Autovermietungsfirma und ist für den Fuhrpark der Familie zuständig. »Schlüssel«, sage ich nur.

      Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass meinem Vater mein fordernder Ton gefällt. Er nickt meinem Onkel zu. Aber ich sehe noch etwas anderes, während mir der Autoschlüssel in die Hand gedrückt wird. Mein Vater gibt meinem Cousin ein Zeichen. Es ist das charakteristische Nicken, das nur dem Patron zusteht, das dem Empfänger erlaubt, bis zum Äußersten zu gehen.

      Endlich bin ich allein. Es ist eine trügerische Kontrolle über mein Leben, denn natürlich folgen sie mir in sicherem Abstand, während ich in einem Mini quer durch Stuttgart fahre. Ich lasse mir Zeit, dabei ist es geradezu verlockend, jetzt schon auszubrechen, Gas zu geben, sie abzuhängen. Aber wozu? Allein, ohne Hilfe kann niemand entkommen. Sie würden mich im Nu finden, denn sie haben alle wichtigen Behörden infiltriert. Die Polizei, Sozialämter, Zulassungsstellen, Jobcenter, sogar in einem Frauenhaus haben sie sich eingenistet. Überall. Der Kern der Familie wird zu Assassinen ausgebildet, die Peripherie umgibt uns wie ein Nebel, um uns zu verbergen, zu schützen und uns mit lukrativen Aufträgen zu versorgen.

      Ich parke auf dem mit Kies belegten Vorplatz der Villa an der Weinsteige, in der ich meine Zielperson treffen werde, und zwinge mich, keinen Blick auf den kleinen Geräteschuppen am Rand des Grundstücks zu werfen. Ich schätze, drei Assassinen werden darin dicht gedrängt sitzen und mit ihren Blicken an den Bildschirmen der mobilen Überwachungsstation hängen, um über meine Schritte innerhalb der Villa zu wachen, denn in fast jedem Zimmer haben sie Videokameras installiert.

      Als ich die Haustür öffne, schlägt mir die Vergangenheit von einhundert Jahren entgegen. Ich nehme eine vordergründige Mischung aus Gerüchen wahr: Parfüm, Schweiß, Feuchtigkeit und Moder, aber auch die Süße und die Lebendigkeit von Holz. Ich stelle mich in die Mitte der Halle, schließe meine Augen und überlasse meinen Sinnen die Gewalt über meine Instinkte. Sie ertasten jede Oberfläche, erspüren jede noch so kleine Vibration, sie folgen dem fluchtartigen Krabbeln einer Spinne und melden mir jede Art von Anwesenheit. Von dem Schatten hinter dem milchigen Fensterglas in der Küchentür weiß ich, bevor ich meine Augen öffne, bevor der feine Duftfaden eines Aftershaves meine Rezeptoren erreicht.

      Erst einmal mache ich Krach, öffne eine Tür nach der anderen, um das Licht der benachbarten Zimmer in die Halle strömen zu lassen. Zuletzt ist die Küche dran. Ich stoße die Tür auf, greife gleichzeitig mit meiner Rechten nach dem Messer in der Blazertasche und drücke die Klinge dem Mann hinter der Tür gerade so fest an die Kehle, dass noch kein Blut fließt, aber jede Bewegung seinerseits zu einer gravierenden Verletzung führen wird.

      »Verdammt, was machst du hier?«, fauche ich Viktor an, das Messer noch immer an seine Kehle gedrückt. »Das war so nicht abgemacht.«

      »Nimm das Messer runter«, sagt er mit einem Grinsen im Gesicht.

      Aber mich kann er nicht täuschen. Für einen winzigen Moment habe ich die Angst in seinen Augen gesehen. Er hatte also nicht damit gerechnet, dass ich ihn packen könnte. Ich würde mal sagen: fatale Fehleinschätzung.

      Langsam lasse ich das Messer sinken, kann mir aber nicht verkneifen, ihm einen wütenden Stoß mit der unbewaffneten Hand zu versetzen. »Ich sollte doch allein in der Villa sein.«

      »Planänderung, sie haben …«

      Ein schrilles Klingeln übertönt seine Worte. Ich wende mich um. An der Wand hinter mir schlägt ein

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