Schwabens Abgründe. Группа авторов

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damit er meinen Körper anglotzen kann. Jeden Tag. Immer das Gleiche. Vor seinen Augen ausziehen, waschen und den Fummel wieder anziehen.« Ich schaue dem Polizisten in die Augen. »Und er hat hinter der Tür gesessen, durch den Schlitz gegafft und dabei …« Ich will die Worte nicht aussprechen, will sie nicht hören.

      »Dabei was?«

      »Das wissen Sie doch!«, schreie ich. Mein Speichel spritzt auf den Tisch, bleibt in feinen Tröpfchen darauf liegen.

      Der Polizist hält meinem Blick stand, sagt nichts. Er lässt mir Zeit und nickt schließlich. »Haben Sie sein Gesicht gesehen?«

      Ich bedecke mein Gesicht mit den Händen, versuche, mich zu erinnern, doch ich sehe immer nur seine Augen. Er hat eine Sturmhaube getragen, wenn er den Raum betreten hat.

      Ich lasse die Hände sinken. Meine Hände, an denen sein Blut klebt. »Grün«, sage ich.

      Feine Falten ziehen sich über die Stirn des Polizisten, als er die Augenbrauen fragend zusammenzieht.

      »Seine Augen«, sage ich, »sie sind grün. Er hat eine Maske getragen. Sein Körper ist sportlich gebaut, und er ist groß.«

      Er wirft der Ärztin einen kurzen Blick zu. Ich hatte sie vergessen, so still sitzt sie da, schreibt mit, beobachtet mich.

      »Hat er Sie je …«, beginnt er.

      »Vergewaltigt?«, vollende ich den Satz, bevor er sich der Peinlichkeit hingeben muss, es auszusprechen. »Nein, hat er nicht. Dazu war er zu feige.« Ein fahler Geschmack breitet sich ich in meinem Mund aus. »Immer, wenn er den Raum betreten hat, musste ich mich mit dem Gesicht zur Wand stellen. Er hat sich hinter mich gestellt. Erst weiter weg, um mich zu begaffen. Dann kam er einen Schritt näher. Und noch einen. Bis ich seinen keuchenden Atem in meinem Nacken spüren konnte.«

      Mir wird schlecht. Schnell greife ich nach dem Plastikbecher, trinke gegen die Übelkeit an. Die Hälfte des Wassers verfehlt meinen Mund, rinnt über mein Kinn, tropft auf die Decke, die noch immer über meinen Schultern liegt. Die goldene Decke.

      »Brauchen Sie eine Pause?«, fragt die Frau, und mir fällt ein, dass sie eine Psychologin ist.

      Obwohl ich mich hundeelend fühle, schüttle ich den Kopf. Wenn ich es schnell hinter mich bringe, komme ich schneller nach Hause, schneller in mein altes Leben zurück.

      »Bitte sagen Sie, wenn Sie eine Pause brauchen«, sagt sie. »Wir können das Gespräch jederzeit unterbrechen.«

      Ich wende mich wieder dem Polizisten zu. »Danach hat er meine Zelle verlassen, mir Essen hingestellt und den Kloeimer ausgetauscht. So hat er es jeden einzelnen Tag gemacht.«

      Als der Nachhall meines letzten Wortes verschwunden ist, bleibt nur Stille übrig. Genau die Stille, die mit mir in diesem Kellerloch gelebt hat.

      Ein Geräusch, Quietschen, die Tür schwingt auf. Die Metalltür. Ruckartig stehe ich auf. Der Stuhl fällt um. Er ist es. Ganz sicher ist er es.

      Aber es ist nur ein weiterer Polizist, der hereinkommt. Nun steht auch die Psychologin auf, kommt um den Tisch herum und berührt meine Schulter. Der Polizist bleibt stehen, sagt etwas, das ich nicht verstehe. Ich starre durch den Spalt der Tür nach draußen. Da sehe ich sie.

      »Mama!«, schreie ich.

      Ich will zur Tür, doch Hände legen sich auf meine Oberarme, packen zu. Ich will die Hände abschütteln, will raus hier.

      »Das ist meine Mutter!«

      Meine Mutter sieht mich an. Sie schlägt die Hände vor den Mund. Ich sehe, dass sie geweint hat, und die Falten um ihre Augen sind so viel tiefer als beim letzten Mal, als ich sie gesehen habe.

      »Lassen Sie mich!«, schreie ich.

      Aber die Frau lässt mich nicht los. Die Psychologin. Sie redet mit mir. Ich höre nicht, was sie sagt, dafür ist das Rauschen in meinen Ohren viel zu laut.

      »Mama«, wimmere ich, sinke auf den Stuhl. Ich kann nicht mehr, ich … ein und aus. Atmen. Ruhig.

      Der Polizist verlässt den Raum, schließt die Tür, und meine Mutter ist aus meinem Sichtfeld verschwunden.

      »Es ist alles in Ordnung«, höre ich die Frau sagen. »Wir brauchen nicht mehr lange. Alles ist gut. Nur noch ein paar Fragen, dann sind wir fertig.«

      Ihre sanfte Stimme, ihr leiser Ton und die Vertrautheit, als würden wir uns seit Jahren kennen, lassen mich ruhiger werden. Wieder ins Hier und Jetzt zurückkommen. Ich starre auf die Tischplatte. Betrachte die Kratzer im Lack des Tisches. Dicker grauer Lack. Überdeckt das, was darunter ist. Ein Ring aus Wasser befindet sich dort, wo am Anfang der Becher gestanden hatte, und wartet darauf, dass ihn jemand wegwischt.

      »Frau Martin?«

      Ich schaue auf, in die Augen des Polizisten.

      »Kommen wir auf Ihre Flucht zu sprechen. Wie haben Sie es aus dem Keller geschafft? Was ist passiert?«

      Das Rauschen wird wieder lauter. Der Luft in diesem Raum fehlt der Sauerstoff. Es ist so anstrengend. Als zähle ich. So wie ich es auch die letzten 527 Tage gemacht habe. Zählen macht mich ruhiger.

      »Irgendwann ist mir bewusst geworden, dass niemand kommen, niemand mich retten wird«, sage ich und höre ihn selbst, den Hauch der Traurigkeit, der Enttäuschung. »Mir wurde klar, dass nur ich mich retten kann.«

      Der Polizist nickt, so, als wollte er meine Gedanken bestätigen. »Und weiter?«, fragt er.

      Ich schließe die Augen, begebe mich zurück. Zu ihm. In den Keller. In die Kälte. »Immer, wenn er nicht da war, mich nicht von der Tür aus beobachtet hat, habe ich die Backsteinwände untersucht. Ich habe nach etwas gesucht, womit ich mich befreien kann. Nach etwas, das ich gegen ihn einsetzen kann.« Ich zeige dem Polizisten meine Hände mit den blutigen Fingerkuppen. »Ich habe immer wieder versucht, einen Stein zu lösen. Um ihm diesen Stein auf den Kopf zu schlagen. Um ihn außer Gefecht zu setzen … für einen Vorsprung. Um fliehen zu können. Aus dem Kellerloch. Ich wusste, wenn ich das Haus verlassen kann, dann werde ich Hilfe finden.«

      Die Erinnerung bringt den abgestandenen, modrigen Muff des Kellerloches zurück. Und ich bemerke, dass meine Hände, die den weißen Plastikbecher umschließen, ihn zusammendrücken und er zu reißen droht. Ich löse sie vom Becher und verstecke sie unter dem Tisch.

      »Aber?«, fragt er.

      »Aber was?«

      »Gehe ich richtig in der Annahme, dass Ihr Vorhaben nicht funktioniert hat?«

      Mein Hals ist so trocken. Ich schaue auf den Plastikbecher. Er ist leer. Ich schlucke. »Diese blöden Steine saßen fest. Ich habe keinen einzigen rausbekommen. Dabei habe ich mir die Fingerkuppen abgeschürft bei dem Versuch, den Mörtel rauszukratzen.«

      »Was ist dann passiert?«, fragt er.

      »Eines Tages hat er die Grenze überschritten.«

      »Wie meinen Sie das?«

      »Er ist näher gekommen.«

      Ich

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