Schwabens Abgründe. Группа авторов

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Männer genauer an. Ich war doch noch ein Kind, als ich ihn das letzte Mal sah, sodass ich nicht weiß, unter welcher der Masken er sich verbirgt. Dann zieht der Mann, der mir am nächsten ist, seine Maske vom Kopf. Ich falle ihm in die Arme. Meinem Bruder.

       Julia Bernard

       Ammenmärchen

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       Auf dem Seitenstreifen der A 8, kurz vor der Drachenlochbrücke

      Dass jeder eines Tages für seine Übeltaten zur Rechenschaft gezogen werde, war ein Ammenmärchen. Das war das Erste, was er seinen Mandanten erklärte. Noch bevor er ihnen von dem dehnbaren Gummiband erzählte, das zwischen Recht und Unrecht gespannt war und das er für sie zur Seite biegen konnte, sobald sie seine Honorarvereinbarung unterschrieben hatten. Und er war jeden Cent wert. Nicht umsonst nannten seine Anwaltskollegen ihn Magic Ted.

      Teds linke Hand, mit der er seine Aktentasche umklammerte, öffnete sich etwas. Auch er würde nicht in den Knast wandern, natürlich nicht. Gesetze, Gefängnis, das war etwas für Minderbemittelte. Er hatte alles unter Kontrolle. Die letzten Unterlagen, die ihn in Verbindung mit dem unerklärlichen Verschwinden von zwei Millionen Euro aus dem Aktienfond der Kanzlei und dem Unfalltod des Seniorpartners beim Bergwandern brachten, waren sicher in seiner Tasche verwahrt, da er von einem seiner Kontakte bei der Polizei rechtzeitig von der heutigen Kanzleidurchsuchung erfahren hatte. Sobald er zu Hause war, würde er die Papiere im Kamin verbrennen, und dann aus die Maus für den fetten Staatsanwalt, der bei der Befragung gekeucht hatte wie ein Mops beim Treppensteigen. Eine Kleinigkeit wie diese Autopanne mit seiner jungen Chefin Susanne brachte einen Magic Ted nicht aus der Ruhe. Der Abschleppwagen, auf den sie seit zwanzig Minuten warteten, musste gleich hier sein. Alles würde gut werden, morgen um diese Zeit saß er bereits im Flieger in die Südseeoase ohne Auslieferungsabkommen mit Deutschland. Er hätte fast gelächelt, aber im letzten Moment fiel ihm ein, dass ihn der Unfalltod seines Chefs und Mentors Moritz offiziell sehr mitgenommen hatte und es daher unklug war zu lächeln. Ganz besonders bei Susanne im Auto, die seit drei Wochen Schwarz trug und die tägliche Trauer-Schweigeminute ins Leben gerufen hatte. Moritz’ Chefstelle hatte sie allerdings, ohne mit der Wimper zu zucken, übernommen, aber das änderte natürlich nichts an ihrem Betroffenheits-Getue. Den trauernden Tonfall hatte sie nicht mal abgestellt, als sie vorhin mit dem Pannendienst gesprochen hatte.

      »Mein Auto hat mich noch nie im Stich gelassen«, sagte sie in diesem Moment mit ihrer leidenden Kleinmädchenstimme. »Das ist mir so unangenehm.«

      »Kein Problem«, knurrte er. Seine Nachlässigkeit, dass er nicht darauf bestanden hatte, mit seinem Maserati zu diesem auswärtigen Termin zu fahren, wenn sie schon wegen des Briefings zusammen fahren mussten. Dass Susannes Oldtimerklapperkiste schlappmachen würde, wenn sie ein bisschen Dezemberregen abbekam, hätte er sich denken können.

      »Ausgerechnet an Ihrem vorletzten Arbeitstag. Sie werden unsere Kanzlei nachher noch schlecht in Erinnerung behalten«, säuselte Susanne.

      »Ich hatte eine großartige Zeit bei Liebermann & Snyder«, erwiderte er. Das war nicht mal gelogen, wenn man die Jahre mit dem cholerischen, alterssenilen Moritz als Chef und Susanne als seiner rechten Hand einmal beiseiteließ.

      Susanne legte ihm für eine Sekunde die Fingerspitzen mit den langen roten Fingernägeln auf den Unterarm, wie sie es auch immer bei Moritz gemacht hatte. Nur hatte sie ihre Hände bei Moritz noch auf ganz andere Stellen gelegt. »Wir werden Sie vermissen, Magic Ted. Sie gewinnen doch immer!«

      Ihre Berührung machte ihn unruhig, aber natürlich fühlte er sich geschmeichelt und konnte es sich nicht verkneifen, ein paar Anekdoten von seinen letzten vernichtenden Siegen über diverse Staatsanwälte loszuwerden. Den Satz »Meine Mandanten gehen niemals ins Gefängnis« äußerte er gleich mehrfach, so was konnte man in seiner momentanen Situation gar nicht oft genug wiederholen. Nebenbei erwähnte er, wie er seine Ex-Frau in spe Eva bei ihrem laufenden Scheidungsverfahren fertiggemacht hatte, ein juristischer Geniestreich, brillant und hart an der Grenze zur Illegalität. Ein bisschen Abschreckung schadete nicht, keine Ahnung, auf was für Ideen Susanne sonst kam, wenn sie hier noch lange mit ihm im Auto saß. Es war zu befürchten, dass er in ihr Beuteschema passte. Und sie sah nicht mal übel aus. Sie hatte einen großen, sexy Mund mit vollen Lippen. Für ein kurzes Abenteuer, bei dem sie nicht mit leidender Kleinmädchenstimme sprechen konnte, weil sie oral beschäftig wäre, würde sie vielleicht schon taugen, aber eine solche Schwäche konnte er sich im Moment nicht erlauben. Nicht auszudenken, wenn der fette Staatsanwalt anrief, und er, Ted, Unvorsichtigkeiten ins Telefon stöhnte, wo äußerste Vorsicht angezeigt wäre. Oder, noch schlimmer, wenn er während des Orgasmus in wilder Ekstase versehentlich seine Aktentasche aufriss und die Papiere herausfielen.

      »Ich spüre, Sie leben für den Anwaltsberuf.« Susanne tätschelte erneut seinen Arm. »Warum hören Sie auf?«

      Ted zog seinen Arm weg. Draußen prasselte der Regen auf die Scheiben. »Moritz’ tragischer Unfall hat mir mehr als deutlich vor Augen geführt, dass wir nicht ewig leben«, sagte er salbungsvoll. »Wenn wir etwas ändern wollen, müssen wir es jetzt tun, nicht irgendwann! Ich möchte ein einfaches Leben leben und die kleinen Dinge genießen.« Was sich mit insgesamt fast dreieinhalb Millionen auf einer Südseeinsel sicherlich gut bewerkstelligen ließ. Er lächelte nun doch, versuchte aber, dem Lächeln einen nachdenklich-melancholischen Touch zu geben. Schwierig, denn es war so ein Genuss, sich vorzustellen, was seine zukünftige Ex-Frau Eva für ein Gesicht machen würde, wenn sie erfuhr, dass er sie nicht nur bei Gericht abgezockt hatte, sondern auch noch mit dem gesamten restlichen Vermögen, sogar ihrem Geld und dem der Kinder, abgehauen war.

      »Was haben Sie denn vor?«, fragte Susanne.

      »Gärtnern«, sagte er nur.

      »Wie wundervoll. Und wo?«

      »In meinem Garten.«

      Susannes Handy klingelte. Sie nahm ab, hörte eine Weile zu, schimpfte dann »Selbstverständlich, zur Not gehen wir bis in die höchste Instanz!«, legte auf und wandte sich wieder Ted zu. »Die durchsuchen schon wieder die Kanzlei«, sagte sie verärgert. »Die glauben, dass ich zwei Millionen Kanzleigeld beiseitegeschafft habe, nur weil ich eine winzige Briefkastenfirma auf Guernsey besitze, die ich bei der letzten Steuererklärung versehentlich vergessen hatte anzugeben. Unverschämtheit! Wahrscheinlich kommen die als Nächstes, um mir anzukreiden, ich hätte Moritz den Abhang hinuntergestoßen.«

      »Die Wahrscheinlichkeit ist gering«, bemerkte Ted. »Immerhin waren Sie nicht mal dabei bei unserem Firmenausflug.«

      »Aber ich profitiere als Einzige von seinem Tod, Ted! Als einzige! Ich erbe die Kanzlei und seine Villen. Und ich habe kein Alibi für den Tag. Herrgott, Sie sind doch seit Jahrzehnten Strafverteidiger, Sie wissen doch, was das heißt.«

      »Ich weiß, dass das gar nichts heißt«, sagte er jovial. Und der guten Ordnung halber fügte er hinzu: »Schade, dass ich meine Anwaltszulassung abgebe, sonst hätte ich Sie da raushauen können.«

      Dass Moritz sogar sein Testament geändert und diese Tussi eingesetzt hatte, war ja grauenhaft. Aber wunderbar, dass sie nun verdächtigt wurde, das verschaffte ihm noch mehr Zeit. Eine Weile schwiegen sie. Mit einem leisen Klicken verabschiedete sich die Beleuchtung des Oldtimers, das Licht im Inneren wurde dämmrig-düster. Der Dezemberregen peitschte auf die Windschutzscheibe, das Prasseln nervte Ted.

      Susanne

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