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Ein Volk, ein Reich, kein Syrer. Ein Gespräch mit Georg Seeßlen und Klaus Theweleit
Vorwort oder: Die Logik der Eskalation
»Wir wollen keine Beteiligung am Diskurs, sondern ein Ende vom Konsens. Es geht nicht um Diskussionen, sondern um eine andere Sprache.« Glasklar artikuliert eine neurechte Kleinstgruppe, welches Feld Pegida-Spaziergänger und AfD-Wähler zusammen mit strammen Nazis und Rechtsauslegern der Volksparteien bestellen. Ein Gespräch ist nicht das Ziel jener Wutschäumenden, die von Politik und Medien zunächst als besorgte Bürger mit berechtigten Anliegen verharmlost wurden. Sie wollen aber nicht allein Interessen im Sinne eines demokratischen Grundverständnisses anmelden, sondern vorschreiben und Begriffe besetzen. Meinungshoheit statt Redefreiheit lautet der besorgte Treueschwur, auch wenn sie anderes behaupten.
Damit befinden wir uns mitten im Besorgtensprech, der Einzug in öffentliche Debatten und Parteien älteren Gründungsdatums gefunden hat. Nicht nur die Demonstranten, die sich als Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes (Pegida) bezeichnen, oder die AfD machen sich beständig mit verräterischen Sprachwendungen Luft. Auch Mitglieder der Volksparteien wie Bettina Kudla, Veronika Bellmann (beide CDU), Horst Seehofer (CSU) oder Thilo Sarrazin (SPD) bedienen sich freizügig dieses Registers. Mit Umdeutungen, Erfindungen und rhetorischem Nebel entwickeln sich Denk- und Sprachmuster, in denen so manches umgekehrt und gegen den Strich gelesen wird: Da ist Deutschland Opfer, Diktatur oder GmbH, bilden geflüchtete Menschen eine Armee oder droht der Volkstod. Seit im Fahrwasser von Pegida Menschen auf die Straßen gingen, sind Verschiebungen in der Diskussionskultur zu beobachten. Parolen und Redebeiträge der Besorgten lassen den Seismografen nach rechts ausschlagen. Totgeglaubte Begriffe und Bilder erwachen zu neuem Leben, politische Semantiken laufen leer. Die Kunst der Agitation hat Konjunktur.
Es gab bereits einige Versuche, dem Besorgtenphänomen auf die Spur zu kommen, das langsam, aber ununterbrochen in den politischen Alltag einsickert. Im Osten Deutschlands spielt das Gefühl, abgehängt zu sein und nicht mithalten zu können, eine große Rolle. Die Nachwendedepression kippt in national gefärbten Unmut. Republikweit gesehen dominiert die Haltung des Angry White Man, der den alten White Trash zu neuem Leben erweckt und an der Dynamik der spätmodernen Gesellschaft scheitert. Der neoliberale Imperativ »Sei deines Glückes Schmied« zeigt hier eine seiner Schattenseiten. Seine Umkehrung (»Jeder ist seines Unglückes Schmied«) führt − gemeinsam mit einer völligen Überzeichnung von Individuum und Ego − zur verzweifelten Suche nach Gemeinschaft, in der man sich eine vermeintlich heile Welt alter Volksgemeinschaft erdichtet. Das ist so falsch wie nachvollziehbar.
Jenseits politischer Deutungsangebote geht es in diesem Buch um die Sprache der Besorgten. Die hat es in sich, nicht nur weil sie mit Eskapismus und derben Vereinfachungen glänzt. Die besorgte Sprache bedient sich auch jener Begriffe, die üblicherweise zum liberalen oder demokratischen Sprachgebrauch gehören. Parallel zur Selbsteinordnung als bürgerliche Mitte kursieren ganz selbstverständlich Worte wie Freiheit, Demokratie oder Gastfreundschaft. Der unstete Ort der Sprache liegt irgendwo zwischen Propaganda und dem Versuch, Klarheit zu stiften. Rhetorische Kniffe, um zu verschleiern und mitunter perfide zu gewichten, sind das eine Ende der Skala, Präzision das andere. Im Besorgtensprech allerdings zeigt sich ein selten gekanntes Ausmaß sprachlicher Wandlungen. Sie − unvollständig und selbst wertend − zu sammeln und zu kritisieren, ist das Ziel dieses Wörterbuchs.
In der Besorgtensprache lassen sich Systematiken erkennen. Einige fest im Gegenwartsdiskurs verankerte und unzweifelhaft positiv besetzte Begriffe werden integriert und dabei umgedeutet. Das schafft Anknüpfungspunkte und den Eindruck eines legitimen Anliegens. So reden die Besorgten unablässig von Wahrheit oder Demokratie, meinen damit allerdings ziemlich schräge Sachen. Demokratie ist dann die Tyrannei der »echten« Deutschen, um alle Formen von Minderheitenschutz bereinigt. Freiheit gilt dem biologisch gedachten Volkskörper und hat wenig mit individueller Lebensgestaltung zu tun.
Weil die Welt früher nicht so schlecht gewesen sei, wie der Mainstream uns glauben machen will, ist es für besorgte Bürger an der Zeit, längst aufgearbeitete und für ausgrenzend erklärte Begriffe zu reanimieren oder zu rehabilitieren, etwa Zigeunerschnitzel, Neger oder völkisch. In diesem Akt der Wiedereingliederung erkennen die Besorgten die vermeintliche Stärke, sich von der »Meinungsdiktatur« nicht länger in Schach halten zu lassen.
Ein weiterer Modus ist die Begriffsaneignung als radikale Umkehrung, zum Beispiel wenn Gida-Gegendemonstranten mit »Nazis raus!« angebrüllt werden. Die Antifa sind »Antideutsche Faschisten« und wir alle leben in einer »Meinungsdiktatur«, was auf den Kundgebungen ohne Störung behauptet wird. Die selbsternannte bürgerliche Mitte nutzt negativ besetzte Begriffe, um alle zu diffamieren, die nicht mitspazieren. So bestärkt sie für sich das wohlige Gefühl, auf der Seite der Guten zu stehen.
Die vermutlich größte Kraft der besorgten Sprache ist die Pauschalisierung. »Lügenpresse«, »Asylant« oder »Muslim«: Mit der Praxis, alle über einen Kamm zu scheren, gehen gefährliche politische Wertungen einher, die im Begriff selbst zum Tragen kommen. So macht es einen erheblichen Unterschied, ob man durchaus nötige Medienkritik übt oder sämtliche Presseorgane der permanenten Lüge bezichtigt.
Das alles findet als Mimikry eines Tabubruchs statt. Wer differenziert, verschleiere nur die wirkliche Dramatik der Lage. Wer nicht von Umvolkung oder Umerziehung spricht, mache sich einer Verklärung der Tatsachen schuldig. Faktisch allerdings stecken hinter angeblichen Tabubrüchen verbale Eskalationen und Diffamierungen, die sich über das angebliche Verbot selbst zur Wahrheit erklären. Diese perfide Logik ist aus antisemitischen Kreisen bekannt, wenn es beispielsweise heißt, man dürfe ja wohl Israel kritisieren − als hätte es jemals ein entsprechendes Verbot gegeben. Beständig werden die Pappkameraden Maulkorb und Tabu aufgestellt, um sich gegen Einwände unangreifbar zu machen.
An einigen Stellen kippt die Rhetorik offen nach rechts. Wer hätte vor ein paar Jahren gedacht, dass die irre Reichsbürgeridee, die BRD sei eine GmbH, weil im Personalausweis das alte Wort Personal steht, einmal so weite Kreise ziehen würde? Es wird verharmlost und verdreht, Verrohungen zum Klartext umgedeutet. Dabei ruft die besorgte Sprache vergleichsweise unverhohlen zur Gewalt auf, weil selbst heftige Abwertungen wie Notwehr und Selbstverteidigung