Wörterbuch des besorgten Bürgers. Группа авторов
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Sprachanalyse ist keine Oberflächenpolitur, weil es nicht egal ist, wie man Dinge benennt. Sprache schafft Realität. Es ist nicht gleichgültig, ob man von Geflüchteten redet oder wie Wolfgang Schäuble (CDU) Menschen als »Flüchtlingslawine« mit einer Naturkatastrophe gleichsetzt. In der Gruppe der Geflüchteten können Individuen und damit Unterschiede mitgedacht werden. Ein Schneerutsch ist eine tödliche Gefahr ohne Einzelschicksale. Der Kampf um die Wörter ist also nicht vom Kampf um die Dinge zu trennen, weil das Wort die (Be-)Deutung erschafft. Die Besorgtensprache zeigt sich so gesehen als eine Klaviatur stilisierter Angst, die längst in Hass und Gewalt umgeschlagen ist. In diesem Klima ist die Fähigkeit zur Argumentation zu Staub zerfallen. Einwände gegen das besorgte Denkgebäude werden als glatte Lüge oder als Irrweg eines vom Mainstream geblendeten Systemlings abgetan. Selbst einfache Fakten, etwa die tatsächliche Zahl der Muslime in Ostdeutschland, gelten nichts. Darüber steht die unbestimmte Angst, die als vermeintlich authentisches Gefühl noch die waghalsigsten Behauptungen untermauert. Agitation ersetzt Argumentation. Die Redner auf den Gida-Bühnen sind kaum auf konkrete Aussagen zu fixieren, ihre Behauptungen bleiben vage. Fürs Publikum reicht es: Bei jedem verhassten Namen, jedem Reizwort, zeigen die Zuhörer ihre Unzufriedenheit mit Buhrufen. Die Agitatoren beschreiten den altbekannten Weg der Verführung, auf dem sie beinahe beliebig Urteile und Wertungen verbreiten können, gewürzt mit dem Versprechen auf ein Erstarken der eigenen Bewegung.
Allenthalben werden mysteriöse Kräfte wie Ausländer oder Rot-Grün hervorgezaubert, die sich verbündet haben sollen und − über alle Differenzen hinweg − unerbittlich ein Ziel verfolgen: Die Auslöschung des wahren, biokulturellen Deutschlands. Das Volk, imaginiert als organische Einheit, werde zerstört, genauso wie Werte und Traditionen. Das Freund-Feind-Schema hat das Ruder übernommen, es klafft die schroffe und von der »realen Möglichkeit des Krieges« getriebene Unterscheidung zwischen einem bedingungslosen Wir und dessen Feind. Diese traurige Reanimation des Nazijuristen Carl Schmitt mitsamt seiner völkischen Kontur ist das Hintergrundrauschen, White Noise, aus dem White Power entspringt. Rechtes Gedankengut, verdeckt vom scheinheiligen Bild des tief besorgten Bürgers.
Gut gegen Böse. Statt des Ausgleichs verschiedener Interessen, dem Kern der Demokratie, sind Glaubenssätze angesagt, die − über Widersprüche erhaben − durchgeboxt werden. Die Nähe zwischen dieser Rhetorik und islamistischen Einlassungen ist dabei auffällig. Die Wucht besorgter Dogmen gleicht einem religiösen Eifer, nur dass die Transzendenz − das Himmelreich − nicht von Gott, sondern vom nationalen Mythos beseelt ist. In der Theorie heißt das strukturanalog. Während im religiösen Wahn einiger verwirrter Seelen das Wort Gottes jedes Mittel legitimiert, trägt eine nicht minder fantasierte nationalvölkische Illusion die besorgte Aggression. Gida-Spaziergänge sind Prozessionen zur inneren Erbauung. Und die sozialen Medien befördern dies. Sie dienen der Selbstvergewisserung, auf der Seite der Wahrheit zu flanieren, und bestärken das Gefühl der Innerlichkeit. Die eigene, besondere Sprache ist dabei wichtiges Vehikel.
Patriotisches, nationalistisches, xenophobes oder rassistisches Gedankengut und ein deutscher Opferkult sind nicht neu. Im Rahmen umgebauter, spätmoderner Kommunikationsstrukturen allerdings bekommt der Stammtisch ein anderes Gewicht. Er gewinnt mithilfe sozialer Medien Einfluss und schließt sich zu halb verschwörungstheoretischen Aussagenketten und Verweisstrukturen zusammen. Diese neuen digitalen Netzwerke produzieren einige Eigentümlichkeiten, die der Agitation genauso helfen wie selbstreferenziellen Glaubensmustern, also Verschwörungen. Die bereits im Wahrnehmungsapparat angelegte Tendenz, bevorzugt Informationen wahr und ernst zu nehmen, die ins eigene Weltbild passen − der sogenannte Bestätigungsfehler − wird bestärkt, weil sich gefilterte Subnetze bilden. Es handelt sich um beinahe isolierte Cluster, in denen nur Informationen geteilt werden, die ins Raster oder ins Ressentiment fallen. So erscheinen falsche Bilder und Vorstellungen wie die gezielte Umvolkung als seriöses Wissen. Der interaktive Charakter befeuert zudem die Gruppenpolarisierung: Was viele für wahr halten, muss stimmen. So etabliert sich ein Zerrspiegel der Realität, in dem üble Gerüchte in den Bestand objektiver Tatsachen rücken (von denen die Seite hoaxmap.org unzählige aufdeckt).
Die Skandalliebe eines heißgelaufenen Mediengeschäfts, das auf Echtzeit zusteuert, feuert die Debatte zusätzlich an. Was viel Aufmerksamkeit zu generieren verspricht, wird veröffentlicht. Der Logik der Eskalation folgend, bespielen die Agitatoren der Besorgten mit scharf gestellter Sprache und immer neuen Provokationen die Presse unaufhörlich und machen sich den Druck der Klickzahlen zu eigen. Noch die dreisteste Behauptung oder niveauloseste Beleidigung zieht weite Kreise. Gleichzeitig werden dieselben Medien als »Lügenpresse« diffamiert, was den Agitator in die Opferrolle versetzt und ihm in der Sphäre des Kontrafaktischen Spielräume eröffnet.
Ausrufe wie »Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!« werden zum nationalen Vaterunser, sowohl auf der Straße als auch in den Kommentarspalten, in denen sich noch der einsamste Pöbler in die Volksgemeinschaft integriert. Endlich Akteur, verbal und zunehmend auch praktisch. Diese selbstgebastelte Frontstellung führt in eine stilisierte Opferhaltung. Da sich in ihren Augen böse Kräfte gegen Deutschland verbünden, scheint jedes Mittel erlaubt. Wer sich in Notwehr wähnt, hat einigen Handlungsspielraum.
Dabei wird das politische Koordinatensystem außer Kraft gesetzt. Für rechts halten sich Besorgte zumeist nicht, selbst wenn sie rassistische Begriffe und Ansichten verbreiten und sich nach der alten deutschen Ordnung sehnen. Die Linken sind dafür Rechte, Linksfaschisten eben. Oder Extremisten, also das Böse gegenüber einer guten demokratischen Mitte, in der sich die Besorgten sehen. In dieser Denke formuliert Lutz Bachmann, dass »Pediga die bürgerliche Mitte« sei, um im selben Atemzug den neurechten Vordenker Götz Kubitschek als Redner anzukündigen. Die Besorgten sind also nur den Weg weitergelaufen, den ihnen die inzwischen fälschlicherweise zum Standard erhobene Extremismustheorie bereitet hat. Es gebe nur noch gute Demokraten, die sich gegen fiese Extremisten behaupten müssten, egal ob linke, rechte oder religiöse. Mit dieser rein formalistischen Abstraktion von politischen Inhalten werden etwa Faschismus und Antifaschismus als wesensgleich, weil vermeintlich undemokratisch, verhandelt. Die Besorgten springen auf diese zweiwertige Logik von gut (demokratisch) und böse (extremistisch) auf, mit dem Dreh, dass sie ihr völkisches Denken im guten Zentrum vermuten, während alle anderen als extremistisch abgestempelt werden. Dabei bedienen sie sich einer Sprache, die zwischen pseudodemokratischer Extremismusrhetorik und faschistischer Reaktion changiert.
Ein Unterschied zu den 1920er- und 1930er-Jahren ist sicherlich, dass es nicht mehr (oder noch nicht wieder) um Großdeutschland geht, sondern der deutsche Opfermythos perpetuiert wird. Die Schuldumkehr begann schon in den 1980ern, als Ernst Nolte den Holocaust als Reaktion auf die »asiatische Tat« der Sowjets umdeutete. Damals fing die »Entsorgung der deutschen Vergangenheit« (Hans-Ulrich Wehler) an, verbunden mit einem anschwellenden Opfergesang. Dresden ist in diesem Reigen länger schon Vorsänger, was zumindest einen Hinweis darauf gibt, warum gerade dort die Besorgten so laut tönen. Zur Opferrolle passt auch, dass die Konservative Revolution Vorbild ist, als hätte diese nicht gerade den Weg für den Faschismus bereitet. Die brutale Eskalation des Nationalsozialismus wird verbal den anderen untergeschoben, die den deutschen Volkstod herbeisehnen würden − von der Bundesregierung bis zur Antifa. Die Besorgten selbst sehen sich als Volk und Mehrheit, auch wenn Wahlergebnisse etwas anderes nahelegen.
Abschottung und Unterordnung bestimmen dieses Wunschbild. Das »Heute gehört uns Deutschland, morgen die ganz Welt« ist einem »Die ganze Welt muss draußen bleiben, damit uns Deutschland morgen wieder gehört« gewichen. Wiederholt stand auf einem Fronttransparent bei Pegida: »Heute tolerant, morgen fremd im eigenen Land!« Der alte Größenwahn hat einer Opferapokalyptik Platz gemacht. Die Besorgten halten sich für das letzte Aufgebot einer freien, national-autochthonen Welt, in der eine Kultur noch eine Kultur ist − selbst wenn nie von kultureller Homogenität die Rede gewesen sein kann. Als verhinderte Helden halten sie der Dynamik der Zeit nicht stand und klammern sich stattdessen an