Wörterbuch des besorgten Bürgers. Группа авторов

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Wörterbuch des besorgten Bürgers - Группа авторов страница 6

Wörterbuch des besorgten Bürgers - Группа авторов

Скачать книгу

alt="image"/> Erika), Parteien und Presse sind gleichgeschaltet. »Wir sind das Volk!« und »Merkel muss weg!« sekundieren die Zuhörer und sind sich sicher, dieses Regime knickt vor ihnen ein, wie 89 der DDR-Staatsapparat. [fr]

       Abendland

      »Abendland in Christenhand«: Vor einigen Jahren ging die österreichische FPÖ mit dieser Parole in den Wahlkampf, suggerierend, das Abendland befinde sich nicht mehr in christlichen Händen. Dann wäre es aber gar nicht mehr das Abendland, weil das dem Konzept nach nur christlich sein kann. Von der problematischen Verstrickung beziehungsweise Gleichsetzung von image Demokratie und gesellschaftlicher Verfasstheit mit Religion (image christlich-jüdisch) abgesehen, dient das Abendland bis heute als Abgrenzungsmetapher.

      Ursprünglich bezeichnete das Abendland − Okzident − nur jene westlichen Lande der bekannten Welt, die der untergehenden Sonne am nächsten liegen. Der Nahe Osten wurde hingegen Morgenland − Orient − genannt. Von der geografischen Ordnungsvorstellung wurde das Abendland dann zum Kampfbegriff. Es soll irgendwie die antike Philosophie mit dem Christentum verschmelzen und damit einen über die Zeiten hinweg homogenen europäischen image Kulturkreis behaupten. Mit dem Begriff setzte sich das lateinische Christentum vom orthodoxen in Byzanz auf Distanz. Dann diente es als Konzept gegen die Angriffe der Türken, wurde gezielt gegen image Muslime verwendet; auch Juden waren lange außen vor. Bei Autoren wie Oswald Spengler (image Untergang des Abendlands) gerinnt es später zur Beschreibung eines ursprünglichen Europas, das von Kapitalismus und Demokratie im Westen und Kommunismus im Osten in die Zange genommen wird. So gerierte sich auch Adolf Hitler als Verteidiger des Abendlands. In Zeiten des Kalten Kriegs wird es − dann inklusive USA − als Wertegemeinschaft gebraucht, die vorm Ostblock zu verteidigen sei.

      Allmählich verblasste sein Glanz, aber nicht ganz. Noch 1997 hielt der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl in einer Rede die Fahne hoch: »Lassen wir uns nicht von jenen beirren, die meinen, über den Begriff des ›christlichen Abendlandes‹ spotten zu müssen. Die Werte und Anschauungen, die unser christliches Abendland verkörpert, sind älter als die pseudophilosophischen Denkschulen unserer Zeit und werden auch noch zu einem Zeitpunkt bestehen, diskutiert und gelebt werden, an dem so manche der modernen Weisheiten und Wahrheiten schon lange vergessen sein werden.« Pegida hat das Wort wieder populär gemacht und seither trampeln auch viele Nichtgläubige unter dem Namen »Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes« als wütende Demonstranten durch Dresden & Co. [tp]

       Abschiebeverhinderungsindustrie

      Man muss Rainer Wendt Respekt zollen. Kaum jemand sonst hatte sich derart festgebissen im deutschen Talkshowgeschäft. Woche für Woche polterte der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPoIG) gegen die aufgeklärte Welt und redete ihren Untergang herbei. Nur die ganz harte Hand könne noch helfen. Dabei gelang es Wendt, als Gesicht der ganzen Polizei aufzutreten, obwohl seine durchaus umstrittene Gewerkschaft mit 94.000 Mitgliedern deutlich kleiner ist als die Konkurrenz, die Gewerkschaft der Polizei.

      In einem seiner rhetorisch sonst nicht ungeschickten Redeanfälle prägte er einen Begriff, den Besorgte dankbar aufnahmen: »Es gibt eine regelrechte Industrie für Abschiebeverhinderung«, schwadronierte er gewohnt bitterlich. Gemeint ist die tatsächlich recht seltene Praxis, eine Abschiebung etwa am Wohnort der Betroffenen zu verhindern, indem sich Menschen der Polizei in den Weg setzen. Diese müsste sich erst durch eine Gruppe hindurchprügeln, um die Abschiebung einleiten zu können, was unverhältnismäßig wäre.

      Wendts Gefühlskälte ob der häufigen Differenz zwischen Recht und Gerechtigkeit − etwa wenn gut integrierte Menschen aufgrund absurder Gesetze in ein Land abgeschoben werden sollen, das sie gar nicht kennen − verwundert nicht. Das Maß der verbalen Eskalation dagegen schon. Klassischerweise bezeichnet Industrie eine Art des Wirtschaftens mit einem hohen Grad der Automatisierung: Maschinen, Fließbänder und Serienproduktion, womöglich am besten bebildert durch die dreckigen Fabrikhallen des 19. Jahrhunderts. Es braucht schon viel üble Vorstellungskraft, den Schutz einzelner Menschen durch schlichte Anwesenheit von Aktivisten mit einem solchen Begriff in Verbindung zu bringen. Das einzige Mal, dass an anderer Stelle das Wort Industrie in Bezug auf Menschen als Objekt (und nicht als Arbeiter) zur Geltung kam, war jener des »industriellen Massenmords« an Juden und Roma in Auschwitz und anderswo. Bleibt die Hoffnung, dass sich Wendt dieser Überblendung nicht bewusst ist und vorrangig seine Gier nach Aufmerksamkeit einen solchen Fehlgriff begründet. Zweifel daran allerdings sind angebracht. [rf]

       Afrikaner

      Afrikaner, tönte Björn Höcke von der AfD, hätten eine andere Reproduktionsstrategie als Europäer. In den nördlichen Breiten zeuge man weniger Kinder, um »die Kapazität des Lebensraums optimal ausnutzen« zu können (K-Strategie). Soll heißen, für Europäer gebe es keinen Grund, auch territorial zu expandieren, da alle genug Platz hätten. »Afrikanern« hingegen attestierte er, sie würden auf Kinderreichtum setzen, um die Bevölkerung möglichst stark anwachsen zu lassen (r-Strategie). Da all die Menschen aber Raum bräuchten, kämen viele aus Afrika nach Europa. Solange man sie hier aber aufnehme, würden sie nie lernen, nach der europäischen Strategie zu vögeln.

      Höcke bedient sich in astrein rassistischer Manier bei der Biologie, wo es für die Tierwelt heißt, dass Säugetiere weniger Nachwuchs bekommen, um den sich die Eltern intensiv kümmern (K-Strategie). Bakterien, Läuse und Fliegen vermehren sich nach der r-Strategie: Eine hohe Reproduktionsrate sichert nicht das Überleben des Einzelnen, aber der Art.

      Als Bakterien oder Läuse gelten »die Afrikaner«. In diesem falschen Sammelbegriff für sehr viele, sehr unterschiedliche Menschen eines ganzen Kontinents und in der widerlichen Überblendung von Menschen und Insekten drückt sich die bodenlos rassistische Abwertung des schwarzen Anderen aus. Wie zerrüttet muss das Selbstwertgefühl sein, wenn es solcher Argumentationen braucht, um sich überlegen und gut zu fühlen? [ng]

       Ahu!

      Die sinnentleerteste Besorgtenparole verbreiten die Hooligans gegen Salafisten (HoGeSa). Unter dem Schirmbegriff können sich Einzelpersonen oder Gruppen zu Aktionen (Demos, Straßenschlachten) ohne festen Organisationskern sammeln. Das dumpfe, im Endlosband wiederholte »Ahu! Ahu! Ahu!« ist der begleitende Kampfschrei, etwa als eine HoGeSa-Demo 2014 in Köln eskalierte. Der Schlachtruf tauchte wohl das erste Mal bei Fans des FC Hansa Rostock auf und machte dann die ganze Hoolrunde. Er entstammt der Comic-Verfilmung 300, die sehr frei die Schlacht bei den Thermopylen wiedergibt: An diesem Engpass haben Spartaner 480 v. u. Z. einer persischen Übermacht getrotzt. Muskelgestählte Männerkörper, inszeniert als Phalanx gegen die

Скачать книгу