Wörterbuch des besorgten Bürgers. Группа авторов
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Wörterbuch des besorgten Bürgers - Группа авторов страница 8
Wenn die AfD sich als Teil des Volkes inszeniert, beginnt die Rhetorik um »System« und »Etablierte« zu schillern. Wer so tut, als wolle er den Politikladen aufmischen, aber in fast allen Landesparlamenten sowie im Bundestag sitzt und Steuergelder kassiert, befindet sich nicht nur in einer Etablierungsspirale, sondern vor allem in einem interessanten Spagat zwischen »wir« und »die«. [fr]
Angst
Angst ist erstens ein subjektives Gefühl, die gleichermaßen drängende wie diffuse Empfindung, bedroht zu sein. Angst ist zweitens eine Emotion, der für andere − etwa als Erbleichen, Zittern oder Schweißausbruch − sichtbare individuelle Ausdruck dieses Bedrohungsgefühls. Angst ist drittens ein kollektiver Affekt, eine überindividuelle Stimmung des Bedrohtseins, die Welt- und Selbstwahrnehmung in toto einfärbt. Angst als Affekt unterläuft die Differenz von Verstand und Gefühl, sie wirkt ansteckend und kann sich bis zur Massenpanik steigern. Viertens schließlich besitzt Angst auch eine kommunikative Dimension. Von Angst wird geredet, und sie verbreitet sich, indem von ihr geredet wird. Besonders in politischen Auseinandersetzungen fungiert sie als Argument, mit dem sich nahezu alles rechtfertigen lässt.
Angstkommunikation dramatisiert und erzeugt einen Sog. Sie signalisiert: Die Sache ist dringlich. Zeit kennt sie nur als stets viel zu knappe Frist. Die Angstuhr steht immer auf fünf vor zwölf. Wer Angst sagt, schaltet um in den Alarmmodus. Es muss etwas geschehen, und zwar sofort. Daraus folgt eine Dynamik der Überbietung, die in sich selbst keinen Haltepunkt findet: Immer ist da jemand, der sagt, es gehe nicht schnell genug, es werde nicht genug oder das Falsche getan, und überhaupt sei die Lage noch viel schlimmer, als die Verantwortlichen zugeben. Das Sprechen über Angst wirkt selbstverstärkend. Je mehr darüber geredet wird, desto größer wird sie. Bestimmen Angstthemen erst die Agenda, können die zu ergreifenden Maßnahmen gar nicht radikal genug sein. Wo die Angst regiert, herrscht die Logik des Ausnahmezustands: Demokratische Aushandlungsprozesse − dauern viel zu lang; humanitäre Erwägungen − ein Luxus für bessere Zeiten. Schon Fragen zu stellen heißt, dem Gegner in die Hände zu spielen. Stattdessen wird die Wirklichkeit radikal vereinfacht: Wir oder die Anderen, Freund oder Feind, Schwarz oder Weiß. Für Zwischentöne und Ambivalenzen bleibt kein Platz. Als subjektives Gefühl mag Angst quälend sein, als Brille, durch die man auf die Welt schaut, ist sie verlockend. Sie löst zwar keine Probleme, aber entlastet ungemein.
Die Berufung auf Angst hat einen weiteren strategischen Vorteil: Wer die Angstkarte ausspielt, unterläuft jede Kritik. Man kann sie nicht widerlegen, weil sie auf die Authentizität ihres Gefühls pocht. Auf jeden Einwand wird erwidert: »Aber ich habe doch meine Angst! Wer wollte sie mir bestreiten?« Der Affekt immunisiert gegen
Zugleich bringt die kommunizierte Angst, die Angst als Argument, erst das Gefühl, die Emotion, den Affekt hervor, auf die sie sich beruft. Angst ist etwas, in das man sich hineinreden, das man sich oder anderen einreden kann. Sie ist nicht zuletzt ein Effekt des Sprechens über Angst. Populistische Agitatoren wissen das zu nutzen, und die sozialen Netzwerke fungieren als mediale Affektverstärker. Damit der Erregungspegel nicht absinkt, darf der Strom der Facebook-Einträge, Online-Kommentare und Tweets nicht abreißen.
Dass Angst im Unterschied zur Furcht diffus ist, bedeutet nicht, dass sie kein Objekt hat, es bedeutet vielmehr, dass sie sich auf alles Mögliche richten kann (
Affekte sind nicht nur beweglich im Hinblick auf ihre Objekte, sondern auch auf ihre Qualität. Selten ist ihre Färbung eindeutig, Mischungen unterschiedlicher Affektlagen sind die Regel. Angst, Wut und Hass gehen ineinander über, oder das eine kippt schlagartig ins andere um. Entscheidend ist ohnehin die Intensität der Erregung. Auch deshalb lässt sich Angstkommunikation so schwer fassen: Was lauthals beschworen wird, ist nicht unbedingt das, was tatsächlich getriggert und mobilisiert wird. Stimme, Mimik oder die verwendeten Sprachbilder verraten hier oft mehr als die expliziten Aussagen. Es bedarf keiner besonderen hermeneutischen Fähigkeiten, um festzustellen, dass bei denjenigen, die derzeit am lautesten von den Ängsten der Menschen und dem drohenden Untergang des deutschen
Die realen oder erdichteten Angstgeschichten, die man nicht müde wird in immer neuen Varianten zu erzählen, gewähren obendrein eine