Hypnosystemische Therapie bei Depression und Burnout. Ortwin Meiss
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PATIENTIN: »Ich fahre noch immer mit Winterreifen herum (mittlerweile ist es Ende Juni). Ich weiß, dass ich nur die Werkstatt anrufen brauche, dann geben die mir einen Termin, und das Ganze ist erledigt. Das schiebe ich jetzt schon Wochen vor mir her und schaffe es nicht anzurufen. Das ist mir vollkommen rätselhaft, wie so eine kleine Sache mich so blockieren kann. Es ist beschämend, dass ich selbst das nicht hinbekomme.«
Tatsächlich ist es eine Kleinigkeit, die Werkstatt anzurufen und einen Termin zu machen. Wir finden hier eine ähnliche Situation wie bei vielen Burnout-Patienten, die keinen Zweizeiler mehr schreiben oder keinen Brief mehr öffnen können. Hier zeigt sich eine unbewusste Verweigerung, da der Patient unbewusst befürchtet, der Zweizeiler würde einen Vier-, Acht-, Sechzehnzeiler nach sich ziehen. Das Unbewusste ahnt, dass dann alles so weiter geht wie bisher und man schnell wieder im alten dysfunktionalen Muster steckt.
THERAPEUT: »Man kann wohl feststellen, dass es nicht daran mangelt, dass Sie nicht wissen, wie Sie anrufen können. Vor Ihrer Depression ist das ja auch gegangen und war eine Kleinigkeit. (Wo der Klient Recht hat, sollte man ihm auch Recht geben.) Ich würde einfach mal behaupten, es gibt irgendetwas in Ihnen, das Sie abhält. Etwas, das Sie stoppt und es Ihnen unmöglich macht anzurufen.«
PATIENTIN: »Das Gefühl habe ich manchmal auch. Ich verstehe das nicht, aber ich schaffe es nicht, dagegen anzugehen. Selbst wenn ich versuche, mich zu zwingen, geht es irgendwie nicht. (Der Patient möchte seinen Widerstand am liebsten niederringen.) Wenn ich es wieder nicht hinbekommen habe, werde ich unglaublich wütend auf mich selbst. Und gleichzeitig bin ich verzweifelt, weil ich denke: Wenn ich die einfachsten Sachen schon nicht hinbekomme, wie will ich dann irgendwann wieder arbeiten?«
Der Patient verheddert sich leicht in einer Schleife aus Unfähigkeit, Eigenaggression und Selbstabwertung und der Angst, es würde immer so weitergehen, was zu den vorgestellten Katastrophen (etwa nie mehr arbeiten zu können) führen würde. Gleichzeitig entstehen Scham über den Umstand, dass man sich so unfähig präsentiert, und Schuldgefühle, weil man nichts Produktives zur Gesellschaft beiträgt und andere die einfachsten Sachen für einen erledigen müssen. Dies berührt die Ängste des depressiven Patienten, den Erwartungen der anderen nicht zu genügen und deren Zuneigung zu verlieren.
THERAPEUT: »So merkwürdig Ihnen das auch vorkommen mag, ich würde behaupten, dass es nur wenig gibt, was unser Organismus macht, was nicht auf einer Ebene irgendeinen Sinn ergibt. Sie spüren ja da einen unglaublich starken Widerstand dagegen, etwas zu tun, was eigentlich im Rahmen Ihrer Möglichkeiten ist. Ja, es ist eigentlich eine Kleinigkeit, und doch bekommen Sie es nicht hin.«
PATIENTIN: »Ja, ich versteh das nicht. Ich verstehe mich selbst nicht. Ich kriege einfach nichts zustande.«
THERAPEUT: »Dann schauen wir doch einmal, was da los ist. Ich werde Sie bitten, die Augen zu schließen und dann erst einmal die Anstrengung zu spüren, die dieser beständige Kampf gegen sich selbst mit sich bringt. Und auch die Wut zu spüren, die Sie da auf sich selbst haben. Und dann werde ich Sie bitten, sich etwas Bestimmtes vorzustellen.«
Die Patientin wird nun gebeten, Folgendes zu imaginieren:
THERAPEUT: Erlauben Sie sich, sich vorzustellen, Sie sitzen genau vor Ihrem Telefon. Irgendwie sind Sie dahin geraten. Sie sitzen vor Ihrem Telefon und direkt auf dem Telefon oder direkt darüber ist die Nummer der Werkstatt. Sie brauchen jetzt nur die Nummer einzutippen, und während sie das tun, achten Sie darauf, welche Gefühle dabei entstehen!«
PATIENTIN: »Es ist eigenartig, ich spüre einen starken inneren Schmerz!«
THERAPEUT: »Und spüren Sie den und seien Sie neugierig, welche Emotionen dazu passen!«
PATIENTIN: »Ich fühle mich traurig, niedergeschlagen und auch wütend. Irgendwie traurig und wütend, weil ich das mache oder machen muss, was von mir erwartet wird.«
THERAPEUT: »Es entsteht das Gefühl von Traurigkeit, Niedergeschlagenheit, dass Sie das machen, was man von Ihnen erwartet. Das, wovon Sie das Gefühl haben, dass Sie das machen müssen?«
PATIENTIN: »Ja. – Ich habe das Gefühl, ich verliere meine Freiheit und die Kontrolle über mein Leben. Ich fühle mich unfrei, eingeengt und fremdbestimmt. Ich habe das Gefühl, alles geht wieder von vorne los.«
In dem Moment, wo die Patientin das tut, was ihr grundsätzlich sinnvoll erscheint und den allgemeinen Erwartungen entspricht, die man einem Mitglied der Gesellschaft entgegenbringt, hat sie das Gefühl, ihre Autonomie und Selbstbestimmung einzubüßen. Sie befürchtet, dass dies der erste Schritt ist, der sie wieder in das alte Muster des Funktionierens hineinführt, welches sie über Jahre gezeigt hat.
Die Patientin hatte eine Chefin, die für ihren Posten wenig kompetent war. Sie konnte vieles weit schlechter als die Patientin, hatte schlechtere Abschlüsse und eine geringere Ausbildung. Dennoch war sie ihr vorgesetzt und verdiente weit mehr als die Patientin. Ihre Position hatte sie bekommen, weil sie die Partnerin des Firmeninhabers war. Als Chefin versuchte sie, ihre Inkompetenz durch permanente Forderungen und Gängeleien gegenüber der Patientin zu überspielen. Die Patientin hatte über Jahre versucht, alles zu ertragen und ihren Groll über die herabwürdigende Behandlung hinunterzuschlucken. Privat hatte sie eine Beziehung zu einem arbeitslosen Mann, der sich bei ihr festgesetzt hatte und sich durchfraß und, obwohl er Zeit hatte, nichts im Haushalt tat und sich von ihr bedienen ließ, was sie auch machte. Wenn sie von der Arbeit nach Hause kam, fand sie eine verwüstete Wohnung vor und begann aufzuräumen. Nachts schnarchte er, dass sich die Wände bogen. Die Klientin hatte ihm das Bett überlassen, war aus ihrem Schlafzimmer ausgezogen und war selbst auf eine unbequeme Wohnzimmercouch ausgewichen.
Es zeigt sich hier, dass der innere Widerstand ein erneutes Funktionieren verhindern soll. Er hindert die Patientin daran, sich neuerlich als Erwartungserfüller zu präsentieren und weitere Investitionen in Beziehungen und Minusgeschäfte zu tätigen, die ihr keinen entsprechenden Ertrag bringen. Es ist ein Widerstand dagegen, erneut Minusgeschäfte zu unternehmen und das zu tun, was sie selbst und andere von ihr erwarten. Die eigenen Erwartungen sind dabei die internalisierten Erwartungen, die die soziale Umgebung an sie richtet bzw. die sie bei dieser vermutet.
Tatsächlich können Depression und Burnout als ein Reaktionsmuster interpretiert werden, mit dem der Organismus versucht, sich davor zu bewahren, weiter unproduktiv Energie zu verbrauchen. Auf diese Weise betrachtet, ergeben die Depression und das Burnout einen Sinn. Sie haben zum Ziel, die Betroffenen vor weiteren sinnlosen Aktivitäten zu schützen. Depressive Patienten bzw. Burnout-Betroffene wählen das Verhalten, das ihnen in Bezug auf ihre Wahrnehmung der Welt und ihrer selbst am sinnvollsten erscheint. Diese Wahl ist keinesfalls bewusst. Vielmehr werden auf der bewussten Ebene vielfache Versuche unternommen, wieder in Aktion und Bewegung zu kommen, während auf der unbewussten Ebene diese Bemühungen blockiert und vereitelt werden.
Depression und Trauer – zwei verschiedene Gefühlszustände
Den Unterschied zwischen Depression und Trauer klar zu definieren, fällt selbst Fachleuten nicht leicht, kann doch beides ähnlich schmerzhaft sein. Gleichwohl handelt es sich um durchaus unterschiedliche Gefühlszustände.
Der Trauernde betrauert etwas, das er verloren hat und das ihm wichtig war. Etwas, das ihm viel bedeutet hat und von dem er sich trennen musste. Das kann etwas sein, das ihm in Bezug auf seine innere Bilanz ein emotionales Plus verschafft hat. Man trauert über eine wichtige Beziehung, die liebevoll und erfüllend war, trauert über das Ende einer erfolgreichen