TEXT + KRITIK 155 - Herta Müller. Группа авторов

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oder Repressalien. Es sind stets dieselben Mechanismen wie eh und je. Was ich heute über China in der Zeitung lese, kenne ich, ich habe es tausendmal erlebt, und es geht immer weiter. Das ist ein Muster. Von daher ist es gut, wenn die Studenten diese Collage sehen und lesen und dann über China sprechen oder über Ungarn oder über ein anderes diktatorisches Land.

      Ich würde gern auf die Form der Collagen zurückkommen. Sie haben angedeutet, dass formale Aspekte im Laufe der Jahre zunehmend wichtiger geworden seien. Bereits in »Reisende auf einem Bein« von 1989 wird das Verfahren des Collagierens beschrieben. Veröffentlicht wurden die ersten Collagen dann erstmals zwei Jahre später in den Paderborner Poetikvorlesungen »Der Teufel sitzt im Spiegel. Wie Wahrnehmung sich erfindet«. Diese frühen Collagen, dann auch die aus der Postkartensammlung »Der Wächter nimmt seinen Kamm«, scheinen mir im Vergleich mit den neueren Collagen nicht nur optisch rauer, sondern auch textuell verschlüsselter gewesen zu sein. In dem Maße, in dem die von Ihnen eben angedeutete Formgebungsarbeit wichtiger geworden ist, scheinen die Collagen nun auch zugänglicher, Brecht hätte gesagt: kulinarischer, geworden zu sein. Dazu trägt die Verwendung von Rhythmen und Reimen ebenso bei wie die Farbgestaltung, zudem sind die collagierten Texte in gewisser Weise narrativer und verspielter geworden.

      Ich glaube alles, was man lange macht, verändert sich, weil man sich selbst verändert. Früher waren die Collagen-Texte viel länger, auch habe ich winziges Material verwendet, aus Zeitschriften wie zum Beispiel »Spiegel«, »Stern« und »Focus« oder aus Tageszeitungen. Inzwischen arbeite ich mit größerem Material. In den ersten Collagen ging es auch, wenn ich jetzt so darüber nachdenke, sehr ungefiltert um die Diktatur. Ich habe sie damals in Rom gemacht, in der Villa Massimo, 1990, da waren die Diktaturen in Osteuropa gerade implodiert. Inzwischen habe ich zu dieser Zeit eine größere Distanz und auch andere Bedürfnisse; ich habe mich auch ein Stück weit befreit, vielleicht durch das Schreiben, vielleicht aber auch durch die veränderte historische Lage – die Diktaturen existieren eben nicht mehr. Solange sie existieren, bedrücken sie dich, einfach weil du weißt, es gibt sie noch, du bist zwar entkommen, aber du kommst von dort. Das ist anders, als wenn du weißt, Gott sei Dank, es ist vorbei. Ich glaube, danach hat mich etwas losgelassen, was mich früher nicht losgelassen hat, oder vielleicht habe auch ich etwas loslassen können. Wahrscheinlich ist es gegenseitig: Es hat mich losgelassen und ich habe es losgelassen. Dadurch wurden andere Zugänge möglich, auch eine Art von Humor. Die Collagen haben über die Jahre eine Art von Leichtigkeit gewonnen, auch wenn die vergangene Zeit noch drinsteckt. Diese Geschehnisse sind weiterhin darin vorhanden, sie werden nur anders angegangen oder sie spiegeln sich anders, weil sie sich in meinem Kopf mittlerweile anders spiegeln als damals, als ich noch mittendrin war oder als ich wusste, andere sind noch mittendrin.

      Könnten Sie noch Näheres zur Farbgestaltung und der visuellen Inszenierung der Collagen berichten: Verwenden Sie in den Collagen ausschließlich Originale oder werden beispielsweise Farbhintergründe im Interesse des Gesamteindrucks nachträglich hergestellt oder verändert?

      Ich helfe natürlich nach. Es kann sein, dass mir manches etwas zu monoton scheint, dann male oder radiere ich auch ein bisschen oder färbe ein. Oder wenn mir ein Wort zu schmal erscheint, dann klebe ich etwas dran. Eigentlich wäre ich doch besser Schneiderin geworden als Friseurin, ich bessere aus, ich flicke, ich verändere, aber nur, wenn ich meine, die Bilder und Texte verlangen danach.

      Das heißt also, Sie nehmen sich mittlerweile größere künstlerische Freiheiten?

      Ja, ja (sie zeigt eine Collage). Sehen Sie hier das Wort »zurückreiten«, das aus unterschiedlichen Buchstaben zusammengeklebt ist. Damit die Fugen nicht so stark hervortreten, versehe ich die Buchstaben mit Hilfe eines Radiergummis mit Schattierungen. Auch wenn etwas heller erscheinen soll, arbeite ich mit einem Radiergummi. Ich radiere an den Rändern der Buchstaben, bis diese heller sind, das führt auch zu Leichtigkeit. Dann klebe ich Schicht auf Schicht übereinander. Und bevor ich das Bild klebe, muss ich zuerst die Ränder beschneiden, weil nachher kann ich mit der Schere nicht mehr hineinschneiden.

      Aber alles geschieht per Hand, mit Schere, Radiergummi und Stift? Da wird nichts am Computer nachbearbeitet?

      Nein, nein, ich arbeite nur mit Schere, Stiften und Radiergummi, und das ist eigentlich das Schöne daran. Wie bei jeder Handarbeit geht es um das Detail. Ohne Detailverliebtheit kann man so eine Arbeit nicht machen.

      Uns ist aufgefallen, dass sich in den neueren Collagen – das gab es früher auch nicht – immer wieder einmal auch handschriftliche Schnipsel finden. Schreibt sich da die Autorin Herta Müller mit ihrer Hand grafisch in die Collagen hinein?

      Das sind auch Originale. Ich bekomme manchmal Kataloge und Werbeprospekte, die Handschriftliches enthalten, das schneide ich sofort aus.

      Also handelt es sich nicht um Ihre Hand-Schrift?

      Nein, ich schreibe nichts in meine Collagen hinein. Eine Fundgrube für schöne Buchstaben und Wörter sind die Auktionskataloge von Griesebach, aber auch Verlagsprogramme von Hanser oder Fischer, in denen bunte Buchumschläge mit Wörtern in allen Farben abgedruckt sind. Ein Wort kann aus jedem Text stammen, aber wenn ich es ausgeschnitten habe, ist es für sich, dann kennt es nur noch sich selbst. Wenn ich Katalogen, Prospekten und Zeitungen einzelne Wörter entnehme, bestehle ich niemanden, und im Nachhinein ist egal, woher ich das »der« oder das »die«, oder das Wort »Tisch« herhabe.

       Hier auf dem Tisch liegt eine Notizkladde, für Entwürfe?

      Ja, darin schreibe ich mir Varianten auf. Das ändert sich ja dauernd; manchmal kommt mir auch irgendwas dazwischen, weil ich ein anderes Wort finde. Wenn ich einen Text lege und ihn dann ändere, dann weiß ich oft gar nicht mehr, was vorher war, was ich hatte. Oft komme ich später aber auf einen ganz frühen Entwurf zurück. Darum muss ich alles aufschreiben, damit ich weiß, wie die Variante war und wie sie ausgesehen hat.

      Wie entstehen die Collagenbände? Nach welchen Kriterien werden sie zusammengestellt?

      Zuerst prüfe ich, ob Collagen, die auf zwei gegenüberliegenden Seiten im Buch gedruckt werden sollen, zusammenpassen, sowohl optisch als auch inhaltlich. Da bekomme ich auch Hilfe, zum Beispiel von meinem Lektor. Es hilft mir, wenn ein Außenstehender, der eine größere Distanz zu den Collagen hat, mitentscheidet.

      Das ist das eine; ich habe mit meiner Frage eigentlich – und das ist das andere – unterstellt, dass ein Band im Ganzen komponiert ist.

      Eigentlich nicht.

      Aber das Material wird doch in einer ganz bestimmten Reihenfolge angeordnet.

      Ich mache erst einmal jede Collage für sich. Daher glaube ich, dass die Collagen für sich eher unabhängig voneinander sind. Von daher gibt es auch keine strikte Reihenfolge. Und wenn die einzelnen Collagen dann im Buch zusammenkommen, müssen sie sich arrangieren. Wie die Sätze sich arrangieren in einem Text, müssen sich auch die Collagen miteinander arrangieren. Ich habe jetzt im Sinn, etwas wirklich Zusammenhängendes zu machen, aber darüber will ich noch nicht reden; wenn man so viel darüber redet, dann will das nicht mehr.

      Entsprechen die Collagen in den Büchern von der Größe her den Originalen?

      Ja, das tun Sie.

      Ich sprach neulich mit einem Kollegen über die Vermarktung der Collagen als Wandschmuck. Er hat zu mir gesagt, er würde eine Collage bei sich aufhängen, allein weil er sie optisch schön findet. Ist das Ihrer Meinung nach ein legitimer Umgang?

      Ach, das ist mir egal. Dumont hat jetzt schon den zweiten Kalender mit Collagen von mir gemacht. Die verkaufen sich gut. Ich bin sicher, so ein Kalender wird nicht nur von Literaturexperten gekauft. Ja, warum denn aber auch nicht? Mir wird auch immer wieder gesagt, dass gerade Kindern meine Collagen gefallen. Das freut mich,

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