Untergang der Juno. Hans Leip
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England warb Truppen zusammen aus aller Welt, charterte Schiffe für den Transport unter jeglichem Wimpel, der Lust hatte, Pfunde zu verdienen.
Und auch im derzeit englischen Lande Hannover erging Marschbefehl an alles, was an Besatzung trotz drohender französischer Verletzung der norddeutschen Neutralität entbehrlich war. Und somit rückte eines heiteren Spätsommermorgens auch das Regiment Löwenstein aus, marschierte unter Trommelschlag und Hörnerklang nach Harburg, bootete sich dort in Gemüseewer ein, trieb mit der Ebbe die Süderelbe hinunter, kam hinterm Nesshaken um Finkenwärder herum in die Strombreite und strebte, eine gemächliche, ausgedehnte Flottille unter niedrigen braunen Luggerlappen bei flauem Winde dem holsteinischen Ufer und den wartenden Überseeschiffen zu. Die roten Uniformen leuchteten in der milden Sonne wie reife Tomaten.
Finkenwärdersche Fischer, Bauern vom Alten Lande, ja auch Leute aus Harburg, Hamburg und Altona umkränzten den in dieser Gegend ungewöhnlichen Aufzug mit unterschiedlichen Kähnen.
„England wird sie alle fressen mit seinem unverschämten Rachen, die armen Luder!“ sagte ein Bas vom Grasbrook, dem die Briten eine Tjalk vor Neuwerk gekapert hatten, weil sie einen Stoss nagelneuer Lafettenräder nach Scheveningen zu liefern gedachte.
Der Erste Steuermann auf der Juno, William Mackay, liess den Blauen Peter ins Schau steigen. Die ganzen Kapitäne der fünf Transporter sassen nämlich noch alle oben an Land auf der Uferböschung in dem hübschen Wirtshause von Jacob, kauderwelschten Englisch, Plattdeutsch und Dänisch durcheinander und prosteten oft und gern auf eine gesegnete Reise. Reeder Parish hatte sie zu einem runden Abschiedsfrühstück eingeladen. War ihre Fracht erst an Bord, dann würde keine Zeit mehr sein, dann sollte es möglichst gleich losgehen. Sie kannten das grösstenteils von einem bisschen Sklavenhandel der Elfenbeinküste und auch Westindien selber her. Da brauchte Herr Parish nicht erst längliche Orders anzuweisen. Herr Parish erhob sich, sprach vom Geschäft. Und es würde ein guter Anteil Kapplaken für seine lieben Kapitäne dabei über sein. Die grossbritannische Krone lasse sich so wenig lumpen wie er. Und er brachte einen kräftigen Toast und Bumper auf die Angelegenheit aus. Der englische Regierungsvertreter, vom König herüberbefohlen, Sir Popham, derselbe, der den Signalkode für die Marine erfunden hatte, lächelte verbindlich in die Beifall lärmende Runde.
Aber der Quartiermeister des Regiments Löwenstein blieb ingrimmig sitzen. Er war schon in aller Frühe mit zwei Schreibern auf einem Moorburger Kutter eingetroffen und durchaus nicht zufrieden.
2
Frachtraum und Soldatenehre
Dreimal hipp das schöne Landserleben
Und die königliche Kompanie,
Die vor keinem Freund und Feind erbeben
Tut, drum ausgespielt, ihr Musici!
Draussen erkrachte ein Böllerschuss, gefolgt von vier anderen. Die Transportschiffe begrüssten ihre nahende Fracht. Man sprang ans Fenster. Sie kommen! Sie kommen! Hob die Gläser in die Weite, die diesig war und nach lauen Wiesen roch wie im Frühling. Dort in der glitzernden Elbbreite hinter den Fetzen des Pulverdampfes und den erschreckten Möwen, drüben unter den bräunlichen Strichen der Inseln und Vorländer, unter den dünnblauen Zügen der Heidehügel, dort tauchten sie fern auf wie ein Schub Stockenten.
Prosit! Prosit allzumal! Auf ein glückliches Indien!
Dünn erschollen von weither die Hörner. Nicht lauter als der Klang der Gläser hier.
Der Transportagent, ein kleiner, lebhafter jüdischer Makler, mit dem Hause Parish befreundet, tupfte sich den Rotspon von den Lippen, seine Hand zitterte. Er drückte sich hinaus, er ahnte Unheil von dem kriegerischen, langen und hübschen hannöverschen Offizier. Und der war auch schon hinter ihm her, tippte ihm energisch auf den Kragen seines mausgrauen Fracks.
„Wo bleiben die anderen Schiffe, Herr Agent?“ schrie er ihn an. „Diese fünf reichen für die Katz!“
„Wir haben nicht mehr!“ wand sich der Makler mit aufgehobenen Handflächen. „Däs Regiment Löwenstein is mech lieb wie ä eigenes Kind! Esu, es gibt kein Schiff in der ganzen graussen Welt nich aufzutreiben, glauben Herr Oberstleutnant mech, ich schwöre!“
Herr Parish trat dazwischen, ruhig, elegant, in der würdigen Fülle seines Alters und des in seinem Leben Erreichten. Er lächelte in strahlender Freundlichkeit dem Offizier in die erzürnten Augen und sagte dabei: „Wir sind den netten und ordentlichen militärischen Ton gar nicht gewohnt in Hamburg, wie Herr Baron belieben tun! Unser Agent hat ja auch recht, Schiffsraum ist knapper als bar Geld heutzutage. Und irgendwohin müssen wir ja auch die vielen teuren Lebensmittel hinstauen, die sie mitkriegen. Denn: was wird bewilligt, was gebilligt, was ist die Möglichkeit? Nehmen Sie, mein Herr von Plato, doch meinswegen die ganze Juno für Ihren geliebten Stab. Denn müssen die anderen eben ein büschen zusammenrücken.“
Das Gesicht des straffen Offiziers lief scharlachen an wie sein Waffenrock. Doch beherrschte er sich und sagte gedämpft: „Zusammenrücken? Zwölfhundert Mann? Ich bitte, zu erinnern, dass — es ist hier doch von Geschäft die Rede — anno einundachtzig die Kosten gerade durch schlechte Unterbringung sich unmasslich erhöhten.“
„Für die Regierung, nicht für den Reeder!“ lächelte der grosse Handelsherr.
Der Ton des von Plato wurde nun doch erregt: „Ich stehe hier für mein Regiment! Hannöversche Soldaten wurden damals wie Heringe verfrachtet. Krankheit brach aus, schon in der Nordsee. Man musste Portsmouth anlaufen. Dreihundert blieben im Lazarett. Ein Drittel davon starb. Ein weiteres Drittel kam auf dem Wege um, ohne einen Hauch von Indien gespürt zu haben. Ein Vetter von mir war darunter.“
„Gott hab’ ihm selig, oder wie sagt man auf deutsch?“ lächelte Herr Parish. Er fand, dass ein trübes Gefühl des Mitleidens, das ihn ankam, an falschem Platze sei. Er wandte sich den anderen Herren zu: „Es war nach Ostindien, ist glatt Geschäft der Kompanie selber, nicht meins. Wir gehen nur zu die West, das geht schneller und hat weniger Risiko.“
Der Agent wagte hier zu bemerken, geschützt durch den breiten Rücken des Reeders, die Soldaten kämen doch bald in ein wärmeres Klima, laut der Geographie, und dürften dann wohl froh sein, an Deck zu kampieren.
Der Offizier, ihn nicht beachtend, blitzte Herrn Parish an, als habe der die Frechheit gestottert. Parish war es selber peinlich, aber peinlicher war ihm dieses redende „Frachtstück“, so gutmütig, weitgereist und selbsterzogen er auch sein mochte. Rang und Anblick des Soldatischen allerdings machte wenig Eindruck auf ihn, dazu war er zu sehr Hamburger geworden. „Mein Himmel“, sagte er einlenkend munter, „Herr Oberstleutnant wollen mich doch wohl nicht fordern? Ich hab’ weder gedient noch studiert, bin auch nicht adlig, sondern bloss englischer Schiffsjunge gewesen und dann Kaufmann. Ich kenne meine Schiffe. Bei Stade liegen an vierzig weitere, aber alles kleinen Zeugs für die anderen Regimenter, die dort einbooten. Diese Riesen hier unten, die allerbesten, die ich habe, sind extra für die Löwensteiner. Und da tut der Herr noch quesen?“
Freiherr von Plato hatte es nun satt. Er meinte Spott aus aller Mienen zu lesen. „Ich verbitte mir! Ich verlange —!“ brauste er auf. Sein Degengehenk, seine Sporen klirrten. Puder stäubte von seiner untadeligen Perücke.
„Bitte!“ sagte Herr Parish erstaunt. „Ihr direkten Vorgesetzten King Georges der Dritte ist der Herr da.“
Er wies verbindlich auf Sir Popham, der, in der einfachen Uniform eines Fregattenkapitäns, gelangweilt dabeigestanden hatte, da er kein Deutsch verstand. John Parish