Untergang der Juno. Hans Leip

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Untergang der Juno - Hans Leip

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treff ein Donner euch! Scheusale! wagt es nicht! ...

      Wie Ambraduft will ich dich, Tod!

      Mit jedem Odemzug aus ihren Adern trinken,

      Auf ihren matten Busen sinken,

      Und mit ihm sterben — süßer Tod!“

      Gerstenberg bedankte sich überaus liebenswürdig, aber es war unecht und gewollt, und die Dame war leichtsinnig genug, ihn um Rat wegen der nächsten Ziehung zu fragen, er solle ihr zum Lohne eine aussichtsreiche Nummer zuflüstern. Er wies mit grossartiger Geste auf den Strom und sagte hämisch: „Teilen Sie das Los mit denen! So haben Sie wenigstens Gewissheit, entweder mit dem Einsatz, frei nach meinem Kollegen Schiller, oder aber, mit dem letzten Worte Ihrer Deklamation herauszukommen.“ — Damit wandte er sich dem Studium einer üppigen Himbeerschaumtorte zu.

      „Darachna, komm! Mein Wunsch, mein Lied!“ flötete Herr Parish in englischem Tonfall und liess sich den grünsamtenen polnischen Rock noch einmal abbürsten, seine Tochter Henny tat es zu seiner Freude eigenhändig, die wirklich wunderschöne, frischgebackene Lady, die sich mit dem so achtbaren als reichen Kaufmann Hercules Ross aus Jamaika verheiratet hatte und demnächst auf ein Schloss nach Schottland ziehen sollte. Der zärtliche Vater beschloss, mit Sir Popham in diesem angenehmen Kreis zu verweilen und von hier aus, mit dem besten Überblick, den man sich denken konnte, der Einschiffung der Truppen beizuwohnen.

      Den Transportagenten schickte er jedoch nach unten. Er solle flugs dem Obersten Löwenstein entgegenfahren, ihm die Schiffe anweisen und ihn zum Dinner heraufbitten.

      Parishs drei jugendliche Söhne, David, George und Charles, zogen weniger notgedrungen als aus freien Stücken vor, dem Makler zu folgen. Sie kletterten kurzerhand die steile Parkböschung zum Strande hinunter. Dort unten trafen sie auf das Boot, das den Schiffsleutnant Mackay von der Juno an Land gebracht hatte und unter Obhut des Leichtmatrosen Hint auf seine Rückkehr wartete. Weiterhin booteten sich mit viel Gegröl und saftigen Witzen die beiden Hamburger Kapitäne ein und nahmen auch den Transportagenten mit. Und da lagen nun hoch und schön die fünf grossen Segelschiffe. Bei den Dänen wurde noch Proviant aus einer langen Schute gehievt. Und schon waren die Löwensteiner über die Strommitte hinaus. David Parish zählte einundzwanzig Ewersegel, abgesehen von mehreren Dutzend anderen. Jetzt sah man auch, dass die Soldaten rudern mussten, um nicht bei der mässigen Brise von der Strömung zu weit abgetrieben zu werden und überhaupt endlich heranzukommen. Es war ein herrlicher Anblick. Der Tag schön wie im Mai.

      Die drei kehrten zu dem wartenden Boot zurück und unterhielten sich mit Jack Hint. Sie waren fast wie er angezogen, mit langen weissen Hosen, kurzer blauer Jacke und rundem, schwarzem, flachem Hut. Nur war der Stoff feiner, der Schnitt enger. Es war die neue Mode, die Kleidung der Revolution, die alle äusserlichen Vorrechte abgeschafft und die Tracht der Einfachsten unter dem Volke, der Hafenarbeiter und Matrosen, zum Vorbilde für alle erhoben hatte.

      Sie hörten schnell heraus, dass Jack Hint ein grosses Erlebnis hinter sich habe, einen richtigen, langwierigen Schiffbruch mit langsamem Verhungern und Verdursten, Wahnsinn und endlicher Rettung. Sie konnten gar nicht genug davon hören, vergassen beinahe die Löwensteiner und empfanden es als störend, als plötzlich ein vornehm gekleidetes Fräulein Jack Hint begrüsste und nach Herrn Mackay fragte. Herr Mackay kam aber gerade mit einem rotröckigen Offizier den Strandweg herunter, und das Fräulein eilte ihm entgegen.

      „Die waren auch dabei, mein Steuermann und sie“, sagte Jack Hint stolz und jumpte ins Boot, um bereit zu sein.

      Mackay hatte soeben der Ansicht des Herrn von Plato beigepflichtet, dass es für einen Mann nur Zukunft gebe und alle Vergangenheit, so schön oder traurig sie sei, ihn nicht hindern dürfe. Damit hatte sich der Hannoveraner selber Trost zureden wollen, und Steuermann Mackay, der schon ewig lange nicht mehr bei seinen Eltern in London hatte sein können, half es, das Heimweh mit der Vision des Kapitänspatentes zuzudecken, das er ohne Urlaub rasch zu erringen hoffte.

      Nun sah er auf einmal ein Stück seiner eigenen Vergangenheit wieder vor sich stehen und dazu in schöner Gestalt, die Passagierin der Juno, Fräulein Sanders, die der damalige Erste Steuermann ebenfalls, wenn auch heimlich, Juno getauft hatte wegen ihrer Ähnlichkeit mit der Galionsfigur. Sie trug ein neues, reizvoll dünnes Musselinkleid und einen kleinen Schutenhut und auch den Kaschmirschal, den Mackay ihr zum Andenken an Indien geschenkt hatte.

      Der Offizier verhielt seinen Schritt höflicherweise ein wenig, aber sie wandte sich ihm gleich zu, nachdem sie Herrn Mackay die Hand gegeben hatte. Sie bat um Verzeihung, sie wolle nur noch einmal Abschied nehmen, vereinigt mit dem Anschauen des Ereignisses. Herr Schiffsleutnant Mackay sei ein Held, und sie beglückwünsche die Hannoveraner Soldaten zu solcher Begleitung.

      Mackay hatte die Schmeichelei, da sie auf deutsch gesagt wurde, nicht verstanden; dennoch schien er ein wenig betreten.

      Aus Herrn Parishs Park von oben träufelte ein Harfensolo herab, und dann sang eine volle Frauenstimme die Arie: «Nous sommes nés pour l’esclavage.»

      Wir sind geboren zur Sklaverei,

      Wer ist ein Mensch, und wer ist frei?

      Kein Engel und kein Bösewicht,

      Kein Bettler und kein König nicht.

      Dem Geld front der eine, der andere der Pracht,

      Der Ehre jener und jener der Macht.

      Und gelang es mal einem, den Fesseln zu fliehn,

      Kommt leise die Liebe und bindet ihn.

      Oho, meinte von Plato mit einem verkniffenen Blick auf die Hügelkuppe über sich, durch deren Gesträuch fröhliche Kleider in Krepp, Amarant, Rosa und Ocker mit den Farben des herbstlichen Laubes wetteiferten: Das sei ja aus Gretrys «La Caravane du Caire.» Man habe es in Hannover gut gegeben. Aber es sei wenig taktvoll, von Sklaverei zu singen, wo deutsche Soldaten nach Indien verfrachtet würden.

      „Ich hörte es gestern abend in der Oper. Es läuft am Schlusse darauf hinaus, dass wir alle Sklaven der Liebe sind“, sagte das Fräulein. Es stand blass und blond (obschon es zum Zeichen der Abschiedstrauer eine schwarze Lockenperücke aufgesetzt hatte) vor dem stämmigen Steuermann Mackay und sah seine blanken Knöpfe an, als sollten die goldenen Anker darauf den Augenblick in Ewigkeit halten.

      Mackay merkte, dass er etwas sagen müsse. Ob die Kassette gut in die Hände des Eigentümers gelangt sei, fragte er, wenngleich er selber dabei war, als sie abgeliefert wurde.

      „Mein Onkel hat alles richtig befunden. Oben hält sein Wagen. Hätten Sie nicht noch Zeit, mit uns zu frühstücken?“ antwortete sie rasch, schrak aber im nächsten Wimperschlag furchtbar zusammen; denn die Löwensteiner, nunmehr nach Meinung des Stabes nahe genug herangekommen, feuerten eine dreifache Musketensalve in die Luft.

      Wie zur Antwort begannen die Glocken der Nienstedtener Kirche, deren lustiger Turmhelm hinter Parishs Haus aufzog, mit aller Macht zu läuten.

      „Um Himmels willen!“ entgegnete Mackay, grüsste mit der Hand und sprang ins Boot. „Es wird ja Zeit!“

      Fräulein Sanders schwankte und fiel dem grossen Hannoveraner in seine höflich auffangenden Arme. „Ich werde einst alles erben!“ hauchte sie. Der schöne Offizier, nach einem schnellen Blick in die Runde, die gänzlich mit Tücherwinken, Aufmerksamkeit und Begrüssungsgetümmel auf die Truppenboote gerichtet war, küsste das bleiche Fräulein. Und so salzig auch ihre Lippen von Tränen schmeckten, als er später vor San Domingo in glühender Sonne fieberfrierend lag,

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