Rulantica (Bd. 1). Michaela Hanauer

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Rulantica (Bd. 1) - Michaela Hanauer Rulantica

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habe euch doch gesagt, dass sie Zuspätkommen schlimmer findet als alles andere«, windet sich Aquina aus der Sache heraus. Von den Äpfeln will sie auch Jade nichts verraten.

      Larima kann sich eine bissige Bemerkung nicht verkneifen: »Wenn du zu Hause genauso schlecht singst wie hier, wundert mich gar nichts!«

      »Ruhe jetzt!«, befiehlt Manati und unterbindet jegliches weitere Geschwätz mit einem langen Vortrag darüber, wann Dur- und wann Molltonleitern besser zur Abschreckung geeignet sind.

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      Dass auch in den folgenden Tagen keiner die Wahrheit errät, ist nur ein schwacher Trost. Aquina hockt in ihrem Zimmer und starrt Blasen ins Wasser. Wenn sich wenigstens Snorri blicken lassen würde, damit sie ihm erklären kann, dass sie hier festsitzt. Heute Morgen hat Bror die Aufgabe übernommen, sie zur Korallenbank zu bringen und wieder abzuholen. Sonst ist er wesentlich gutmütiger als ihre Mutter, aber auch er hat ihr keine Gelegenheit gelassen, um nach ihrem Tintenfischfreund zu suchen.

      »Wahrscheinlich vermisst er mich sowieso nicht«, knurrt Aquina selbstmitleidig in sich hinein, »sondern freut sich, dass er die restlichen Äpfel allein auffuttern kann.«

      Ein sonores Tuten reißt sie aus ihren trüben Gedanken. Das kommt vom Eingang. Besucher kennen den Säulencode vor dem Wasserfall nicht und müssen die Signalmuschel betätigen, um sich anzumelden. Wahrscheinlich will bloß jemand zu ihrer Mutter, aber nachdem sie sich wenigstens im Palast frei bewegen darf, schlüpft Aquina in den Gang und hält Ausschau. Sie beobachtet, wie die Gelbhaarquallen diensteifrig Aufstellung nehmen, um den Neuankömmling gründlich zu durchleuchten, bevor er zu Kailani vorgelassen wird. Auch wenn ihre Mutter zu den Unsterblichen gehört, muss sie genauso beschützt werden wie jede andere Anführerin auch. Die Unsterblichen können keines natürlichen Todes sterben, leben also ewig, es sei denn, sie werden im Kampf oder durch eine hinterhältige Tat getötet. Viele, unter ihnen auch der frühere Wikingeranführer Viken, haben für den Schutz der Insel bereits ihr ewiges Leben geopfert. Nur noch fünf Unsterbliche leben bis heute, darunter Kailani und Exena.

      Aquina fröstelt, wenn sie an Exena denkt. Genau wie ihre Mutter wurde sie nach Vikens Tod zur Anführerin – Kailaini mit ihrer herausragenden Stimme ist die beste Wassermagierin aller Zeiten und gibt ihr Wissen an die Sirenen weiter. Exena, die einzige Eismagierin, die sogar über die Grenzen Rulanticas hinaus zaubern kann, bildet die Quellwächter aus.

      Aber außer dass die Quelle der Unsterblichkeit unbedingt beschützt werden muss, sind die beiden eigentlich nie einer Meinung. Noch bis kurz nach Aquinas Geburt teilten sie sich die Herrschaft in Vierjahresperioden, und es soll gelegentlich hoch hergegangen sein, sogar von einem Anschlag auf ihre Mutter wird gemunkelt, obwohl die Quellwächter das bis heute leugnen.

      Seit einiger Zeit haben Kailani und Exena sich geeinigt, die Meermenschen in zwei Gruppen zu trennen, und so herrscht ihre Mutter in Aquamaris und Exena über die Eisstadt. Beide Seiten versuchen, sich aus dem Weg zu schwimmen, so gut es bei der direkten Nachbarschaft möglich ist. Auch Aquina begegnet den Quellwächtern nicht allzu häufig, aber manchmal stiehlt sie sich in die Eisstadt und beobachtet heimlich, wie sie mit ihren Eiszacken trainieren und auf ihren Kelpies reiten. Aquina würde viel dafür geben, ebenfalls auf einem Kelpie reiten zu dürfen. Noch eines der Dinge, die ihre Mutter ihr strikt verbietet …

      Aquinas Vater ist kein Unsterblicher und gerade er besteht auf die Vorsichtsmaßnahmen am Eingang. »Du bist für uns alle viel zu wichtig, für mich natürlich ganz besonders. Wir dürfen nichts riskieren!«, sagt er immer, wenn Kailani die Gelbhaarquallen lieber aus ihrem Muschelpalast verbannen würde, weil sie überall und ständig lautlos herumschweben.

      »Wir sind nie wirklich unter uns und ich würde liebend gerne eine Nacht im Dunkeln schlafen und nicht mit Quallenbeleuchtung«, murrt Kailani manchmal.

      Das sind die seltenen Momente, in denen Aquina sich ihrer Mutter nahe fühlt, wenn sie zugibt, dass die ewigen Pflichten auch für sie hin und wieder lästig sind und sie auf das Wohl aller auch gerne mal pfeifen würde. Meistens hat sie sich aber gleich wieder im Griff und lächelt jede Anstrengung weg.

      Also sind die Quallen geblieben und betasten gerade den armen Nyssa, einen Fisch-Boten. Sein olivfarbener, schuppenloser Körper zuckt bei jeder Berührung, er klappt sein großes Maul auf und zu und rollt mit den Augen, die bei ihm ungewöhnlich weit oben am Kopf liegen. Gleichzeitig versucht er, mit seinen zarten Flügelflossen die Tentakel abzuwehren. Als ob er kitzlig wäre.

      Aquina schwankt zwischen Lachen und Mitleid. Bevor sie den schlanken Fisch retten kann, hört sie ihre Mutter heraneilen und drückt sich in eine Nische. Sicher ist sicher, bevor ihre Mutter auf die Idee kommt, den Arrest noch zu erweitern und sie in ihrem Zimmer einzusperren.

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      »Lasst Nyssa in Ruhe«, befiehlt Kailani. »Ihr kennt meinen Boten inzwischen lange genug und müsst ihn nicht jedes Mal der vollen Prozedur unterziehen!«

      Folgsam, wenn auch widerwillig zieht die Gelbhaarquallen-Garde sich zurück und Kailani lotst Nyssa in den Empfangsraum. Aquina huscht hinterher. Normalerweise interessiert sie sich nicht besonders für die Arbeit ihrer Mutter, aber heute ist jede Abwechslung willkommen. Von einer verborgenen Ecke aus beobachtet sie, wie Nyssa seine Nachricht überbringt.

      Die Fische sprechen nicht laut wie die Meermenschen. Aber im Laufe der Jahrhunderte haben die Meermenschen es sich angeeignet, den Fischen von den Lippen zu lesen, und umgekehrt. Die Meerkinder lernen die stumme Sprache zusammen mit den Jungfischen in Tierkunde. Leider findet der Unterricht in jeder Mondphase nur einmal statt, weil die Fische nicht öfter ihre Nahrungssuche aussetzen können, und es kommen nicht alle Arten. Vor allem die Schwarmfische schicken nur höchst selten einen Abgesandten. Als sie klein war, hat Aquina sich darüber gewundert. »Warum wollen die Fische nicht mit uns reden?«, hat sie ihre Mutter gefragt.

      »Für die Fische ist es viel weniger wichtig, mit uns zu reden, als umgekehrt«, hat Kailani erklärt.

      »Sie können die Dreimeilenzone von Rulantica verlassen und überleben problemlos ohne uns.

      Wir müssen für jeden Meeresbewohner dankbar sein, der uns hilft, Rulantica und die Quelle zu beschützen.«

      Die Kunst des Lippenlesens lehren abwechselnd der alte, mürrische Lachs Tradon und die Meerfrau Runa. Der Unterricht macht Aquina viel Spaß, auch wenn es nicht so einfach ist und man sein Gegenüber sehr genau beobachten muss. Ein kleines Blinzeln, eine kurze Unaufmerksamkeit und schon hat man den Sinn verpasst. Und manche Fischarten nuscheln ein wenig. Nyssas Worte kann man eigentlich relativ leicht lesen. Aber in ihrem Versteck erkennt Aquina seine Lippen nicht gut, vor allem weil Nyssa aufgeregt umhertänzelt. Die einzigen Wortfetzen, die Aquina lesen kann, sind »treffen« und »Wellen«. Wahrscheinlich soll Kailani irgendwo hinkommen und jemanden treffen … Aber wen und warum? Das hat Aquina nicht verstanden – oder doch? Bei den Wellen? Nein, ganz anders, die Nachricht ist von den Wellen! Sie hat schon ein paar Mal mitbekommen, dass die plätschernden Wellen ihrer Mutter erzählen, was sie auf den Weltmeeren aufschnappen. Ozeanklatsch nennt ihre Mutter das. Meist nur unsinniges Zeug, weswegen Kailani nicht offiziell zugeben würde, mit den Wellen in Kontakt zu stehen. Aber heute scheint es wichtig zu sein …

      Bevor ihre Mutter sie beim Lauschen erwischt, stiehlt sich Aquina unbemerkt aus dem Empfangssaal. Die Sache ist dringend, so viel ist klar, sonst wäre Nyssa nicht so aufgeregt gewesen. Aquina hört, wie ihre Mutter hinter ihr durch den Gang hastet und der Delfingarde zuruft: »Nein, bleibt, wo ihr seid, ich brauche keine Begleitung!«

      Zu

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