Rulantica (Bd. 1). Michaela Hanauer
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Das Wasser um ihren Finger fängt an, sich zu kräuseln. Der Wirbel setzt sich in Bewegung, hält auf den fliehenden Fisch zu, streift ihn an der Seite. Aquina kann es selbst kaum glauben. Zum allerersten Mal scheint ihr der Spruch richtig gut zu gelingen. Im Notfall ist Wassermagie vielleicht doch nicht so unbrauchbar. Der Katzenhai gerät ins Trudeln, gleich wird er gefangen sein, wie Aquina neulich im Unterricht. Doch ohne Vorwarnung bricht der Wirbel ab. Aquina ist verzweifelt, warum bloß bekommt sie die Zauber nie so richtig hin? Der Hai schüttelt seine Flossen, als sei ihm ein kalter Schauer über den Rücken gelaufen, und taucht dann unbehelligt in das Felsenlabyrinth unter sich ab. Aquina kann ihm endgültig nicht mehr folgen, wenn sie sich nicht sämtliche Schuppen aufreiben will. Snorri gibt sein Bestes, aber allein nimmt er es lieber nicht mit einem Hai auf und er dreht nach ein paar Schwimmzügen um.
Sie bekommen gerade noch mit, wie der Hai auf die Eisstadt zusteuert.
»Verdammt!«, rutscht es Aquina heraus. »Jetzt können wir ihn nicht mehr aufhalten. Was immer er gehört hat, wird er brühwarm Exena berichten. Und wenn die Gerüchte stimmen, versteht sie jedes Wort aus der Haisprache! Was machen wir denn nun? Wenn ich ohne Erfolgsmeldung komme, macht meine Mutter mich einen Kopf kürzer, weil ich eigentlich gar nicht draußen sein dürfte«, erinnert sich Aquina.
»Snö«, macht Snorri und lässt den Kopf noch tiefer hängen als sie.
Ihr Verdacht von vorhin fällt ihr wieder ein.
»Kennst du den Jungen eigentlich, von dem die Wellen erzählt haben?«, fragt Aquina. Immerhin ist Snorri deutlich länger auf der Welt als sie und hat schon einiges mehr gesehen. Und tatsächlich nickt Snorri eifrig.
»Ein Freund von dir?«
Snorri schiebt einen Arm auf seine und einen zweiten auf Aquinas Brust, dort, wo das Herz schlägt. Ein klitzekleiner Stich trifft Aquina, es gibt also jemanden, den Snorri genauso gerne hat wie sie? Das hat sie nicht erwartet. Wer ist der Junge, für den alle sich so ungewöhnlich benehmen? Aquinas Neugierde ist mehr als geweckt, und sie schwimmt unbewusst weiter auf die Eisstadt zu, in der Hoffnung, dass nicht alle Antworten mit dem Katzenhai auf Nimmerwiedersehen verschwunden sind.
Wie eine Kuppel aus Eis liegt sie vor ihnen. Ein blaues Leuchten geht von der Stadt aus. Kalt und unnahbar. Die Quellwächter haben eine gigantische Glocke aus Eisblöcken erschaffen, um unwillkommene Eindringlinge abzuwehren. In Aquamaris führen sternförmige Wege in die Stadt, sie zeigen, dass jederzeit Fischschwärme und andere Wasserbesucher willkommen sind. In die Eisstadt gibt es hingegen nur einen einzigen Eingang. Odins wachsames, weises Auge ziert – in Eis gemeißelt – den Torbogen und macht sofort klar, welcher Gott hier verehrt wird. Aquina fröstelt wie immer, wenn sie auf die Stadt zuschwimmt. Sirenen sind nicht gerne gesehen, aber gerade noch geduldet. Trotzdem wird sie auffallen und die Wachen werden sie befragen. Die Verfolgung eines Katzenhais ist ganz sicher nicht die Antwort, die ihr Einlass verschaffen wird. Es gibt eigentlich nur einen halbwegs plausiblen Grund für einen Besuch in der Stadt. »Komm, Snorri, wir versuchen es!«, flüstert Aquina.
»Halt! Was willst du in der Eisstadt, Sirene?« Der Quellwächter ist groß und hager, die langen dunklen Haare im Nacken zusammengebunden, mit seinem mattgrauen Fischschwanz verstellt er Aquina den Weg.
»Ich muss zu Mimir«, behauptet Aquina.
»Das könnte ja jeder dahergeschwommene Meermensch behaupten. Was willst du von unserem Heiler?«
Aquina dreht ihren Arm und hält dem Wächter den Muränenbiss unter die Nase. Obwohl es schon einige Sonnen her ist, ist die Stelle immer noch rot entzündet, und die Zähne haben deutliche Löcher hinterlassen.
»Der kleine Kratzer? Ihr Sirenen haltet wahrlich nichts aus!«, höhnt der Wächter.
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