Aufbruch in die Dunkelheit. Mark Stichler

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Aufbruch in die Dunkelheit - Mark Stichler

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gegeben hatte, gut auf sie aufzupassen.

      „Und was ist dann passiert?“, fragte Judith jetzt ungeduldig. Sie war augenscheinlich diejenige, die Avas Geschichte die größte Aufmerksamkeit entgegenbrachte.

      „Nichts ist passiert“, sagte Simon ungehalten. Aus irgendeinem Grund nahm er an, Ava würde die Geschichte hauptsächlich erzählen, um ihn vor den anderen zu blamieren. Obwohl an sich ja gar nichts geschehen war. Möglicherweise ärgerte er sich auch selbst über seine zögerliche Haltung, derentwegen Ava ihm mehrere Male vorgeschlagen hatte, selbst vorauszugehen.

      „Simon wollte wieder gehen und das Kontor abschließen, sodass niemand ins Haus gelangen kann“, sagte Ava und lächelte.

      „Eine gute Idee“, meinte Eduard.

      „Danke“, erwiderte Simon erleichtert und nickte Eduard zu.

      „Ihr habt doch bestimmt einen Handwerker gerufen, um das zu reparieren, nicht wahr?“

      Simon schüttelte den Kopf.

      „Das machen wir gleich nächste Woche. Bis dahin bleibt das Kontor abgeschlossen. Es gibt ohnehin keinen Grund mehr, es offenstehen zu lassen.“

      „Wir haben einen Keller entdeckt. Ein schwarzes, bodenloses Loch, in das eine Treppe nach unten führt“, unterbrach Ava ihren Bruder. „Ich hatte es noch nie zuvor bemerkt und auch Simon ist nie zuvor da unten gewesen.“ Sie hatte ihre Stimme gesenkt und sprach in einem verhaltenen Flüsterton. „Wir konnten die Hand nicht vor Augen sehen und unsere Kerze leuchtete gerade mal einen Meter weit.“

      „Ach, übertreibe doch nicht so maßlos“, rief Simon. „Wie sonst hätten wir denn sehen können …“

      „Psst“, rief Ava eifrig. Eduard lachte. Er fand Avas Vorliebe für geheimnisvolle Geschichten und Abenteuer etwas überspannt, aber doch auch sehr charmant.

      „Ja, wir sahen etwas weiter“, fuhr Ava fort und warf ihrem Bruder einen ungnädigen Blick zu. „Aber was wir sahen, ließ uns das Blut in den Adern gefrieren.“ Sie machte eine kunstvolle Pause. Simon verdrehte die Augen.

      „Ja, was denn?“, fragte Doris Alsberg, die ältere der beiden Schwestern, schließlich. Offenbar hatte Avas Erzählung auch sie jetzt in ihren Bann geschlagen.

      „Es hingen schwere Ketten an den Wänden. Folterwerkzeuge … Und in der Mitte stand ein großer Holzblock mit einem Beil“, sagte Ava mit Grabesstimme und warf vielsagende Blicke in die Runde.

      Eduard runzelte die Stirn.

      „Eine Folterkammer?“, fragte Herr Stange plötzlich ungläubig. Er hatte sich bisher noch gar nicht zu Wort gemeldet.

      Herr Stange war sehr bleich und trug einen schmalen, hellblonden Schnurrbart. Seine hellen, wässrigen Augen wanderten stets unstet durch den Raum. Er wirkte schüchtern und konnte niemandem lange ins Gesicht sehen. Zumeist stand er nur bei den anderen und sagte keinen Ton. Die Escher-Brüder nahmen an, Ava lud ihn nur ein, weil er einen vorzüglichen Zuhörer abgab. Und das war auch der Fall. Bei keinem noch so banalen Thema erfand Herr Stange Ausflüchte, um dem Gespräch eventuell entkommen zu können. Geduldig saß er da, den Blick meist zu Boden gerichtet oder auf einen fernen Gegenstand im Raum, und hörte zu. Er nickte meist an den richtigen Stellen oder warf einsilbige Kommentare ein. Bei den seltenen Diners der Mandelbaums, der Alsbergs oder der Eschers war Herr Stange außerdem ab und zu von Nutzen, wenn einmal ein Tischherr fehlte.

      „Eine Folterkammer“, bestätigte Ava, etwas überrascht von Herrn Stanges unerwartetem Einwurf.

      „Ach, was“, rief Simon gereizt und sprang auf. „Wir wissen überhaupt nicht, was das ist.“ Er wurde kurz nachdenklich. „Es war schon ein merkwürdiger Anblick. Aber … wahrscheinlich haben sie dort früher den Hühnern den Kopf abgeschlagen. Es waren ein paar alte Ketten an der Wand. Das ganze Zeug war komplett verrostet.“ Er ging hinüber zu einer Anrichte, auf der verschiedene Flaschen und Flakons standen. „Möchte irgendjemand etwas zu trinken? Cognac? Sherry? Likör?“

      Ava war eigentlich noch nicht bereit, das Thema fallenzulassen. Ihre Entdeckungen im Keller des Hauses hatten ihre lebhafte Fantasie zu sehr angeregt. Doch in diesem Moment ging die Tür zum Salon auf und Herr von Bergen trat ein.

      „Guten Abend, meine Lieben“, rief er und ging rasch auf Ava zu. „Ich hoffe, man verzeiht mir meine Verspätung, aber ich wurde aufgehalten.“

      Er schien ein wenig außer Atem zu sein, sein gewelltes, braunes Haar war leicht zerzaust und die Schleife seiner weichen Krawatte etwas verrutscht. Alles in allem machte er den Eindruck eines jungen Mannes, der sich schweren Herzens von einer äußerst wichtigen Verabredung hatte lösen müssen, ob geschäftlicher oder amouröser Natur blieb offen. Und der sich dann sehr beeilt hatte, noch einigermaßen rechtzeitig zur nächsten Verabredung bei den Mandelbaums zu erscheinen. Es war allgemein bekannt, dass Andreas von Bergen nichts gegen den Ruf eines in Liebesdingen nicht ganz unerfahrenen Mannes einzuwenden hatte.

      Die Alsberg-Schwestern jedenfalls griffen beinahe synchron zu ihren Taschentüchern und tupften sich nervös den Hals, während von Bergen Ava und Simon begrüßte.

      „Es war nichts Wichtiges“, entschuldigte er sich dann noch einmal bei den anderen.

      Hans erschien es beinahe so, als hoffe er durch die Erwähnung weiter nach dem Grund seiner Verspätung ausgefragt zu werden, um irgendwann mit einem Lachen vor dem Ansturm der Fragen kapitulieren zu können und von seiner vorherigen Verabredung zu berichten. Er und von Bergen waren im gleichen Alter und Hans hatte ihn schon seit der Schulzeit in Verdacht, sich immer quasi der Rolle des jungen Adeligen verpflichtet zu fühlen, von der er ein ziemlich klischeehaftes Bild hatte. Wobei der Adel für Hans per se vom Klischee lebte und von Bergen somit ja genau ins Schema passte. Doch jetzt beschäftigten Hans andere Dinge. Die ganze Zeit schon stand er wie abwesend und tief in Gedanken etwas abseits von der Gruppe. Die Aufmerksamkeit, die von Bergen auf sich gezogen hatte, kam ihm gelegen. Er nahm Ava kurz entschlossen am Arm und führte sie ein Stück von den anderen weg.

      „Ich muss mit dir reden“, sagte er leise.

      Beim Fenster blieb er stehen und wandte sich ihr zu. Einen Moment schwieg er und blickte ihr in die Augen. Ava, die seinen Blick zuerst neugierig und mit einem Lächeln erwidert hatte, wurde nervös.

      „Was ist denn los?“, fragte sie und errötete. Ihre Gedanken waren die ganze Zeit mit ihrem Abenteuer im Keller beschäftigt gewesen. Hans’ plötzliche Ernsthaftigkeit irritierte sie.

      „Du heiratest?“, fragte Hans nach kurzem Zögern mit rauer Stimme und wurde plötzlich verlegen. Er versuchte, es zu überspielen, indem er eilig weitersprach, ohne ihre Antwort abzuwarten. „Du hättest ruhig etwas sagen können. Oder ist das ein Geheimnis, das du deinen engsten Freunden vorenthalten willst? Zumindest dachte ich bisher, Eduard und ich gehörten zu deinen engsten Freunden.“

      „Aber ja doch“, rief Ava leise und wandte sich zu den anderen um. Von Bergens Taktik, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, funktionierte. Alle hatten sich um ihn geschart, während Simon einige Gläser füllte und herumreichte. Niemand achtete auf Ava und Hans.

      „Wie kann es dann sein, dass anscheinend alle Welt von deiner bevorstehenden Hochzeit weiß, nur wir nicht?“, fragte Hans mit unterdrücktem Ärger.

      „Ich … Ich …“ Ava war auf Hans’ Vorwürfe offensichtlich in keiner Weise vorbereitet und sehr verwirrt. „Wir haben es doch noch gar niemandem

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