Aufbruch in die Dunkelheit. Mark Stichler

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Aufbruch in die Dunkelheit - Mark Stichler

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hätte … Wir hätten es euch natürlich erzählt“, erwiderte Ava und versuchte, ihre Fassung wiederzufinden. „Es ist noch lange nicht so weit. Und ich hätte nicht gedacht, dass es dich so sehr interessiert.“

      Hans betrachtete sie einen Augenblick. Dann berührte er leicht ihren Arm.

      „Das kann unmöglich dein Ernst sein“, sagte er. „Wie kannst du nur einen Moment annehmen, dass es mich nicht interessiert? Hatten wir nicht immer …“ Er unterbrach sich. „Wer ist er denn überhaupt? Siehst du, ich bin derartig durcheinander, dass ich sogar vergessen hab zu fragen, um wen es sich eigentlich handelt.“

      Ava blickte zu Boden.

      „Aaron“, flüsterte sie.

      „Wie bitte?“, fragte Hans laut. Andreas von Bergen warf einen kurzen Blick zu ihnen hinüber, fuhr aber gleich wieder mit seiner Geschichte fort. Eduard hatte ebenfalls bemerkt, dass Hans und Ava sich am Fenster unterhielten, kümmerte sich aber auch nicht weiter darum.

      „Aaron Friedmann“, sagte Ava deutlich und blickte Hans fest in die Augen.

      Hans runzelte die Stirn.

      „Aaron Friedmann“, wiederholte er. „Ist das nicht der Sohn eures Prokuristen?“

      Ava nickte.

      „Und wo ist dein Verlobter heute?“ Hans blickte sich um, als müsse bei gründlicher Untersuchung des Raumes Aaron Friedmann ganz bestimmt irgendwo auftauchen. Hinter einem Sofa, unter dem Teppich …

      „Er ist unterwegs …“, antwortete Ava ausweichend. „Er trifft einige Lieferanten, glaube ich.“

      „Aha“, machte Hans unzufrieden. „Wahrscheinlich haben wir es ihm zu verdanken, dass ihr eure Stoffe jetzt von einer anderen Firma bezieht.“

      „Unsinn“, sagte Ava unwirsch. „Außerdem sind solche Abende nichts für ihn.“

      Hans lachte.

      „Er ist sich wohl zu fein für unsere Gesellschaft“, meinte er spöttisch.

      „Unsinn“, rief Ava noch einmal ärgerlich und stampfte mit dem Fuß auf. Jetzt sahen sogar die Alsberg-Schwestern für einen kurzen Moment zu ihnen hinüber. „Er sagt nur, er fühle sich da nicht wohl in seiner Haut. Die Gespräche sind nichts für ihn. Er ist …“, sie überlegte, „er ist ruhig. Nüchtern und besonnen. Für Simons Ideen hat er nichts übrig.“

      „Du meinst, für Simons und meine Ideen“, ergänzte Hans.

      „Vielleicht“, sagte Ava vage. „Diese ganzen Utopien, die Träume von einer besseren, gerechteren Gesellschaft … Aaron ist eben Realist.“

      Hans schüttelte unwillig den Kopf.

      „Man ist also ein Träumer, wenn man über eine bessere Gesellschaft nachdenkt, für Veränderung eintritt?“

      „Das habe ich nicht gesagt“, erwiderte Ava ärgerlich. „Wie kannst du mir das nur vorwerfen? Ich bin doch eurer Meinung. Haben wir nicht stunden-, tage- und nächtelang miteinander diskutiert? Das Sozialistengesetz, die Ausbeutung der Arbeiter, die Ungerechtigkeit gegen Juden nur aufgrund ihrer Religion …“

      „Und Herr Aaron Friedmann hält das alles für Unsinn? Für Kindereien? Einen müßigen Zeitvertreib, während erwachsene Menschen ihrem Beruf nachgehen?“

      Ava seufzte.

      „Er denkt natürlich über solche Dinge nach. Aber er ist …“ Sie zögerte. „Er ist eben sehr zurückhaltend.“

      „Du weißt es nicht“, sagte Hans mit einem triumphierenden Unterton in der Stimme. „Du weißt nicht, wie er über solche Dinge denkt, nicht wahr?“

      „Er ist mehr an den praktischen Dingen des Lebens interessiert“, erwiderte Ava wenig überzeugend.

      Hans sah ihr fest in die Augen.

      „Liebst du ihn denn?“, fragte er plötzlich.

      Ava errötete tief.

      „Wie kommst du nur dazu, mir eine solche Frage zu stellen?“, rief sie außer sich. „Was geht es dich an?“

      „Was mich das angeht?“, fragte Hans irritiert. „Ich dachte, wenn jemand das Recht hat, eine solche Frage zu stellen, dann ich.“

      „Du?“ Ava sah ihn überrascht an. „Warum denn das?“

      Hans schüttelte entrüstet den Kopf.

      „Ava, wir beide kennen uns, seit wir Kinder sind. Wir haben zusammen in der Theatergruppe der Gemeinde gespielt. Unsere Väter sind Geschäftspartner, seit ich denken kann. Und, nun ja, irgendwie auch befreundet miteinander. Du und Simon, Eduard und ich, wir haben unsere ganze Jugend gemeinsam verbracht.“ Er blickte Ava tief in die Augen. „Und haben wir beide uns nicht schon vor Ewigkeiten Treue geschworen? Ich weiß es noch, als sei es gestern gewesen. Solltest du es tatsächlich vergessen haben?“

      Ava schwieg und blickte zur Seite. Hans nahm sie beim Arm.

      „Wir haben so viele Gespräche geführt, so viele Träume geteilt“, fuhr er fort. „Das kann dir doch unmöglich gar nichts bedeutet haben. War das alles nur Theater? Das kann ich nicht glauben.“

      Ava presste die Lippen zusammen und starrte vor sich hin. Doch dann holte sie tief Luft und blickte Hans fest in die Augen.

      „Du meinst ein Recht zu haben aufgrund eines Schwurs, den wir uns in der Kindheit geleistet haben?“, fragte sie leise und beherrscht, aber mit bebender Stimme. „Dir ist es tatsächlich ernst damit? Ich könnte auch dich fragen, ob das alles nur Theater ist. Vielleicht ist es nur ein bisschen verletzter Stolz, weil ich mich nicht nach dir verzehre, dir keine dramatische Szene mache?“

      „Warum solltest du …“, warf Hans verblüfft ein. Doch Ava unterbrach ihn.

      „Mir war nicht klar, dass du überhaupt noch daran denkst“, fuhr sie nachdenklich fort. „Wir waren fast noch Kinder …“

      „Aber natürlich“, rief Hans eifrig. „Ava, willst du die Sache nicht noch einmal überdenken?“

      Ava sah ihn traurig an.

      „Ach, Hans. Für dich ist das alles einfach. Du denkst, du kannst alles mit ein paar Worten verändern. Du denkst, das alles hätte keine Konsequenzen. Es ist einfach nur ein Spiel.“ Sie seufzte. „Für dich mag das zutreffen. Aber nicht für mich. Nicht mehr, seit ich kein Kind mehr bin. Ich bin eine Frau. Wir können solche Spiele nicht spielen.“

      „Wir?“, fragte Hans erstaunt. „Wer ist wir? Und ich spiele nicht. Es ist mein Ernst.“

      „Wir?“ Ava sah ihn ärgerlich an. „Such dir etwas aus. Wir Frauen … Wir Juden …“, ereiferte sie sich. „Wie kannst du nur sagen, es ist dir ernst? Du weißt gar nicht, was das bedeutet. Mit was ist es dir denn ernst? Willst du mir deine Liebe gestehen? Oder hast du das schon getan? Und wenn ja, wie stellst du dir denn das vor? Ich will nicht das Gesicht deines Vaters sehen, wenn du ihm davon erzählst.“ Sie wurde ruhiger. „Hans, diese Szene

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