KINDERGEFÄNGNIS und andere verlassene Orte. Группа авторов

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KINDERGEFÄNGNIS und andere verlassene Orte - Группа авторов

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handeln könnte. Seither kaufe ich jedes Jahr ein Exemplar.«

      »Hast du noch den von damals mit dem Stall?«

      Während Johann sich verabschiedete, um zur Musikkapelle zu gehen, holte der Chef den alten Kalender. Nyoko nahm ihn und betrachtete das Bild des Stalles. Durch die trüben Fenster fiel nur mattes Licht. Der Fotograf hatte ohne große Scheinwerfer die schön schaurige Stimmung eingefangen. Der Kalk bröckelte von den Wänden. Die aus dunklen Brettern gezimmerte Tür hing etwas schief in den rostigen Angeln. Nyoko glaubte beinahe, das Quietschen der Gelenke zu hören. Auf dem Boden lag noch lose verteiltes Stroh. Die Decke bestand aus langen Latten, die auf schweren Querbalken lagen. Etwas Licht drang durch die Ritzen zwischen den unregelmäßig geschnittenen Brettern. So ein Spalt musste auch Platz geboten haben, um einen Strick um den Balken zu binden.

      Nyoko ging zu ihrem Computer und suchte die elektronische Akte. Sie betrachtete Fotos desselben Raumes. Keine Poesie des Verfalls, sondern ein wissenschaftlich aufbereiteter Suizid. Hell erleuchtet. Einige Stellen waren mit Nummernschildern versehen. Am Deckenbalken hing Franz Röhrling. Das chemisch-giftgrüne Seil war offenbar eine neu gekaufte Kunstfaser. Auf jedem Bild befand sich rechts oben eine Aktennummer.

      Nyoko zoomte in das Foto. Röhrling war sportlich gekleidet. Auf dem Poloshirt sah sie das Logo einer Designermarke. Er trug eine teure Uhr. Nyoko erinnerte sich, dass Klaus seinen SUV erwähnt hatte. Sie klickte durch die Akten. Auch die Wohnung in Wien war sehr groß und schön. Er hatte dennoch keine Schulden gehabt. Wie war er zu dem Geld gekommen?

      Sie schaute zu ihrem Chef und Klaus auf. »Irgendetwas stimmt hier nicht. Warum hat er seinen Hof nicht verkauft? Einen besonders sentimentalen Zug zur Landwirtschaft kann man ihm nicht nachsagen. Den Betrieb hat er aufgegeben und ist in eine Fabrik arbeiten gegangen. Er hat das Anwesen auch nicht gepflegt, um es zum Beispiel als Wochenendhaus zu nutzen. Dabei hatte er offenbar gar nicht so wenig Geld. Trotzdem ist er zu dem Ort, der ihm nicht sehr viel bedeutet hat, zurückgekehrt, um sich umzubringen. Warum? Ich sehe in den Unterlagen viele Scherben: ein verlassener Hof, Arbeitslosigkeit, Selbstmord. Wir müssen sie wieder zusammenkleben. Kintsugi ist nicht nur die Schönheit des Vergänglichen, es ist das Leben mit all seinen Sprüngen, eine ganze Schale und dennoch viele Scherben. Wenn wir alle Aspekte des Lebens von Franz Röhrling zusammenfügen, wissen wir vielleicht, was damals passiert ist. Chef, ich will dort hinfahren und mir den Bauernhof anschauen.«

      Der Chef nahm einen tiefen Zug aus seiner kalten Pfeife. »Wir sind unterbesetzt, seit Christian bei der internationalen Polizeimission in Georgien ist. Die Akten stapeln sich auf den Schreibtischen und du willst einen acht Jahre alten Selbstmord wieder aufrollen, der nicht einmal in unsere Zuständigkeit fällt.«

      »Christian kommt in zwei Wochen zurück und ich zähle die Tage, weil ich meinen Ex-Freund so vermisse. Wir können die Stapel auf seinen Schreibtisch stellen. Ich würde sagen, dass es neue Hinweise auf Straftaten von Franz Röhrling gibt. Die inoffiziellen Einkommen sind ungeklärt. Wir prüfen, ob er damals mit Komplizen gearbeitet hat, die heute noch aktiv sind.«

      »Nyoko, sei mir nicht böse, aber du verrennst dich. Es gibt keinen Anhaltspunkt für ein konkretes Verbrechen, daher auch nicht für Mittäter. Das war ein niederösterreichischer Fall, dort gibt es auch ein Landeskriminalamt. Wir wollen die Kollegen nicht vor den Kopf stoßen.«

      »Dann will ich mir zumindest Bilder anschauen. Der Fotokünstler hat sicher viele Aufnahmen gemacht. Ich werde ihn anrufen.«

      Während der Chef Luft holte und gedanklich einen Einwand formulierte, hatte Nyoko bereits den Telefonhörer in der Hand. Sie erreichte den Fotografen sofort unter der Nummer, die hinten auf dem Kalender vermerkt war.

      Nach kurzer Diskussion gewährte der Künstler Nyoko Zugriff auf die Bilder seines digitalen Archivs.

      Sie schaute sich die Fotos an, wechselte immer wieder zwischen den Aufnahmen, zoomte hinein und wieder hinaus, machte Notizen und Skizzen. Sie legte den Kopf nachdenklich zurück. »Er hätte mit den Fotos dieses Hofes alleine einen ganzen Kalender gestalten können. Du hast recht, Chef. Diese Verwitterung von alten Gebäuden ist wirklich schön. Das Gras rund um das Gebäude ist beinahe meterhoch und der Künstler hat das Licht beeindruckend eingefangen. Er ist auf die Bäume geklettert, um trotz des hohen Grases auch Außenaufnahmen machen zu können. Hier sieht man sogar einen Ast in das Bild ragen, wie bei einer japanischen Tuschmalerei. Hm. Trotz der Verwahrlosung ist die Zufahrt anscheinend regelmäßig benutzt worden.«

      »Das Befahren einer Straße im nördlichen Waldviertel ist keine Straftat in Wien.«

      »Irgendetwas fehlt. Ich spüre diese Unruhe, wenn etwas nicht vollständig ist. Was ist es nur?« Sie klickte durch die Fotos, blätterte in den Unterlagen. »Moment! Das ist doch ein …« Noch schnelleres Klicken. »Natürlich! Klaus, warst du damals bei der Spurensicherung im alten Wohnhaus dabei?«

      »Nein. Auch in Niederösterreich gibt es Forensiker. Die haben keine Veranlassung gesehen, wegen eines Selbstmordes ein verlassenes Haus zu durchsuchen.«

      »Es ist benutzt worden. In allen Räumen bedeckt eine dicke Staubschicht die Böden. Nur der Gang hinter der Haustür ist gewischt worden.«

      Klaus ging zu Nyokos Schreibtisch und schaute auf den Monitor. »Das haben sie wahrscheinlich für den Fotografen gemacht.«

      »Dann hätte der vorher Fotos des unberührten Zustandes geschossen.« Sie wechselte zu einer Außenaufnahme. »Noch spannender ist das hier.«

      »Das ist ein Kellerfenster. Was ist daran so aufregend?«

      »Die Scheibe ist im Gegensatz zu allen anderen nicht zerbrochen. Außerdem ist die Reflexion des Sonnenlichtes anders als bei den übrigen Fenstern. Wahrscheinlich wurde es als Einziges instand gehalten und besteht daher aus modernerem Glas, auch wenn sie sich bemüht haben, den Rahmen ursprünglich aussehen zu lassen. Wenn ich es vergrößere, ist die Scheibe seltsam schwarz. Könnte es innen von einer dunklen Folie verklebt worden sein?«

      »Mit deiner Sturheit findest du immer wieder interessante Dinge. Wie schaut der Raum auf den Innenaufnahmen aus?«

      »Jetzt sind wir an dem Punkt angelangt, wo ich etwas vermisst habe. Es gibt keine Fotos vom Keller. Dort hätte es sicher spektakuläre Motive gegeben. Altes Gerümpel kann sehr stimmungsvoll sein, vor allem wenn es von einem talentierten Menschen in Szene gesetzt wird. Ich rufe noch einmal den Künstler an.«

      Sie drückte auf die Wahlwiederholungstaste und schaltete den Lautsprecher des Telefons ein.

      »Dominik Frandl.«

      »Hallo! Hier ist noch einmal Nyoko Binder vom LKA Wien. Ich habe noch eine Frage: Gibt es auch Aufnahmen vom Keller des Bauernhofes?«

      »Ich wurde wegen Einsturzgefahr der Räume im Untergrund leider nicht hinuntergelassen.«

      »Die Decke des Kellers ist der Fußboden darüber. Dort hatte er keine Angst um Ihre Sicherheit?«

      »Das ist allerdings eigenartig. Sherlock Holmes ist anscheinend als Polizistin mit japanischem Vornamen in Wien wiedergeboren worden.«

      »Wissen Sie noch, wer der Besitzer des Hofes nach dem Selbstmord von Franz Röhrling war?«

      »Das war sein Bruder Jakob. Er hat mich bei den Aufnahmen begleitet.«

      »Vielen Dank! Sie haben mir sehr geholfen.«

      Nyoko wandte sich nach dem Telefonat an ihren Chef. »Jetzt

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