Fähre VII. Hans Leip
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»Warum sagst du denn das so traurig?« lachte die große Schwester.
»Und ich — das hab’ ich — ich hab’ das auch versucht, und —«
»Na, na«, sagte Mutter Thormann ahnungsbang: »Wohin?«
»Ich konnte — er ging nicht — er ist nicht ganz so hoch gekommen...«
»Ach, mein Gott, da hast du wohl ein Fenster eingeworfen«, schnob die Mama, und ehe Ottel zu Ende genickt hatte, hatte er seinen Flicken weg.
Klein Ottel hatte die gute Eigenschaft, nicht zu plinsen. Er setzte sich hin, die Mutter füllte ihm jammernd auf. Er aß, den Mund fast auf dem Tellerrand, aber mit gesegnetem Appetit.
»Ein öffentliches Gebäude«, jammerte Mutter Thormann. »Und die Fenster da sind so groß wie Spiegelscheiben!«
Ottel hob die blassen Augen vorwurfsvoll: »Ist ja — ist ja bloß — ein — ein ganz kleines ist es ja bloß und kostet genau fünf Mark, hat Herr Lohse gesagt, und —«
»Nu denk mal bloß an, fünf Mark!«
»Ach was!« lachte Mine. »Die schenk ich ihm. Du kannst sie aus der kleinen Kasse nehmen, Ottel. Denn wenn ich schon ausgeh, kann Jonny selber bezahlen, das wäre ja noch schöner!«
Ottel strahlte.
Frau Thormann fühlte sich erschöpft. Sie ordnete an, Otto solle nachher gleich die Pfirsiche zu Klefots bringen. Dann tat sie einige herzhafte Äußerungen über die Anstrengungen des verflossenen Tages, der soviel auf einmal gebracht, gähnte herzhaft und zog sich zurück.
»Warum heulst du eigentlich nie, Ottel?« fragte Mine und schnitt ihm ein gutes Stück Fleisch in kleine Stücke.
Ottel atmete tief und schnaufend. Er sah seine Schwester erstaunt an und fragte: »In — Indi —«
»Vorsicht, Ottel!« unterbrach sie ihn: »Ich glaube, es heißt wieder mal in der.« Denn sie fühlte sich wie alle großen Schwestern zur Miterziehung verpflichtet.
Ottel schüttelte beleidigt den Struppkopf und vollendete mit Grabesernst seinen Satz: »Indianer kennen keine Schmerzen.«
7
Klefots kleines Hotel lag zwischen Hafenstraße und Bernhardstraße. Es hatte zwei Eingänge, was bei nötiger Aufsicht allemal praktisch ist in Flut und Ebbe des internationalen Verkehrs einer Welthafenrampe. Die besten Zimmer gingen nach Süden und hatten eine fabelhafte Aussicht auf den Hafen. Hier wohnten vorübergehend Angehörige von Schiffsoffizieren, auch solche selber, wenn der Wechsel des Dienstes eine kurze Landpause ergab und das Zuhause nicht ohne Umstand erreichbar war. Manchmal, wie jetzt zum Beispiel, auch Auswanderer. Geschäftsreisende, die mit dem Hafenbetrieb zu tun hatten, begnügten sich mit den Nordzimmern, in deren Fenster nichts als die unbesondere Gegenseite der Bernhardstraße blickte.
Der kleine Artist Paduzek wohnte ganz oben unter einen schrägen Dachfenster. Er sah durch dieses in den dunstigen Hamburger Himmel; doch wenn er mittels Klimmzug oder vom Stuhl oder Tisch aus den Kopf über den geöffneten Simsrand erhob, konnte er die Pontons der Fähre VII, den Strom und das ganze Kuhwärder Werft- und Industriegelände übersehen.
Die kleine Kammer war von einem eisernen Bett, einem Waschständer, einem Tisch und Stuhl und einem riesigen Artistenkoffer ausgefüllt, so daß man wie auf dem Seil mit den Füßen hintereinander gehen mußte und zudem sich in acht zu nehmen hatte, nicht auf die beiden gelben Schildkröten zu treten, die Paduzek mit Liebe pflegte.
Eben stand Paduzek vor dem halbblinden Spiegel, den Rasierapparat in der Hand, und betrachtete sein mit Schaumsalbe bestrichenes Gesicht. Die Schwermut der Jahre und das Verächtliche an dem, was sein teilweiser Broterwerb sein mußte, war über ihn gekommen, und seine Neigung richtete sich auf eine angesehenere Lebensstellung.
Bislang war er den Federungen des Schicksals ohne viel Widerstand ausgeliefert gewesen. Er hatte sich angepaßt. Sein Vater hatte eine Steindruckerei besessen, und auch der Sohn hatte zeichnen und drucken gelernt. Der Vater hatte die Sehnsucht nach dem Künstlerischen in sich mit ehrbarer Handwerksarbeit zur Ruhe gebracht. In dem Sohn glaubte er, sie aufleuchten zu sehen, und hatte die Flamme geschürt, das Erbgut überschätzend, hatte sich für seinen Sohn auf Kunstgewerbeschulen und Akademien es reichlich Geld kosten lassen und hatte das Zeitliche verschuldet gesegnet. In seiner Sterbestunde schon war es klar, daß der Name Paduzek nicht geeignet sei, in der hoffnungsfrohen Zusammenstellung mit dem Vornamen Michel, jener klassischen Ergänzung Angelo einen modernen Gegentrumpf zu bieten. Der kleine Michel Paduzek verbummelte.
Sein akademisches Steckenpferd war weniger die Malerei als der Atelierfeez gewesen, wobei er als Jongleur- und Saltoschlager sich mit mehr Erfolg behauptet hatte als in höheren Gefilden. Sowie nun das väterliche Monatsgeld ausblieb, geriet Michel Paduzek mit Mühe an einen Wanderzirkus. Er lernte dort als harte Arbeit erkennen, was bis dahin Ulk gewesen war, gelangte zu gewisser Tüchtigkeit und errang mit einer Sondernummer im Fahrrad-Salto, die er auch auf kleinem Podium auszuführen verstand, beachtliche Anerkennung. Als »the Looper« hatte man seinen Namen manches Jahr hier und da im Programm der mittleren Varietes beider Kontinente gesehen. Auch in Hamburg war er damals mit Erfolg aufgetreten, brach aber bald darauf im Colosseum zu London das linke Ellenbogengelenk.
Später in London-Soho hatte er den Herrn von Ploß kennengelernt. Es war sieben Jahr her.
Und diese sieben gehetzten, geduckten, wechseldurchstürzten Jahre zogen rasch an Paduzeks halbrasiertem Spiegelgesicht vorüber und füllten die schon freie Wange mit noch tieferem Schatten. Der stumpfe Metallglanz seiner runden Augen erlosch gänzlich.
Von unten aus dem Vorraum des Hotels stach eine schrille Lache auf. Paduzeks breite, dünne Ohren bogen sich lauschend zur Tür.
»Die zum Sekt? Meent dein Mudder valleicht, den schnasseln wir hier aus Weißbiermollen?«
Das war Lullas, der Barkellnerin, hohe Stimme, die zumeist zu laut war und erst hinter dem Schenktisch sich aufs Schnurren zu verlegen pflegte. Danach war eine stockende, empörte Knabenstimme vernehmbar:
»Mein — mein Mudder? — Mein Schwester hat mir die eingepackt und —«
Die Außentür schlug zu. Lullas Gelächter gellte hoch hinterher.
Paduzek verzog das Gesicht in ein unbehagliches Grinsen. Er sah aus wie der Teufel, aber sein Herz war vom richtig Teuflischen zeitlebens weit entfernt gewesen. »Satan!« fauchte er und bedauerte, nicht zum ersten Mal, kein Satan zu sein.
Ihm war der Vorgang, der sich da an der Hoteltür außer Sicht abgespielt hatte, vollkommen klar. Ploß wollte den Abend mit zwei eiligen Kunden zusammentreffen, die schon im Hotel wohnten; es handelte sich um ein bedeutendes Geschäft, und er hatte, da eine Dame dabei sein würde, Pfirsiche zum Sekt bestellt, und zwar bei Thormann.
Bei Thormann. Obst, Gemüse und Konserven.
Paduzeks Gebärde erstarrte ins Gewöhnliche zurück. Doch die Augen lebten nun wieder, und ihr trauriger, saugender Ausdruck heftete sich an das leere Dachfenster. Er sah das hübsche frische Mädchen vor sich, das in dieser verwölkten, unruhigen und im Grunde so bürgerlichen Gegend blühte wie eine Rose unter Disteln, Kartoffeln und Orchideen.
Er rasierte sich