Seeland Schneeland. Mirko Bonné

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Seeland Schneeland - Mirko Bonné

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hatte er ihm die Tabletten auf den bebenden Handteller gelegt, reichte eine Bewegung, ein Streichen durch die Luft, schon verschwanden sie aus der Faust in der Schwärze vor dem Fenster, gefolgt von dem Glas, das er Meeks aus der Hand riss und hinausschleuderte und das man nicht mal zu Bruch gehen hörte. Unten im Hof waren wohl Beete, Büsche oder Baldachine mussten da in der Nacht herumstehen. Meeks dämmerte, wo Hemdbrust und Jackett geblieben waren.

      »Bitte schließen Sie das Fenster«, sagte er. »Was halten Sie davon, wenn ich uns noch zwei Drinks bringen lasse?«

      Am Abend vor Inkrafttreten der Prohibition vor gut einem Jahr hatten sie mit einer kleinen Gruppe ausgelassener Nachtschwärmer im Zero Trocadero an der Fifth Avenue gefeiert. Allerdings war schnell keinem mehr nach Feiern zumute gewesen. Robey hatte nach sechs Gläsern Gin oder Gin Fizz einer jungen Frau das Kleid vom Leib gezerrt, und als das arme Geschöpf dann dasaß, nur im Unterkleid, und immer wieder etwas wimmerte von merzerisiertem Kattun, hatte er ihr Dollarnoten, große Scheine, die sie unter Tränen anlecken musste, auf Dekolleté, Arme und Gesicht geklebt, auf jeden Fleck bloßer Haut, so lange, bis sie nicht mehr weinte, sondern wieder lachte, gackernd mit ihm weitertrank und schließlich tanzte, nur im Unterkleid auf dem Tisch, an dem er mit der jungen Miss Merriweather saß und an den jeder eingeladen wurde, der den beiden gefiel oder sie zum Staunen zu bringen vermochte. Am Nachbartisch pöbelte Zelda Fitzgerald erst, schluchzte dann und schlief schließlich an F. Scotts Schulter ein. Meeks hatte den berüchtigten Abend im Zero Trocadero unfreiwillig miterlebt, denn Robey wollte ihn nicht gehen lassen, unter keinen Umständen vor Mitternacht, wenn das Alkoholverbot in Kraft trat: »Ich binde dich fest! Du kommst an die Leine, Brynny!«

      Ob Robey auch seine Brieftasche aus dem Fenster geworfen hatte, wusste er nicht, zumindest aber war sie nirgends zu sehen, und so zahlte er aus der eigenen Tasche auch das Trinkgeld für den Boy, der die bestellten Drinks brachte – wieder ein zugleich anderer und zum Verwechseln ähnlicher Junge.

      Mit den Gläsern ging er hinüber in den Salon zu dem Blumenwiesensessel, in dem Robey kauerte wie zuvor und so düster durch das Zimmer blickte, als hätte ihm dort eine Gesellschaft aus unsichtbaren Kritikern bittere Vorwürfe gemacht.

      »Danke, Bryn«, sagte er überraschend milde und klar. Er nahm das Glas und trank es mit wenigen Schlucken halb leer.

      Meeks postierte sich am Fenster. Abwechselnd blickte er auf Robey und den Cocktail, der golden in dessen Hand schimmerte. Dabei nippte er an seinem eigenen und fand den Vermouth wie schon den in der Bar viel zu lieblich.

      Aber auch dieser achte Manhattan zeigte nicht die erhoffte Wirkung. Robey entspannte sich, statt vollends wegzudämmern, und zusehends lockerte sich seine Verkrampfung. Er streckte die Beine aus, verlangte nach einem Kissen, bettete den Hinterkopf an die Sessellehne, trank in schmatzenden Schlucken und begann schließlich, es war abzusehen gewesen, seinen Lakaien an einer wirren, lachhaften Verzweiflung teilhaben zu lassen.

      »Setz dich, alter Junge«, sagte er, »und sieh mich nicht so entgeistert an. Ich erklär dir, worüber ich nicht wegkomme …«

      … Ach, Quatsch, nicht diese walisische Stewardess, die er nach Hause gefahren hatte, sei verantwortlich für seine miserable Verfassung – Mari mit i, Miss Mari Simms, Tochter einer Lehrerin in diesem grauen Kaff, diesem Newhaven.

      »Newport«, sagte Meeks. »Casnewydd.«

      Und Robey sagte: »Lehrerinnentochter – hab es gleich gewusst.« Übrigens sei er ganz Gentleman geblieben, sogar entschuldigt habe er sich bei ihr.

      Nein, schuld an seiner Verzweiflung war nur die Times, und die Schuld dieses alten Reue-, Roala-, Royalistenblatts war sogar eine doppelte!

      Meeks setzte sich auf die Lehne eines freien Sessels. Er ahnte, was ihn erwartete, und wusste, dass es dauern würde, bis Robey all die Namen von Fliegern, Flugzeugen und irgendwo auf der Welt liegenden Startbahnen und Zielorten in eine irgendwie sinnvolle Ordnung gebracht hatte.

      »Ich bin ganz Ohr«, sagte er und spürte dabei das Gewicht, das ihn hinunterzog durch das siebente Stockwerk des Mondes in die Stille tief im Innern des Erdtrabanten.

      Anfang 1920 hatte die Times ein Preisgeld von 10000 Pfund für den ersten Direktflug von London nach Kapstadt ausgelobt. Mit ihrer Silver Queen, einem umgebauten Vickers Vimy-Bomber, wie ihn für die Atlantiküberquerung auch Alcock und Whitten Brown verwendet hatten, waren zwei südafrikanische Royal Air Force-Piloten in London gestartet.

      In Bristol hatte Meeks auf dem Bahnsteig eine Times kaufen müssen, in der ein Jahr später das ganze Drama des Südafrikaflugs in allen Einzelheiten noch einmal geschildert wurde. Robey las die Zeitung im Zug, und jeder Absatz des langen Artikels über die Flugroute und die zunächst gefeierten und dann als Betrüger hingestellten Flieger ging mit einem weiteren Drink einher.

      Laut Times seien van Ryneveld und Brand aufgrund einer Motorenüberhitzung seinerzeit nur bis Wadi Halfa im Nordsudan geflogen und von dort nach Heliopolis zurückgefahren. In Ägypten seien sie umgestiegen in eine andere Vimy – die Silver Queen II – und weitergeflogen nach Südrhodesien, wo aber schon beim Start auch diese Maschine schwer beschädigt wurde.

      »Erinnere mich«, sagte Meeks vergeblich.

      Also stiegen van Ryneveld und Brand wieder um, diesmal in eine De Havilland, eine Airco, wie Robey sie schon mehrmals getestet hatte, einen »fipsigen Zappelapparat« nannte er die Maschine, und Meeks erinnerte sich wirklich, wenn auch eher an das Mäandern des Avon in der Dämmerung vor den Abteilfenstern, wo Stonehenge lag und das abendliche Somerset.

      Mit der Airco hatten die beiden Südafrikaner schließlich zwar Kapstadt erreicht, wurden bejubelt und zu Rittern geschlagen, wurden später aber zu Recht, wie die Zeitung selbst es lang und breit darlegte, von der Preisjury der Times aufgrund unerlaubter Flugzeugwechsel disqualifiziert.

      »Disqualifiziert!«, grölte Robey unerwartet heftig und sprang aus dem Sessel. »Ist das zu fassen? Diese monarchistischen Idioten! Ich werde das Zehnfache – Fünfzigfache …« Er hielt inne, fuhr herum und beugte sich zu Meeks hinunter. »Glotzt du mich an? Du hältst mich für übergeschnappt, ich seh es an deiner …« – und er gab ihm einen Klaps auf die Stirn.

      Er kannte auch das.

      »Nein«, sagte er ruhig. »Sie sind auf der Suche, Diver, und ich glaube fest, dass Sie finden werden, wonach Sie suchen.«

      Das beschwichtigte ihn fürs Erste. Robey richtete sich auf und ging auf Abstand. Er furzte, laut und lange, und dann lachte er wie der Teufel.

      »Einen Scheißdreck gebe ich auf die Meinung der Leute, die glauben, es ist unmöglich, über den Mistatlantik zu fliegen«, sagte er, ein langer Satz, den er erstaunlicherweise fehlerfrei zuwege brachte. »Ich achs…, ich assep…, ich ak-zep-tiere das nicht!«

      »Irgendwann werden Ihre Passagierflugzeuge über den Ozean fliegen, und es wird das Natürlichste von der Welt sein«, sagte Meeks, ohne dass es ihm dabei um Lüge oder Wahrheit, um Euphorie oder Trost ging. Er wollte nur noch beschwichtigen.

      »Irgendwann!« Robey höhnte. »Komm mir nicht mit deiner Untergebenenweisheit, du Mann im Mond.«

      Was er ihm damit sagen wollte, blieb schleierhaft. »Sie müssen nur Geduld haben«, erwiderte er. »Und vorsichtig sein. Das Glas, Diver, bitte stellen Sie es hin.«

      Robey sah auf seine Hand, als wäre ihm dort ein gläsernes Körperteil gewachsen. Das Staunen darüber und das Bewusstsein der unzähligen Möglichkeiten, die dieser Moment für ihn bereithielt, ließen ihn schwanken, er blieb schief stehen, und ebenso schief lächelte

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