Seeland Schneeland. Mirko Bonné

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Seeland Schneeland - Mirko Bonné

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war es nie gekommen, und keiner verstand recht, weshalb. Er hatte Mädchen gehabt, gar nicht wenige, aber nie eine feste Freundin oder gar Verlobte. Was in Dafydd Blackboro vor sich ging, wusste niemand in Südwales, niemand in Newport und keiner in der Familie, auch ihre Mutter nicht, am wenigsten aber sein kleiner Bruder.

      »Es ist nur so, dass hier nicht die Antarktis ist«, begann er also. »Kein Shackleton und kein Tom Crean wird mit einem umgebauten Beiboot übers Meer gesegelt kommen und uns retten. Für unser Wohl, unser Essen und ein Dach überm Kopf müssen wir selbst sorgen, und, Dad, bei aller Liebe, wir sollten alles dafür tun, dass die Firma überleben kann.«

      Reg pflichtete ihm bei: »Das meinte ich. Wie soll Merce in ein paar Jahren das Ruder übernehmen, wenn ihn niemand aus diesem Loch holt?«

      »Weshalb, was meinst du, Herzchen, sitzen wir hier zusammen?«, fragte ihre Mutter.

      Herzchen habe keinen blassen Schimmer, erwiderte Regyn.

      »Sag du’s mir, Mom!«

      Einige Sekunden lang blickten sich die Frauen über den Mahagoniglanz hinweg an. Keine der beiden sagte etwas, und in dem betretenen Schweigen, das zwischen Eskalation und Versöhnlichkeit entschied, fiel Merce unvermittelt etwas ein, an das er lange nicht mehr gedacht hatte: Berge in der Küche. Wenn früher Gäste zum Essen da waren und Dafydd, Reg und er noch Hunger hatten, sagte ihre Mutter entweder »In der Küche ist noch jede Menge«, was bedeutete, dass erst die Tischgäste gefragt wurden, ob sie einen Nachschlag wollten, denn es war nicht genug für sie und die Kinder da, oder aber sie sagte freudig: »In der Küche gibt es Berge, holt euch, Kinder. Es gibt Berge!«

      Ihr Vater sagte in die Stille: »Nicht noch mehr Streit, bitte. Seid friedlich. Es ist Sonntag, auch für Mom und mich. Gwenny?«

      Ihre Mutter nickte.

      »Reg-Schatz?«

      Regyn blickte indigniert, aber kaum merklich nickte sie.

      Und Dafydd sagte: »So ist es im richtigen Leben. Nicht die Eisberge sind das Problem.«

      Endlich meldete sich Bakie: »Eisberge sind auch in der Antarktis nicht das Problem.« Er sah Dafydd an. Und so, als wäre er allein mit ihm, erläuterte er ruhig: »Sie treiben. Sie ziehen durchs Wasser. Sie lösen sich auf. Manchmal dauert das Jahre. Einige sind größer als Cardiff, größer als Chicago. Solange ihnen ein Schiff nicht zu nahe kommt, sind sie ungefährlich. Gefährlich im Eis sind der Wind, weil er so schwankt, die Temperatur, die bis auf minus 80 Grad sinken kann, und die Dunkelheit, die monatelange Nacht, Dafydd. Gefährlich ist eigentlich kein Ausdruck dafür. Denn falls man ihnen entkommt – dem Wind, der Kälte und dem Dunkel –, falls sie einen am Leben lassen, vergisst man sie nicht mehr. Man hat sie dann in sich und trägt sie mit sich rum, so lange man es aushält.«

      Dafydd behielt seinen Schwager fest im Blick, während der erzählte, er hörte Bakie zu, und dabei erschien an seiner Schläfe eine dicke blaue Ader, die seine Erregtheit verriet.

      Aber er erwiderte nichts.

      »Diese Höllenfahrt, von der Merce und du zum Glück heimgekehrt seid, liegt lange zurück«, sagte stattdessen ihre Mutter.

      Ihr warmer Blick ruhte auf ihm, doch sie unterhielt sich dabei weiter mit Bakewell, der am anderen Tischende saß und nun seinerseits nickte.

      »Juli ’16. Bald sind es fünf Jahre, Gwen.«

      »Willst du ernsthaft behaupten, William, der Kummer meines Sohnes geht auf diese verfluchte Endurance-Expedition zurück?«

      »Als wäre das was Neues! Bei Billy ist es doch dasselbe!«, platzte Regyn dazwischen, nuschelnd, weil sie eine Haarnadel zwischen den Lippen hielt. Auf dem Kopf suchten ihre Hände nach aus der Verankerung gegangenen Strähnen. »Alle, die mit diesem Irrsinnigen gefahren sind, hat er in seinen Bann gezogen und für den Rest ihres Lebens verdorben mit Bildern, die sie nicht mehr loswerden.«

      »Ein Irrer, Liebling, ist Shackleton wirklich nicht. Man kann ihm viel nachsagen, doch er hat uns alle gerettet, selbstlos …«

      Sie prustete. »Selbstlos! Gerettet! Ohne ihn wäre doch keiner von euch überhaupt nur ins Eis gefahren!«

      »Jahrelang hat er nicht aufgegeben, bis auch der Letzte von der Elefanteninsel gerettet wurde«, sagte Bakewell besonnen und lächelte versöhnlich. Woher nahm er die Besonnenheit? Was war er für ein Draufgänger, was war er jähzornig, ungerecht, verschlagen und hartnäckig gewesen, der wundervolle Bakie von früher.

      »Der Krieg hat mich verschont«, sagte er, als hätte er Merce’ Gedanken gelesen. »Ich bin glücklich verheiratet. Ich habe eine Frau, die ich liebe, eine Familie, ich reise und verdiene als Reisekaufmann so viel, dass ich mir Dinge leisten kann, von denen ich schon als Kind geträumt habe. Alles das hat Merce nicht.«

      Das stimmte. Daher wusste Merce auch, worauf sein Freund anspielte. Bakie redete seit anderthalb Jahren davon, ein amerikanisches Motorrad mit Beiwagen kaufen zu wollen, und kürzlich hatte er es wahrgemacht und die Maschine in Ohio bestellt. Noch wusste Reg nichts davon.

      Alle Augen waren jetzt auf ihn gerichtet, und er glaubte sie zu spüren, Bakewells, Regyns, Dafydds Blicke, die Blicke seiner Eltern und selbst die von Miss Ings, die zur Tür hereinsah, um zu ergründen, ob sie endlich Tee und die Pies auftragen konnte.

      »Er verdient genug«, sagte ihr Vater. »Genug für eine eigene Familie, aber auch für eigene Ansichten.«

      »Und er wird die Firma übernehmen, weil ich eine eigene habe«, fuhr Dafydd unbeirrt fort. »Er wird sie leiten, so wie ich meine leite, wenn er nur erst die Bilder von Eisbergen, Polarnächten und dem ganzen weltfremden Unfug loswird.«

      »Bin ich eigentlich gestorben und habe es nur nicht mitbekommen?«, fragte Emyr Blackboro.

      Regyn rief: »Dad!«

      Und Dafydd sagte: »Miss Muldoon ist so ein Bild, das Merce nicht loswird. Wer das bezweifeln will, melde sich bitte.«

      Keiner sagte etwas.

      Also fuhr sein Bruder fort, wenn auch in anderem Ton: »Übrigens fallen mir auf Anhieb fünf junge Damen ein, die nur darauf warten, dass Merce –«

      Reg riss die Augen auf. »Wer denn, ha? Gonryl Frazer?«

      »Zum Beispiel.«

      »Lass mich sterben, bitte, lieber will ich sterben.« Sie ließ ihr schnappendes Lachen hören.

      »Du kannst nicht bestreiten, dass sie eine Erscheinung ist.«

      »Gonny eine Erscheinung, sonst noch was? Eine Göttin?«

      »Jedenfalls eine ziemlich gute Partie.«

      Gonryls Vater Hugh verkaufte und vermietete Lastwagen und war damit steinreich geworden. Überall in Südwales fuhren gelbe Frazer-Lastwagen herum. Man konnte keine Stunde am Ufer des Severn verbringen, ohne dass so eine viereckige Sonne auf der Straße zwischen Undy und Portskewett langrumpelte.

      »Dafydd! Gonryl Frazer ist meine Freundin, sie ist reich, ja, und energisch, ja, leider aber ist sie auch hirnlos wie … ein Lastwagen!«

      So ging es weiter. Regyn stichelte, Dafydd gab sich altväterlich, sie gerieten aneinander und versöhnten sich, nur um wieder von vorn zu beginnen.

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