Seeland Schneeland. Mirko Bonné

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Seeland Schneeland - Mirko Bonné

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das ein Meer aus Häusern, Straßen, Bahnhöfen, Fabriken, endlosen Weiten, riesigen Schluchten und Flüssen und Bergen war, genau so, wie die Stimme des Kindes es zu ihm gesagt hatte: Dort, wo wir hingehen, werden wir für immer bleiben. Da gibt es Flüsse voll riesengroßer Fische, die von einem Meer zum anderen schwimmen. Nicht mal Powys, der Hund, würde von dort zurückfinden nach Trelech-a’r-Bettws.

      Er hörte Regyns Stimme, sie war ihm so vertraut. »Du hast den Brief doch gelesen«, zischte sie ihm ins Ohr. »Schreibt sie nur ein Wort über dich?«

      »Wie kommt es, dass sie ausgerechnet dir schreibt?«, fragte ihre Mutter. »Weiß sie nicht, wie du über sie lästerst? Du hast die kleine Muldoon immer eingebildet gefunden, schon als ihr noch junge Dinger wart und die ganze Nacht geheult und gekichert habt, weil eine von euch einen Liebesbrief bekommen hatte, wahrscheinlich von einem Blinden aus dem Blindenasyl in Crindau. Du hast eine seltsame Auffassung von Freundschaft, Liebling.«

      Reg wurde rot. Sie nahm die Hand weg. Dann fing sie sich, denn sie war kein Mädchen mehr. Sie war selber Mutter, Kriegswitwe, wiederverheiratet, eine erfahrene Frau Mitte 20 – was sie verzweifeln ließ.

      Doch jetzt lächelte sie sogar, als sie sagte: »Lästern? Ich? Für mich ist sie der Mensch, den mein kleiner Bruder vergöttert. Ich persönlich … bin froh, dass sie weg ist. Sie ist mir egal. Ich habe mich lange genug mit ihr vergleichen müssen, Woche für Woche. Die kluge Ennid. Die arme Ennid. Die versehrte, starke, belesene, empfindsame. Ich kenne Ennid Muldoon.«

      »Ich fürchte, Reg hat recht, Mom«, sagte Dafydd. »Sie kennt Miss Muldoon noch am besten – obwohl jeder meint, sie zu kennen. Ich glaube ja, dass niemand wirklich weiß, was diese junge Miss eigentlich umtreibt.«

      Umständlich zog er etwas aus der Innentasche seines Jacketts – zwei Briefumschläge, die absolut identisch aussahen, adressiert in derselben Handschrift, frankiert mit der gleichen roten Marke, gestempelt an derselben Stelle. Die Briefmarke zeigte das hunderttausendfach reproduzierte Konterfei des Königs.

      Dafydd legte die Kuverts nebeneinander auf den Tisch. Die Adressen ihren Eltern zugewandt, schob er ihnen beide Umschläge hinüber.

      Tonlos sagte er: »Den erhielt gestern Gonny Frazer, die ihn mir überlassen hat – zusammen mit diesem, den Mari Simms bekommen hat.« Er hob abwehrend die Hände und lächelte. »Keine Fragen bitte nach wie oder warum – ich stehe bei beiden Ladys im Wort.«

      »Ladys!« Regyn konnte sich vor Entrüstung kaum halten.

      »Ihr braucht die Briefe nicht zu lesen, Dad. Es steht Wort für Wort dasselbe darin, nur die Anreden sind verschiedene. Ennid hat den Brief zweimal kopiert, bevor sie ihn Gonryl, Mari und Reg geschickt hat.«

      »Auch die beiden – abgestempelt in Portsmouth«, sagte ihr Vater über die neuen Beweisstücke gebeugt, ehe er sie vorbei an Zeitung und Teetablett weiterschob. Auf ihrem Rückweg griff seine weiß behaarte Hand nach dem Glas Brandy.

      »Euer Bruder wird Ferien machen«, sagte ihre Mutter, indem sie sich zurücklehnte und tief Luft holte. Ihre schwere Brust und so auch eine der großen weißen Gespensterblüten hob und senkte sich. Tief aufgewühlt, rätselnd, verständnislos, deswegen nach Halt suchend in ihrem Innern, in ihrer durch nichts zu erschütternden Güte, fasste sie die Briefe nicht an, würdigte sie keines Blickes. »Vielleicht fährst du nach Pontyprydd, Merce. Oder du besuchst diesen Tom Clean drüben in Irland. Er scheint mir ein anständiger Mann zu sein.«

      »Ein Besuch bei Tom Crean«, sagte Bakie höflich und wie immer darauf bedacht, seine Schwiegermutter nicht zu brüskieren, »eine phantastische Idee, Gwendolyn. Er lebt noch immer in Annascaul, keine Stunde von Dingle entfernt.«

      »Hat er nicht einen Pub dort?«, fragte Dafydd.

      Bakie nickte. »Die Kneipe am Südpol, die wir uns wünschten und die es nie gab. The South Pole Inn.« Er lächelte.

      Und Dafydd sagte: »Diese Iren, ich weiß ja nicht. Grad jetzt scheinen sie mir kein sehr friedliches Völkchen zu sein.«

      »Friedlich wie wir sind sie allemal.« Gwen Blackboro seufzte und blickte in die Runde. »Wohin du fährst, entscheide selbst, sweetheart. Ich meine, zwei Wochen werden reichen, um diesen Wahnsinn zu beenden. Wenn alle einverstanden sind, sehen wir danach weiter.«

      Damit war die Beweisaufnahme beendet. Der Strafantrag zeichnete sich durch Milde aus, im Stillen musste selbst er das einräumen.

      Also stimmten sie ab und einigten sich in Ermangelung eines besseren Vorschlags auf den richterlichen.

      »Bitte sag wenigstens Ja oder Nein«, bat seine Mutter sanft und sah ihn dabei an mit ihren traurigen dunklen Augen.

      Kein Wort war über seine Lippen gekommen, aber auch das hatte ihm nicht weitergeholfen. Am liebsten wäre er vom Stuhl gesunken und hätte schluchzend die Hände in den Teppich gegraben. Unter dem Tisch liegend, zugedeckt mit dem Echo, wäre er wimmernd irgendwann eingeschlafen. Während alle Blicke auf ihn geheftet waren, erschien ihm nichts so erstrebenswert, also nickte er eben, zuckte mit den Achseln und sagte: »Ja.«

      9

      »Bryn, mein Knecht, gib her, gib schon, deinen Arm. Arm!«

      Robey lallte und schwankte, bis Meeks bei ihm war und ihn stützte. »Und jetzt befiehl diesem Lift, augen… – augenblicklich soll er runterkomm’, wenn er nich vermöbelt werden will!«

      Meeks drückte den Knopf. Robey legte den Kopf schief und lauschte, und als sie hörten, wie sich der Mechanismus in Gang setzte, erschien ein breites Grinsen auf seinem Gesicht, ein U, dachte Bryn Meeks, durch Robeys Nasenlöcher wurde es zu einem deutschen Ü.

      »Aha! Hat er gehört!« Der Aufzug kam, und die Türen gingen auf. »Elletrisch, moderne Baukuns!«, lallte Robey und sang und grunzte dabei: »God sha-a-ave the King …!«

      Meeks sagte: »Treten wir etwas beiseite.«

      Einen Kopf kleiner, 20 Jahre älter und um einiges beleibter, zog er Robey, der sich am Fahrstuhleingang festklammerte, zwei Schritte zur Seite, damit ein älteres Ehepaar und eine junge Frau in Abendgarderobe aussteigen konnten.

      »Alle raus! Los!«, grölte Robey den dreien entgegen. »Ist meiner. Mein Lift!«

      Es war zwar Abend, aber noch keine zehn Uhr. Seit sie angekommen waren, hatten sie nichts gegessen, doch schon im Zug hatte Robey getrunken, drei Manhattans, dann vier weitere an der Hotelbar. Den ihm aufgedrängten Drink hatte Meeks am Tresen absichtlich umgestoßen und den Ersatz – Robey bestand darauf (»Ist ein Befehl, alte Motte!«) – nicht ausgetrunken.

      Trotzdem war ihm leicht übel und verzog sich jedes Gesicht vor seinen Augen zu einer verschwommenen Grimasse. Die junge Frau, die aus dem Lift trat, trug ein Stirnband, an dem ein großer Stein funkelte. Sie duftete. Freundlich bedankte sie sich, drehte sich nach ihnen um und lächelte auf einmal spöttisch und schauerlich.

      »Was haste da am Kopf, Maiglöckchen?«, fragte Robey. »Ist das dein Auge?«

      Die junge Frau antwortete mit gut lesbaren Lippenbewegungen und verschwand.

      Das alte Ehepaar entfernte sich kopfschüttelnd. »Haut ab, ihr Gerippe!«, rief er ihnen nach, während Meeks ihn in die silbern ausgeschlagene Kabine bugsierte.

      Darin wartete ein Liftboy in Livree, mit

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