Das deutsche Jahr - Einblicke in die Wiedervereinigung 1989/1990. Claus J. Duisberg

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Das deutsche Jahr - Einblicke in die Wiedervereinigung 1989/1990 - Claus J. Duisberg

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und Erleichterungen im West-Ost-Reiseverkehr bis hin zum Verzicht auf Sichtvermerke ebenfalls einen substantiellen finanziellen Beitrag dazu leiste.

      Es wurde vereinbart, die Fragen unter fachlichen Gesichtspunkten weiterzubehandeln, bevor – in der Woche vom 4. Dezember – wieder ein Gespräch auf höherer Ebene stattfinden sollte. Krenz nannte auch bereits einen Termin für das Treffen mit dem Bundeskanzler, und zwar – unter Hinweis auf einen für Mitte Dezember vorgesehenen Parteitag der SED – die Vorweihnachtswoche.

      In den folgenden Tagen gab es auf verschiedenen Ebenen informelle Kontakte, insbesondere mit Schalck, wobei schließlich Verhandlungen für den 29. November vereinbart wurden. Zwei Tage zuvor überbrachte Neubauer noch einmal modifizierte Vorschläge der DDR: Sie wollte auf den Mindestumtausch und Visagebühren verzichten und 750 Mio. DM pro Jahr in den Reisefonds einzahlen. Die Bundesrepublik Deutschland sollte ebenfalls 750 Mio. DM und zusätzlich den bisher für das Begrüßungsgeld aufgewendeten Betrag einbringen, womit ein Umtausch von 200,- DM pro Person und Jahr – Kinder unter 14 Jahren die Hälfte – ermöglicht werden sollte; für den Umtausch selbst wurde ein gespaltener Kurs vorgeschlagen. Die DDR erklärte sich ferner bereit, gegebenenfalls ihren Einschuß beim nicht-kommerziellen Zahlungsverkehr von 75 Mio. DM auf 100 Mio. DM zu erhöhen.

      Innerhalb der Bundesregierung wurde in intensiven Gesprächen eine Position abgestimmt, die substantielle Erleichterungen im West-Ost-Reiseverkehr mit der Bereitschaft zu einer begrenzten Beteiligung an dem Reisefonds verband. Wir wollten – und zwar unterschiedslos für das Bundesgebiet und West-Berlin – den Verzicht auf Mindestumtausch und Visagebühren, nach Möglichkeit auch den Verzicht auf Sichtvermerke, außerdem sonstige Erleichterungen und eine Generalbereinigung für die Probleme der Flüchtlinge und Übersiedler. Dafür waren wir bereit, auf zwei Jahre eine Umtauschmöglichkeit von einmal jährlich 200,- DM pro Person – für Kinder unter 14 Jahren 100,- DM – zu 65 oder 70 %, allenfalls auch 75 % – was faktisch dem DDR-Vorschlag entsprach – mitzufinanzieren. Ein gespaltener Umtauschkurs – 100,- DM im Verhältnis 1:1, der Rest mindestens 1:4,40 – bei Umtausch wahlweise auf beiden Seiten schien uns akzeptabel. Der Gegenwert in Mark der DDR sollte einvernehmlich für Infrastrukturmaßnahmen, insbesondere für Verkehr und Stadtsanierung verwendet werden. Auch beim Eisenbahnsaldenausgleich wollten wir der DDR entgegenkommen. Beim nicht-kommerziellen Zahlungsverkehr schließlich wünschten wir außer einer Erhöhung des jährlichen Zuschusses der DDR eine einmalige Zusatzleistung von 60 Mio. DM, um bereits aufgelaufene Anträge abzuarbeiten. Bei der Postpauschale war der Finanzminister zu einer vom Postministerium vorgeschlagenen Erhöhung von 200 auf 400 Mio. DM unter der Bedingung bereit, daß der gesamte Betrag zur Modernisierung des Telefonnetzes der DDR und des innerdeutschen Fernsprechverkehrs verwendet würde.

      Auf dieser Grundlage verhandelten wir am 29. November unter völliger Geheimhaltung im Bundeskanzleramt mit einer von Schalck angeführten Delegation und erzielten auch weitgehend Einigung. Bei einem weiteren Besuch von Minister Seiters in Berlin sollte in der folgenden Woche das abschließende Ergebnis besiegelt werden. Am 2. Dezember bestätigte Schalck gegenüber Minister Seiters telefonisch das Verhandlungsergebnis.

      Kurz darauf aber verließ er zusammen mit seiner Frau die DDR und bat in West-Berlin um Aufnahme. Der Boden war ihm zu heiß geworden, und er befürchtete seine – in der Tat bevorstehende – Verhaftung. In West-Berlin wurde er zunächst vorsorglich in Haft genommen, bevor er Gelegenheit erhielt, Teile seines vielfältigen Wissens dem Bundesnachrichtendienst zu offenbaren.

      Seine Flucht setzte beide Seiten in begreifliche Verlegenheit; die DDR ließ uns jedoch wissen, daß es bei dem für die folgende Woche am 5. Dezember vorgesehenen Besuch von Minister Seiters in Ost-Berlin bleiben sollte. Ich war an dem Wochenende bei der Ditchley Foundation in der Nähe von Oxford zu einer schon seit Anfang des Jahres vorbereiteten und nun unerwartet aktuell gewordenen Tagung über die Deutschlandfrage. Seiters rief mich dort an und bat, möglichst vorzeitig zurückzukommen, um vor seinem Besuch noch in Ost-Berlin die Verhandlungen über den Devisenfonds abzuschließen.

      Am frühen Nachmittag des 4. Dezember traf ich im Gästehaus des DDR-Außenministeriums mit dem amtierenden Abteilungsleiter Schindler, einem seiner Mitarbeiter sowie einem Vertreter des Innenministeriums der DDR zusammen. Schindler legte großen Wert auf die Feststellung, daß ungeachtet der Vorgänge um Schalck-Golodkowski das bisher Besprochene weiterhin Bestand habe. Schalck habe völlig im Rahmen seiner Vollmachten gehandelt; die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bezögen sich nicht auf die Gespräche mit der Bundesregierung.

      Wir verständigten uns dann abschließend über die einzelnen Punkte der zu treffenden Vereinbarung, wobei der Vertreter des Innenministeriums zu meiner Überraschung schon den völligen Verzicht auf Sichtvermerke für West-Ost-Reisen an allen Grenzübergängen ab 1. Januar 1990 in Aussicht stellte; bei der Einreise und in etwas anderer Form auch beim Transit nach West-Berlin sollten lediglich noch Zählkarten ausgegeben werden. In einem von uns ausgearbeiteten Entwurf für eine gemeinsame Pressemitteilung wurden neben der Aufhebung der Sichtvermerkspflicht die weiteren Vereinbarungen zum Reiseverkehr, insbesondere über den Devisenfonds, festgehalten; im übrigen war vorgesehen, die Gespräche über Zusammenarbeit in der Wirtschaft, beim Umweltschutz sowie über Verbesserungen im Post- und Telefonverkehr einschließlich einer Modernisierung des Telefonnetzes der DDR und über den Bau einer Eisenbahnschnellverbindung zwischen Hannover und Berlin zu beschleunigen bzw. kurzfristig aufzunehmen.

      Ich brachte dieses Ergebnis noch abends spät ins Bundeskanzleramt zu Seiters, der sich der Billigung des Bundeskanzlers versicherte. Am nächsten Mittag flogen wir wieder nach Berlin zu dem vereinbarten Gespräch 44 , das auf seiten der DDR nun nur noch von Modrow geführt wurde, nachdem Krenz am 3. Dezember auf einer außerordentlichen Sitzung des Zentralkomitees der SED zusammen mit dem gesamten – erst kürzlich erneuerten – Politbüro vom Parteivorsitz zurückgetreten war (am 6. Dezember mußte er auch auf den Posten als Staatsratsvorsitzender verzichten). Modrow sprach gleich zu Anfang und erneut am Schluß des Gesprächs die Belastung durch den Fall Schalck an und stellte noch einmal fest, daß sich die gegen Schalck erhobenen Vorwürfe nicht auf die Verhandlungen mit der Bundesregierung bezögen. Er bat, auch wir möchten deutlich machen, daß die Gespräche dadurch nicht belastet worden seien. Ich mußte darauf hinweisen, daß allerdings auch bei uns jetzt Fragen nach Funktion und Tätigkeit der zum Zuständigkeitsbereich von Herrn Schalck gehörenden Firmen gestellt würden und es sehr zu wünschen wäre, wenn diese Firmen sich nun wirklich auf den kommerziellen Bereich beschränkten. Modrow sagte, daß er das angeordnet habe, aber auch jetzt noch nicht alles zu dem Komplex wisse.

      Die vorbereitete Pressemitteilung mit den darin enthaltenen Vereinbarungen wurde dann mit geringen Ergänzungen gebilligt 45 . Zum Devisenfonds erklärte Minister Seiters, daß unser Beitrag durch die Zahl der Umtauschberechtigten nach oben begrenzt werde; diese Zahl wurde von der DDR mit 16,2 Millionen, einschließlich 3,5 Millionen Kinder unter 14 Jahren, angegeben. Bei einem Gesamtvolumen von knapp 2,9 Mrd. DM hätte die jährliche Belastung der Bundesrepublik Deutschland demnach maximal 2,14 Mrd. DM betragen.

      Neben der Reiseregelung wichtigstes Thema war der im Prinzip bereits vereinbarte Besuch des Bundeskanzlers, der nun für den 19. Dezember festgelegt wurde. Wir hatten als Tagungsort Dresden vorgeschlagen, auch deshalb, weil der Bundeskanzler angeblich aus Rücksicht auf den Status nicht nach Berlin kommen wollte. Modrow erklärte sich einverstanden und entwickelte seine Vorstellungen zum Inhalt des Gesprächs, wonach man zunächst den sich aus der europäischen und internationalen Entwicklung ergebenden Rahmen abstecken, sich dann aber nicht an Fernzielen orientieren, sondern dem zuwenden sollte, was man konkret erreichen könne. Erforderlich sei die Konzentration auf das Nächstliegende und Machbare. Einen Tag zuvor war er in Moskau gewesen und berichtete aus seinen Gesprächen mit Gorbatschow, daß er Unterstützung für das Konzept einer Vertragsgemeinschaft gefunden habe, daß jedoch alle Wiedervereinigungsideen nachdrücklich abgelehnt würden. Man müsse weiter von der Existenz zweier unabhängiger deutscher Staaten ausgehen, sagte er, in deren Beziehungen es aber neue Aspekte geben könne. Beim Besuch des Bundeskanzlers sollte man sich daher auf die

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