Das deutsche Jahr - Einblicke in die Wiedervereinigung 1989/1990. Claus J. Duisberg

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Das deutsche Jahr - Einblicke in die Wiedervereinigung 1989/1990 - Claus J. Duisberg

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      Entscheidend für die Entwicklung in diesen Wochen war die Haltung der Sowjetunion. Am 17. Juni 1953 in Berlin und drei Jahre später in Ungarn hatten sowjetische Panzer und Truppen Volksaufstände blutig niedergeworfen. Viele Menschen in der DDR hatten das im Gedächtnis, nicht wenige es selbst erlebt; in frischer Erinnerung war auch noch die Intervention in der Tschechoslowakei im Sommer 1968. Im Herbst 1989 bestand daher durchaus – und nicht unbegründet – Angst vor einem erneuten sowjetischen Eingreifen. So hätte es nicht einmal eines großen Einsatzes bedurft, sondern wohl schon genügt, sowjetische Panzer sichtbar in Stellung zu bringen, um die Menschen nachhaltig einzuschüchtern und den Demonstrationen ein Ende zu machen. Statt dessen blieben die sowjetischen Truppen auffällig bewegungslos in ihren Garnisonen, erkennbar bemüht, sich aus dem Konflikt herauszuhalten.

      Schewardnadse hat später erklärt, es habe innerhalb der sowjetischen Führung starke Tendenzen gegeben zu intervenieren; er habe dies aber verhindert. Es mag zutreffen, daß in Kreisen der sowjetischen Führung tatsächlich mit dem Gedanken einer Intervention gespielt worden ist. Dagegen dürfte aber – abgesehen von dem nachwirkenden Afghanistan-Trauma – vor allem die Überlegung gesprochen haben, daß damit dem gerade wieder wachsenden sowjetischen Ansehen in der Welt nachhaltig Schaden zugefügt und die für die wirtschaftliche Erneuerung als unerläßlich angesehene Zusammenarbeit mit dem Westen auf geraume Zeit verhindert worden wäre. Überdies ging man noch davon aus, daß mit auch aus sowjetischer Sicht unerläßlichen Reformen die Entwicklung eingefangen und die DDR unter neuer Führung gehalten werden könnte.

      Als Gorbatschow zu den Jubiläumsfeiern am 6. und 7. Oktober nach Berlin kam, verhehlte er im Gespräch mit Honecker und dem SED-Politbüro nicht seine Auffassung, daß Veränderungen in der DDR nicht zuletzt in Richtung auf mehr Demokratie erforderlich seien. In der Öffentlichkeit, wo er von den Menschen begeistert als Hoffnungsträger begrüßt wurde, tat er am 7. Oktober den später immer wieder zitierten Ausspruch: »Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.« Dann weiter: »Gefahren warten nur auf diejenigen, die nicht auf das Leben reagieren.«

      Honecker schien diese Gefahren nicht wahrzunehmen; er sah nicht, daß die Wellen der Bewegung aus dem Volk die Dämme seines Systems bereits überspülten. Nicht die Demonstranten waren für ihn repräsentativ, sondern die Mitglieder der FDJ – nach amtlichen Angaben über 100 000 –, die am Abend des 6. Oktober noch einmal – zum letzten Mal! – von den geübten Organisatoren der Partei in Berlin zu einem Fackelzug auf die Straße geführt wurden. Anderen erschien gerade dieser Fackelzug gespenstisch, ärger noch als die Demonstration vermeintlich martialischer Stärke bei der Militärparade am folgenden Tag und die steife Lustbarkeit, zu der sich die Prominenz von Partei und Staat am Nachmittag im »Palast der Republik« versammelte.

      Der tschechische Schriftsteller und spätere Präsident Václav Havel, der in diesem Jahr mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde, allerdings zu der Feier am 15. Oktober nicht nach Frankfurt reisen durfte, sagte in seiner Dankesrede, die in der Paulskirche von dem Schauspieler Maximilian Schell verlesen wurde, daß Staaten wie Menschen nicht auf Dauer in der Unwahrheit leben könnten. Das traf den Wesenskern der sogenannten sozialistischen Systeme. Sie beruhten nicht nur auf Repression, sie waren auch, und gerade deshalb, in allen ihren Äußerungen innerlich unwahr. Das Gespinst der Lüge erstickte schließlich die Herrschenden selbst. So stand am Anfang des Untergangs – wie so oft – Verblendung.

      Für Deutschland aber war es eine glückliche Fügung, daß Honecker in diesen Wochen durch Krankheit und Alter bereits geschwächt und der tatsächlichen Entwicklung etwas entrückt war. Im Vollbesitz seiner Kräfte wäre er wohl imstande gewesen, auch ohne Rücksicht auf die Sowjetunion seine Armee marschieren und die Demonstranten zusammenschießen zu lassen und damit möglicherweise auch den großen Verbündeten doch noch zum Handeln zu zwingen. Seine Genossen aber besaßen nicht mehr ein vergleichbares Maß an Ruchlosigkeit; sie wollten wohl sich selbst und das System retten, schreckten aber vor dem Äußersten zurück. Ohne Einwirkung von außen sind Revolutionen immer dann erfolgreich, wenn das Aufbegehren von unten auf inneren Verfall und Schwäche der bisher Herrschenden trifft.

      Führungswechsel

      Am 18. Oktober wurde Honecker gestürzt. Nach einer Auseinandersetzung im Politbüro erklärte er in einer Sitzung des Zentralkomitees seinen Rücktritt nicht nur vom Posten des Generalsekretärs der SED, sondern auch von seinen staatlichen Ämtern. Gleichzeitig verloren die Politbüromitglieder Günter Mittag und Joachim Herrmann, zuständig für Wirtschafts- bzw. Informationspolitik, ihre Ämter. Die amtliche Verlautbarung ließ bereits erkennen, daß dieser Wechsel nicht freiwillig, sondern Ergebnis eines Machtkampfes war.

      Honeckers Nachfolger, zunächst als Generalsekretär, wenig später, am 24. Oktober, auch als Vorsitzender des Staatsrats, wurde Egon Krenz. Er galt schon seit langem als Kronprinz, wenngleich auch immer wieder Zweifel aufgekommen waren; man redete von Affären und Alkoholproblemen, ohne freilich Genaueres zu wissen. Wie einstmals Honecker hatte Krenz seine politische Laufbahn in der FDJ begonnen, an deren Spitze er auch lange stand; bei offiziellen Anlässen erschien er im blauen offenen FDJ-Hemd, was mit vorrückenden Jahren einen etwas albernen Eindruck machte. Später suchte er sich einen staatsmännischen Anstrich zu geben. Bräutigam, der ihn einmal in einer Diskussion mit westlichen Botschaftern erlebt hatte, zeigte sich beeindruckt von seinen intellektuellen Fähigkeiten. Ich begegnete ihm zum ersten und einzigen Mal einen Monat später bei einem Besuch von Minister Seiters in Berlin. Krenz hatte etwas Grobschlächtiges an sich, das seine zivilen Umgangsformen als aufgesetzt erscheinen ließ. Sein schweres, breitflächiges Gesicht mit den auffällig unterlaufenen Augenhöhlen ließ an einen mehrfach geschlagenen Boxer denken. Er sprach langatmig und etwas monoton, wobei er immer wieder mitten im Satz, ohne erkennbaren Anlaß, den Mund zu einem Lachen verzog, was gleichermaßen töricht und irritierend wirkte, zumal er dabei ein großes Gebiß entblößte, das mich unwillkürlich an Rotkäppchen und den Wolf im Bett der Großmutter denken ließ.

      Ich hielt Krenz von Anfang an für einen Mann des Übergangs. Da er sich selbst aber zweifellos nicht so verstand und entschlossen schien, den Machtanspruch der SED kompromißlos und mit aller Härte zu vertreten, ließ sich freilich zunächst nicht absehen, wie lange dieser Übergang dauern würde. Am Abend des 18. Oktober wandte sich Krenz mit einer wohlvorbereiteten Rede im Stil einer Regierungserklärung an die Öffentlichkeit. Er gab eine Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen Führung und Bevölkerung, Fehleinschätzungen und wirtschaftliche Probleme offen zu, ließ aber keinen grundsätzlich neuen Ansatz zu Reformen erkennen. Von dem ausschließlichen Macht- und Führungsanspruch der SED machte er keinerlei Abstriche. Zwar sprach er von »Kontinuität und Erneuerung«, legte den Akzent aber eindeutig auf die Kontinuität: Es sollte nicht anders, nur besser gemacht werden. Dies war ganz gewiß kein Signal, um den wachsenden inneren Druck abzubauen. Vage Ankündigungen bloßer systemimmanenter Verbesserungen konnten nicht ausreichen, um Vertrauen zu gewinnen. Schließlich war nicht zu erwarten, daß die Menschen, die in den letzten Tagen und Wochen zu Tausenden auf die Straße gegangen waren, still in ihre Wohnungen zurückkehren würden, nur weil ein anderer Mann an die Spitze getreten war.

      Während seine Rede also innenpolitisch wenig Bewegung verhieß, suchte Krenz nach außen Flexibilität zu demonstrieren. Dabei stand an erster Stelle das Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland. Ungeachtet der Wiederholung stereotyper Angriffe warb Krenz unüberhörbar um Unterstützung und Ausbau der Zusammenarbeit, wobei er langfristige vertragliche Regelungen und institutionalisierte Gesprächsebenen für alle Bereiche, erstmals auch für humanitäre und touristische Fragen, anbot. Offenkundig sah die neue Führung das innerdeutsche Verhältnis mehr denn je als entscheidend für die innere und äußere Existenz der DDR an.

      Werben um Hilfe

      Wenige Tage später, am 24. Oktober, erschien Dr. Alexander Schalck-Golodkowski in Bonn zu einem Gespräch mit den Ministem Schäuble und Seiters. Was Vogel für das

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