Das deutsche Jahr - Einblicke in die Wiedervereinigung 1989/1990. Claus J. Duisberg

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des SED-Politbüros Günter Mittag grundsätzlich zugestimmt, wollte allerdings den Besuch so sachlich und formlos wie möglich hinter sich bringen. Den protokollarischen Wünschen der DDR begegnete er mit großem innerem Widerstreben; und es kostete Schäuble nach seinen eigenen Worten viel Mühe, Helmut Kohl davon zu überzeugen, daß mit Halbheiten das politische Ziel einer weiteren Öffnung der DDR nicht zu erreichen sei und daß im übrigen der Besuch auf andere Weise Gelegenheit böte, den besonderen Charakter der innerdeutschen Beziehungen zu demonstrieren.

      Als Leiter des dem Chef des Bundeskanzleramts unmittelbar unterstellten Arbeitsstabes Deutschlandpolitik war ich für die inhaltliche und organisatorische Vorbereitung des Besuches verantwortlich und begleitete Honecker auch, zusammen mit Staatssekretär Hans Otto Bräutigam, dem Leiter unserer Ständigen Vertretung in Ost-Berlin, während der fünf Tage, die er sich in Westdeutschland aufhielt. Bei der Ankunft am 7. September auf dem Flugplatz Köln-Wahn, wo ihn Schäuble begrüßte, und beim Abschreiten der Ehrenformation vor dem Bundeskanzleramt ließ er deutlich Anspannung und innere Erregung erkennen; im weiteren Verlauf lockerte er sich jedoch zusehends. Auch der Bundeskanzler und wohl jeder Anwesende waren innerlich stark berührt, als vor dem Bundeskanzleramt angesichts der verschiedenen und doch in ihrem Grunde gleichen Flaggen das Stabsmusikkorps die beiden Hymnen spielte 4 . In den nachfolgenden Gesprächen traf Kohl wie fast immer einen Ton, der Distanz wahrte, dem anderen aber dennoch das Gefühl gab, als Politiker ernstgenommen und trotz aller prinzipiellen Gegensätze bis zu einem gewissen Grade auch menschlich akzeptiert zu werden.

      Honecker wirkte bei öffentlichen Auftritten hölzern; seine langatmigen Ansprachen in dem gestelzten, phrasenhaften Parteistil waren schwer erträglich. Beim Gespräch in kleinerem Kreis zeigte er sich jedoch meistens wohlinformiert und verstand es, seine Position zu vertreten. Er besaß eine gewisse steife Würde, die seinem Alter, einem guten Schneider und nicht zuletzt der Aura zuzuschreiben war, die ihn als unangefochtene »Nummer 1« der DDR umgab. Seinem inneren Habitus nach war er – darin seinem Staat durchaus ähnlich – kleinbürgerlich, ohne Bildung und Verständnis für Kultur, gleichwohl mit dem Anspruch, auch insoweit maßgeblich zu sein. Wenn er sich leutselig gab, verzog er seinen schmallippigen Mund zu einem gekünstelten Lächeln; seine Augen aber blieben kalt und ließen etwas von der Härte und Erbarmungslosigkeit ahnen, mit der er seinen Weg gegangen war. Manche meinten, aufgrund seiner saarländischen Herkunft und der Jugend im alten Deutschland bei Honecker noch ein gesamtdeutsches Empfinden voraussetzen zu können. Gewiß waren ihm deutsche Gemeinsamkeiten stärker bewußt als der nachwachsenden Generation von SED-Politikern; aber er war nicht der Mann, sentimentalen Anwandlungen Raum zu geben, wenn es um das ging, was er als sein politisches Lebenswerk ansah. Die Sicherung der Existenz der DDR als eines kommunistischen deutschen Staates hatte für ihn absolute Priorität. Wo er sie auch nur indirekt bedroht sah, kannte er keine Rücksicht.

      Die Aufmerksamkeit, die Honecker bei seinem Besuch in Westdeutschland zuteil wurde, nahm er mit Befriedigung als Ausdruck der Anerkennung seines Staates entgegen. Er genoß sie darüber hinaus auch persönlich. Die westdeutsche Bevölkerung verfolgte den Besuch zwar interessiert, aber ohne stärkere Emotion. Dagegen zeigten sich größere Teile des Establishments durchaus beeindruckt. Auf der Einladungsliste für das Essen, das der Bundeskanzler am ersten Abend zu Ehren von Honecker in der Redoute in Bad Godesberg gab, standen die Namen der Spitzenvertreter aller politischen und gesellschaftlichen Institutionen; und dem Drängen einflußreicher Persönlichkeiten, ebenfalls zugelassen zu werden, konnte nur mit dem Hinweis auf die begrenzte Zahl der Plätze begegnet werden. Ich war erstaunt, wie viele bedeutende Leute aus Politik und Wirtschaft sich in meinem Büro um eine Einladung bemühten. Auch die Ministerpräsidenten der Bundesländer, die Honecker anschließend besuchte, gaben sich alle Mühe, dem Gast gebührende Ehre zu erweisen. Bayerns Franz Josef Strauß wollte dabei nicht hinter Johannes Rau von Nordrhein-Westfalen zurückstehen. Am meisten Distanz wahrte noch Bernhard Vogel in Rheinland-Pfalz, der in einer sehr feinsinnigen Tischrede beim Mittagessen im Landesmuseum von Trier unter Hinweis auf die offene Grenze zu Luxemburg Vergleichbares für die innerdeutsche Grenze anmahnte. Im benachbarten Saarland dagegen, das als Honeckers Heimat einen besonderen Platz im Besuchsprogramm beanspruchte, zeigte sich die Landesregierung unter Oskar Lafontaine in geradezu peinlicher Weise um Intimität und ostentative politische Nähe bemüht.

      Den stärksten Eindruck auf Honecker selbst machte der Empfang, den ihm am 9. September Vertreter von Wirtschaft und Industrie bei einer von Otto Wolff von Amerongen geleiteten Veranstaltung des DIHT in Köln und am Nachmittag desselben Tages, auf Einladung von Berthold Beitz, in der Villa Hügel bereiteten. Er kam im Gespräch später immer wieder darauf zurück und bezeichnete dies als den Höhepunkt seiner Reise. Es war allerdings auch zum Erstaunen, wie im Palast des früheren Krupp-Imperiums, Symbol des Kapitalismus in Deutschland, der erste Mann eines kommunistischen deutschen Staates hofiert wurde und der westdeutsche Wirtschaftsadel, darunter Vorstandsmitglieder von Weltunternehmen, sich drängte, um zur Audienz vorgelassen zu werden.

      Gewiß waren es nur zum geringen Teil die – eher bescheidenen – wirtschaftlichen Perspektiven der DDR, die eine solche Anziehungskraft entfalteten. Das Faszinosum war anderer Art: Auf viele übte der andere Teil Deutschlands, gerade weil sie ihn wenig kannten, einen fast exotischen Reiz aus; wem es gelang, auf diesem schwierigen Feld einen Schritt zu unternehmen, hielt sich darauf Besonderes zugute. So wurde eine persönliche Begegnung mit Honecker nachgerade für westdeutsche Politiker aller Schattierungen ebenso wie für Größen der Wirtschaft zu einem wichtigen Element der Selbstdarstellung. Man mag hinzufügen, daß überdies mancher leicht dem Reiz des Totalitären erliegt, zumal wenn es äußerlich Ordnung und Stabilität zu gewährleisten scheint. Die Staatsgläubigkeit der Wirtschaft, verbunden mit einem gering entwickelten politischen Gespür bei manchen ihrer Vertreter, hat eine gewisse Tradition in Deutschland; und insofern war die Villa Hügel wohl in der Tat der geeignete Platz für ein solches Schauspiel.

      In der offiziellen Bewertung der DDR war der Besuch ein bedeutender politischer Erfolg, der vor aller Welt die Souveränität und Gleichberechtigung beider deutschen Staaten zu dokumentieren und der DDR endgültig zu internationalem Ansehen zu verhelfen schien. Mit derselben Begründung wurde er in Westdeutschland auch kritisiert: Die DDR sei ohne Not und Gegenleistung aufgewertet und unter Mißachtung des Wiedervereinigungsgebots völkerrechtlich anerkannt worden, hieß es in konservativen Kreisen.

      Wolfgang Schäuble und ich als sein Mitarbeiter im Bundeskanzleramt sahen das anders: Was die Aufwertung anlangte, so schien uns das ein flüchtiger Vorteil zu sein, den die DDR bei mangelndem Wohlverhalten – wie tatsächlich wenig später geschehen – wieder zu verlieren drohte; insofern hätte der Besuch eher eine disziplinierende Wirkung haben können. Zur Frage einer völkerrechtlichen Anerkennung ließ sich sagen, daß die Bundesrepublik Deutschland die DDR bereits mit Abschluß des Grundlagenvertrages 5 als nach innen und außen selbständigen Staat anerkannt und lediglich für das bilaterale Verhältnis mit dem Festhalten an der einheitlichen deutschen Staatsangehörigkeit und dem Ziel der Wiedervereinigung einen Sondercharakter reklamiert hatte. Durch den Besuch änderte sich daran nichts.

      Freilich ist nicht zu leugnen, daß Bilder wie die vom zeremoniellen Empfang im Hof des Bundeskanzleramts die Vorstellung der Menschen stärker prägen als Vertragsbestimmungen. Insofern kam politisch schon etwas hinzu. Andererseits machten gerade diese Bilder und der gesamte Ablauf deutlich, daß der Besuch nicht eines der üblichen zwischenstaatlichen Protokollereignisse war, sondern daß hier mehr mitschwang. Jedermann konnte sehen, daß es sich bei den innerdeutschen Beziehungen nicht um ein normales zwischenstaatliches Verhältnis handelte, sondern daß die beiden deutschen Staaten in einer besonderen Weise miteinander verbunden waren. Der Bundeskanzler nutzte seine – zu bester Fernsehzeit in alle deutschen Haushalte in Ost wie West direkt übertragene – Tischrede am Abend des 7. September 6 , um das eindringlich herauszustellen und zugleich unmißverständlich zu erklären, daß die Teilung Deutschlands zwar gegenwärtig und in überschaubarer Zukunft unser politisches Handeln bestimmte, daß wir diese Teilung aber nicht als endgültig betrachteten und ihre Überwindung langfristig für notwendig und möglich hielten. Honecker, der sich das mit unbewegtem Gesicht anhörte, erwiderte mit dem Bild von Feuer

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