Das deutsche Jahr - Einblicke in die Wiedervereinigung 1989/1990. Claus J. Duisberg

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Das deutsche Jahr - Einblicke in die Wiedervereinigung 1989/1990 - Claus J. Duisberg

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wie wir damals – es sich vorstellen konnte.

      Aus unserer Sicht war der Honecker-Besuch ein notwendiger und wichtiger Schritt auf dem Wege der allmählichen Öffnung der DDR. Diese Politik war zwanzig Jahre vorher nach dem von Egon Bahr unter dem Motto »Wandel durch Annäherung« 7 entwickelten Konzept von Willy Brandt begonnen und – ungeachtet der erbitterten Kritik der CDU in den Jahren ihrer Opposition – nach dem Regierungswechsel im Herbst 1982 von Helmut Kohl fortgesetzt worden. Ausgangspunkt war die Einsicht, daß man den Realitäten Rechnung tragen müsse, wenn man auf sie einwirken und sie langfristig ändern wollte, und daß es nichts nützte, an der Rechtsfigur der staatlichen Einheit festzuhalten, wenn unterdessen ihr Substrat, das Gefühl nationaler Verbundenheit, mangels Kommunikation verfiel.

      Außerdem durfte man nicht ganz aus dem Blick verlieren, daß nicht nur die Bevölkerung, sondern auch die Grenzsoldaten, die auf Flüchtlinge schössen, die Mitarbeiter der Staatssicherheit, die ihren Mitmenschen auf vielfältige Weise nachstellten, und die Funktionäre, die für dieses Unrechtsregime die Verantwortung trugen, daß auch sie alle Deutsche waren. Zu den Realitäten gehörten Honecker und seine Genossen, und man kam nicht umhin, sich trotz der ihnen fehlenden Legitimität mit ihnen ins Benehmen zu setzen, wenn man die Verbindung zwischen den Menschen beiderseits von Mauer und Stacheldraht für die Zukunft erhalten wollte.

      Mit ihnen zu verhandeln bedeutete notwendigerweise Anerkennung, jedenfalls pro tempore. Jeder innerdeutsche Vertragsschluß wertete das Regime ein wenig auf und befestigte damit scheinbar die Teilung; andererseits eröffnete er zugleich Möglichkeiten, durch Zusammenarbeit Kommunikation zu schaffen und damit der Teilung entgegenzuwirken. So kaufte die Bundesrepublik innerdeutsche Kommunikation für den Preis von Aufwertung und wirtschaftlicher Unterstützung. Die DDR brauchte beides – wirtschaftliche Hilfe, um den Ansprüchen ihrer Bürger notdürftig gerecht werden zu können, und äußere Anerkennung, um das innere Legitimationsdefizit auszugleichen.

      Der Preis, den sie dafür erbrachte, war eine vorsichtige, kontrollierte Westöffnung mit dem Risiko, dadurch das eigene System zu destabilisieren. An einer ernsthaften Gefährdung der inneren Stabilität der DDR konnte andererseits auch die Bundesrepublik kein Interesse haben; denn solange die Sowjetunion, deren Geschöpf und Satellit die DDR war, einer grundlegenden Änderung der Verhältnisse dort nicht zustimmte, hätte das nur zu einer neuerlichen Abschließung geführt und damit alle Bemühungen um innerdeutsche Kontakte zunichte gemacht. Die Bundesrepublik konnte nicht auf Destabilisierung, sondern nur auf langsame Erosion des Systems der DDR setzen, auf Evolution, nicht auf Revolution.

      So waren die innerdeutschen Beziehungen für beide Seiten eine Gratwanderung, allerdings mit dem Unterschied, daß die DDR immer absturzgefährdet war und die Bundesregierung darauf Rücksicht nehmen mußte. Kritiker sprachen von einem »Management der deutschen Teilung« und beklagten das Fehlen eines Konzepts für eine zielstrebige Wiedervereinigungspolitik. Die Wahrheit war, daß es ein solches Konzept nicht geben konnte, solange die sowjetische Politik eine Neuordnung in Mitteleuropa ausschloß. Es galt vielmehr, bereit zu bleiben für Veränderungen, wenn sie denn einmal kommen sollten, und einstweilen alles zu tun, um die Bindungen zwischen den Menschen im östlichen und westlichen Deutschland lebendig und das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit wachzuhalten im Hinblick auf das Ziel, die deutsche Einheit in einer wenngleich ungewissen Zukunft wiederherzustellen.

      Allerdings hatten manche dieses Ziel zeitweilig aus dem Auge verloren oder auch ganz aufgegeben; aus dem proklamierten Wandel durch Annäherung war unversehens eine Annäherung durch eigenen Wandel geworden. In der SPD war schon während ihrer Regierungszeit und mehr noch nach 1982 in der Opposition eine Neigung festzustellen, die deutsche Zweistaatlichkeit als Element der Stabilität und damit des Friedens in Europa anzusehen mit der Folge, daß die Erhaltung der DDR geradezu als staatsmännische Pflicht erschien. In dem zwischen SPD und SED 1987 ausgearbeiteten Grundsatzpapier 8 hieß es ausdrücklich, daß keine Seite der anderen die Existenzberechtigung absprechen dürfe und die Hoffnung sich nicht darauf richten könne, daß eine Seite die andere abschafft.

      Manche – dazu gehörten viele Intellektuelle, auch Kreise der evangelischen Kirche – glaubten zudem, in der DDR zumindest Ansätze für eine sozialistische Alternative zur kapitalistischen Gesellschaftsordnung des Westens zu erkennen, und meinten, über die Mängel in der Realität hinwegsehen oder sie wenigstens um des vermeintlich guten Zieles willen ertragen zu können. Linke Schwärmer und die meisten Grünen suchten überdies die Teilung der deutschen Nation mit dem Gedanken zu rechtfertigen, daß sie eine Art Sühne für begangenes Unrecht und für das Unglück darstellte, das der deutsche Nationalstaat in der Vergangenheit über die Welt gebracht hatte – eine Sühne, die allerdings fast ausschließlich andere, nämlich die Deutschen in der DDR, zu leisten hatten.

      In der Öffentlichkeit wurde die deutsche Einheit oft schon als unrealistisch abgeschrieben; und die Neigung wuchs, den zweiten deutschen Staat auf Dauer zu akzeptieren und den Vorbehalt der nationalen Einheit, wie er besonders in der Präambel zum Grundgesetz und konkret in dem Festhalten an der einheitlichen deutschen Staatsangehörigkeit sowie dem Sondercharakter der innerdeutschen Beziehungen zum Ausdruck kam, als lästigen Ballast aufzugeben. Selbst Willy Brandt sprach noch im September 1988 davon, daß die Hoffnung auf Wiedervereinigung die »Lebenslüge der zweiten deutschen Republik« sei 9 . Die Bundesregierung unter Helmut Kohl betonte demgegenüber gerade diese Grundsatzpositionen, ohne sich freilich dadurch an einer pragmatischen Tagespolitik hindern zu lassen. Mit begrenzten Zugeständnissen und dem Hebel wirtschaftlichen Entgegenkommens versuchte sie, die Türen der DDR zum Westen weiter zu öffnen, in der Zuversicht, daß der Westen bei diesem Handel langfristig nur gewinnen könnte.

      Im Zusammenhang mit dem Besuch Honeckers – und das war für uns der politisch entscheidende Punkt – gelang es, die DDR zu einer bis dahin nicht möglichen Ausweitung des innerdeutschen Reiseverkehrs zu bewegen. Um den offiziellen Empfang Honeckers in der Bundesrepublik zu erreichen, fand sich die DDR nicht nur bereit, touristische Reisen aus Westdeutschland in größerem Umfang zuzulassen, sondern lockerte auch – erst tatsächlich, dann auch rechtlich – die Reisebeschränkungen für ihre eigenen Bürger in einem Maße, das weitreichende Konsequenzen hatte.

      Während Rentner aus der DDR schon seit längerem relativ frei in den Westen reisen durften und davon – sofern dort Verwandte oder Freunde für ihren Unterhalt sorgten – auch mit jährlich etwa 1,5 Mio. Besuchen reichlich Gebrauch machten, blieb die Zahl der Besuche von Personen unterhalb des Rentenalters, die nur in sogenannten dringenden Familienangelegenheiten reisen durften, ziemlich konstant auf 40 000 bis höchstens 60 000 im Jahr beschränkt. Auf Drängen der Bundesregierung stieg die Zahl dann jedoch 1986 zunächst auf 244 000, 1987 auf 622 000 und 1988 auf 790 000 Besuche. Zusammengenommen waren in diesen drei Jahren demnach schätzungsweise rund sechs Millionen Menschen aus der DDR, davon etwa ein Drittel unterhalb des Rentenalters, ein- oder mehrmals zu Besuch in Westdeutschland oder West-Berlin.

      Das konnte nicht ohne Auswirkungen auf das Bewußtsein bleiben. Die unmittelbaren Erfahrungen im Westen, nicht zuletzt auch im Umgang mit Behörden, ließen die Systemunterschiede nur allzu deutlich hervortreten; sie stärkten die Bereitschaft zu Kritik und Widerspruch nach Rückkehr in die Heimat. Zugleich wurde das Gefühl für die Zusammengehörigkeit der Menschen in beiden Teilen Deutschlands neu belebt. Insofern trug gerade der Honecker-Besuch letztlich nicht wenig zu den sich anbahnenden Veränderungen in der DDR bei und bestätigte damit die Richtigkeit der zuweilen als allzu pragmatisch gescholtenen Deutschlandpolitik der Bundesregierung.

      Stimmungen

      Kaum etwas anderes stand so sehr im Mittelpunkt der Wünsche der Menschen in der DDR wie die Reisefreiheit. Die Kritik an den Verhältnissen entzündete sich fast immer an dem Verbot von Reisen in den Westen; und vielfach, auch bei uns, entstand der Eindruck, das Leben in der DDR könnte erträglich werden, wenn wenigstens auf diesem Gebiet etwas mehr Freiheit gegeben würde.

      Über die Jahre war die

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