Das deutsche Jahr - Einblicke in die Wiedervereinigung 1989/1990. Claus J. Duisberg

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Das deutsche Jahr - Einblicke in die Wiedervereinigung 1989/1990 - Claus J. Duisberg

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eines Landesvaters, der über ein zwar nicht problemfreies, aber doch geordnetes Staatswesen mit einer insgesamt zufriedenen Bevölkerung herrschte. Ich hatte oft den Eindruck, daß er sich wenn nicht geliebt, so doch geachtet fühlte und damit vielleicht sogar nicht einmal ganz unrecht hatte, diese Achtung aber als Zustimmung zu seinem System mißverstand.

      Er gefiel sich in patriarchalischen Attitüden und bewilligte aus einem Fonds zu seiner persönlichen Verfügung, der stets mit 200 Mio. DM gefüllt sein mußte, gelegentlich Sondereinfuhren von Konsumgütern – Apfelsinen zu Weihnachten, auch einmal Westautos; und nicht selten nahm er sich persönlich einzelner Probleme an, auf die er zufällig stieß, so daß an ihn gerichtete Eingaben manchmal überraschende Wirkung hatten. Gerne zog er Vergleiche zu seiner Jugend und zur Lage nach dem Krieg, um dann den sozialistischen Fortschritt zu preisen. Er war zum Beispiel besonders stolz darauf und gab es als Zeichen wirtschaftlicher Stabilität aus, daß der Preis für ein Brötchen seit fast vierzig Jahren gleich geblieben war; daß Brötchen aber inzwischen billiger als Viehfutter waren und von den Menschen wo immer möglich in großen Mengen an Kaninchen und Schweine verfüttert wurden, nahm er dagegen nicht wahr. Ebensowenig sah er wohl die Zurüstungen, die speziell für ihn gemacht wurden und die Wirklichkeit verbargen, etwa daß die Fassaden der Häuser in der Prenzlauer Allee, durch die er gewöhnlich von seiner Wohnung in Wandlitz ins Stadtzentrum fuhr, gerade nur bis zu der Höhe gestrichen waren, die man beim Blick aus dem Auto erkennen konnte. Ein Funktionär sagte mir einmal selbstironisch: »Wenn der Honecker kommt, wird auch der Wald gefegt.«

      Zuletzt und wohl altersbedingt nahm der Abstand zur Realität immer mehr zu. Bei einem Gespräch mit Schäuble am 9. November 1988 redete er fast nur noch langatmig und nicht immer ganz konsistent darüber, wie doch alles in den letzten vierzig Jahren soviel besser geworden sei und wie gut es den Menschen gehe, um dann nach Art alter Leute zu klagen, daß die jüngere Generation dies leider nicht genügend anerkenne. Als im April 1989, wo die Zeichen des Unmuts in der Bevölkerung kaum noch zu übersehen waren, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Johannes Rau, Honecker bei einem Besuch vorsichtig auf die angespannte innere Lage ansprach, wies dieser die Annahme, es gebe innere Probleme, weit von sich und erklärte, er lade ihn, den Ministerpräsidenten, ein, an der Parade zum 1. Mai teilzunehmen, dann werde er sehen, wie groß die Übereinstimmung zwischen Führung und Bevölkerung sei. Dabei machte er den Eindruck, daß er tatsächlich glaubte, was er sagte.

      Die Herrschenden haben es überall schwer, die Wirklichkeit zu erfahren. Wieviel mehr in einem System, in dem sie sich nie dem Volk stellen müssen, sondern immer auf dem Podest stehen, an dem die von ihnen selbst inszenierten Paraden mit zum Jubeln und Fahnenschwenken angehaltenen Menschen vorbeiziehen. Verwundert es, daß schließlich auch sie der Illusion erliegen, die sie selbst geschaffen haben?

      2. KAPITEL

       AUSREISEWELLE

      Zufluchtsfälle

      Ein Gradmesser für die Stimmung der Bevölkerung war die Zahl derjenigen, die sich darum bemühten, die DDR zu verlassen. Als Voltaire nach dem Zerwürfnis mit Friedrich dem Großen Preußen den Rücken kehrte, schrieb er: »Dieses Land ist so schlecht und wird so schlecht regiert, daß wir jedem verbieten, es zu verlassen, weil es sonst die ganze Bevölkerung verlassen würde.« Die Bemerkung, seinerzeit Ausdruck boshafter Überspitzung, hätte 200 Jahre später gut als Beschreibung der DDR gelten können. Seit dem Bau der Mauer und der Anlagen an der innerdeutschen Grenze war es nicht nur verboten, sondern auch praktisch unmöglich, die DDR zu verlassen. Immer wieder gelang zwar einzelnen mit größtem Risiko die Flucht, allein oder mit Unterstützung mehr oder weniger ehrenwerter Helfer und auf abenteuerlichen Wegen, zum Teil auch über Drittländer; vom 13. August 1961 bis Mitte 1989 waren das knapp 41 000 10 . Die meisten dieser Versuche aber blieben erfolglos, endeten im Gefängnis oder mit Verlust von Gesundheit und Leben; über tausend Menschen sind in dieser Zeit bei der Flucht an der Grenze erschossen worden oder auf andere Weise ums Leben gekommen 11 . Legal, d.h. mit Genehmigung der Behörden, konnten praktisch nur Rentner ausreisen, die als bloße Kostgänger für die DDR nicht mehr von Interesse waren; anderen wurde eine Ausreisegenehmigung nur in seltenen Ausnahmefällen nach einem willkürlich gehandhabten Ermessen erteilt. Die 1988 erlassene Reiseverordnung 12 enthielt erstmals eine formelle Regelung auch für die Erteilung von Ausreisegenehmigungen, trug aber nicht viel zur Beruhigung der Ausreisewilligen bei, weil nur wenige unter die ausdrücklich genannten Kategorien der Familienzusammenführung fielen, während es für die große Mehrzahl bei einer Ermessensentscheidung »aus anderen humanitären Gründen« blieb.

      Seit Mitte der sechziger Jahre führte allerdings noch ein Weg aus der DDR über die sogenannten besonderen Bemühungen der Bundesregierung, härter und präziser ausgedrückt: über den Freikauf. Gegen Zahlung gab die DDR Menschen frei – Personen, die aus familiären oder sonstigen Gründen dringend in den Westen wollten, sowie politische Häftlinge, die oft ebenfalls nur wegen hartnäckiger Ausreisebemühungen oder fehlgeschlagener Fluchtversuche verurteilt waren. Den Gegenwert erhielt die DDR unter Einschaltung des Diakonischen Werks der evangelischen Kirche in Form von Warengutschriften, die allerdings mit einigen Transaktionen auch in ihrem Geldwert realisiert werden konnten und dann unmittelbar in die notorisch schwache Devisenbilanz der DDR eingingen. Ende 1988 lag der Tarif bei ca. 90 000 DM für Häftlinge und ca. 5000 DM für Fälle der Familienzusammenführung; die Gutschriften schwankten in den letzten Jahren zwischen 150 und 300 Mio. DM pro Jahr und betrugen 1988 ungefähr 220 Mio. DM.

      Auf westdeutscher Seite wurde das Geschäft vom Bundesministerium für Innerdeutsche Beziehungen betrieben – die einzige operative Zuständigkeit, die dieses Ministerium tatsächlich hatte. Als Vermittler war der Ost-Berliner Rechtsanwalt Professor Dr. Wolfgang Vogel tätig. Er verfügte über unmittelbaren Zugang zu Honecker und enge Kontakte zu allen maßgeblichen Stellen in Staat und Partei, natürlich nicht zuletzt auch zum Ministerium für Staatssicherheit, wobei es letztlich gleichgültig war, ob er dort selbst auf der Liste der Mitarbeiter geführt wurde; wichtig war nur, daß er auch in schwierigen Fällen – im humanitären Bereich ebenso wie beim Austausch von Agenten – Lösungen erwirken konnte. Auf diese Weise hat er tatsächlich vielen Menschen geholfen. Gewandt und mit Diskretion bewegte er sich zwischen den beiden Welten, wurde auch von beiden großzügig honoriert. Seine hohe Intelligenz, sein Verhandlungsgeschick und seine Verbindungen im Osten wie im Westen machten ihn für beide Seiten wertvoll. Sein eigentlicher Mandatar war jedoch stets die DDR; hier war er auch zu Hause mit allen Privilegien, die dieser Staat vergeben konnte: Ansehen, Besitz, Geld und die Möglichkeit, es nach Belieben im Osten wie im Westen auszugeben, nicht zuletzt unbeschränkte Bewegungsfreiheit (bis hin zu der förmlichen Berechtigung, sich im Straßenverkehr über Geschwindigkeitsbegrenzungen hinwegsetzen zu dürfen). Wenngleich er bei vielen Anliegen vermittelnd hilfreich war, gab es keinen Zweifel, auf welcher Seite er stand. Ich habe mich deshalb Bestrebungen, ihn mit dem Bundesverdienstkreuz auszuzeichnen, immer und letztlich erfolgreich widersetzt.

      Vogel war auch der Ansprechpartner für heikle Fälle in den westdeutschen Vertretungen. Viele, die ausreisen wollten, richteten ihre Hoffnungen auf die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Ost-Berlin oder suchten bei Reisen ins sogenannte sozialistische Ausland ihr Anliegen bei den dortigen westdeutschen Botschaften, vor allem in Prag und Budapest, vorzutragen. Bei den Botschaften konnten sie die Ausstellung eines westdeutschen Reisepasses verlangen, der ihnen allerdings nichts nützte, weil die örtlichen Behörden sie damit nicht ausreisen ließen. Die Ständige Vertretung hatte mit Rücksicht auf den besonderen Charakter der Beziehungen keine konsularische Zuständigkeit und war nicht befugt, Pässe auszustellen. Sie konnte praktisch nicht mehr tun als die Anliegen registrieren und menschlichen Rat geben. Die Namen wurden einem West-Berliner Anwaltsbüro übermittelt, das seinerseits wieder in Verbindung mit dem Büro des Rechtsanwalts Vogel stand. Einzelne Härtefälle wurden in die besonderen Bemühungen einbezogen; die meisten blieben Akten in einer wachsenden Registratur. Dennoch mag es für manche ein Trost gewesen sein, über ihr Schicksal sprechen zu können und ihren Namen aufgehoben zu wissen.

      Die

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