Zu Vermieten. John Galsworthy

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Zu Vermieten - John Galsworthy Forsyte

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wollten, keine Kenntnis von der Existenz des kleinen Jon, sonst hätten sie Anspruch auf ihn als ihren Zögling erhoben. Doch man kann in diesem Leben auch zu einfach sein, denn sein richtiger Name war Jolyon und sein noch lebender Vater und sein toter Halbbruder hatten sich schon vor ihm die anderen Kurzformen zu eigen gemacht, Jo und Jolly. Tatsächlich hatte der kleine Jon sein Bestes getan, um sich den Konventionen anzupassen, und sich erst Jhon und dann John geschrieben. Erst als sein Vater die schiere Notwendigkeit erklärt hatte, hatte er seinen Namen Jon geschrieben.

      Bis zu diesem Zeitpunkt hatte dem Vater gehört, was der Knecht Bob, der Ziehharmonika spielte, und sein Kindermädchen Da, die sonntags ein violettes Kleid trug und sich in dem Privatleben, das sogar Hausangestellte ab und an führen, des Namens Spraggins erfreute, von seinem Herzen übrigließen. Seine Mutter war ihm sozusagen nur in Träumen erschienen, wohlriechend, seine Stirn streichelnd, bevor er einschlief, und manchmal sein goldbraunes Haar glättend. Als er sich den Kopf am Kamingitter in seinem Kinderzimmer aufschlug, war sie da, um sich vollbluten zu lassen, und wenn er einen Alptraum hatte, saß sie auf seinem Bett und drückte seinen Kopf an ihren Hals. Sie war ihm teuer, aber fern, denn Da war so nahe, und im Herzen eines Mannes ist kaum für mehr als eine Frau auf einmal Platz. Natürlich gab es auch zwischen ihm und seinem Vater eine besondere Bindung, denn der kleine Jon wollte auch einmal ein Maler werden, wenn er groß war – mit dem kleinen Unterschied, dass sein Vater Bilder malte, während Jon vorhatte, Decken und Wände zu bemalen, auf einem Brett zwischen zwei Trittleitern stehend, mit einer dreckig-weißen Schürze und dem angenehmen Geruch von Kalkmilch. Sein Vater nahm ihn auch mit zum Reiten in den Richmond Park, auf seinem Pony namens Maus, das wegen seiner Farbe so hieß.

      Der kleine Jon war mit einem silbernen Löffel im recht großen und gebogenen Mund geboren worden. Er hatte seinen Vater oder seine Mutter niemals mit wütender Stimme sprechen hören, weder miteinander, noch mit ihm oder irgendjemandem sonst. Der Knecht Bob, die Köchin, Jane, Bella und die anderen Hausangestellten, selbst Da, die ihm als Einzige Schranken setzte, alle sprachen sie in einem besonderen Ton mit ihm. Daher war er der Ansicht, die Welt sei ein Ort vollkommener und ewiger Vornehmheit und Freiheit.

      Als ein Kind des Jahres 1901, hatte er angefangen, Dinge bewusst wahrzunehmen, als sein Land gerade jenen schlimmen Anfall von Militärenthusiasmus überwunden hatte, den Burenkrieg, und sich auf die Wiederkehr der Liberalen im Jahr 1906 vorbereitete. Zwang war unbeliebt, Eltern hatten exaltierte Vorstellungen davon, ihrem Nachwuchs ein schönes Leben zu bereiten. Sie verhätschelten und verzogen ihre Kinder und erwarteten voller Vorfreude die Folgen. Überdies hatte der kleine Jon mit einem liebenswürdigen Mann von zweiundfünfzig Jahren, der bereits einen einzigen Sohn verloren hatte, als Vater und einer Frau von achtunddreißig Jahren, deren erstes und einziges Kind er war, als Mutter eine weise Wahl getroffen. Was ihn davor bewahrt hatte, eine Mischung aus einem Schoßhündchen und einem kleinen Schnösel zu werden, war die Bewunderung seines Vaters für seine Mutter gewesen, denn selbst der kleine Jon konnte sehen, dass sie nicht nur seine Mutter war und dass er im Herzen seines Vaters die zweite Geige und sie die erste spielte. Was er im Herzen seiner Mutter spielte, wusste er noch nicht.

      Was Tante June betraf, seine Halbschwester (aber so alt, dass sie diesem Verwandtschaftsverhältnis entwachsen war), sie liebte ihn natürlich, aber sie war so unberechenbar. Seine ihm treu ergebene Da hatte auch etwas Spartanisches. Sein Badewasser war kalt und seine Knie waren nackt, er wurde nicht dazu ermuntert, sich selbst zu bemitleiden. Was die strittige Frage seiner Erziehung anbetraf, teilte Jon die Ansicht jener, die fanden, Kinder sollten zu nichts gezwungen werden. Er mochte die Mademoiselle recht gerne, die jeden Morgen für zwei Stunden kam, um ihm ihre Sprache beizubringen, zusammen mit Geschichte, Geografie und Rechnen. Auch der Klavierunterricht, den ihm seine Mutter gab, war ihm nicht lästig, denn sie hatte eine Art, ihn von Melodie zu Melodie zu locken, zwang ihn nie, etwas zu üben, was ihm keine Freude machte, sodass er bestrebt blieb, aus zehn Daumen acht Finger zu machen. Sein Vater brachte ihm bei, Schweinchen und andere Tiere zu malen. Er war kein hochgebildeter kleiner Junge. Doch alles in allem blieb der silberne Löffel in seinem Mund, ohne ihn zu verziehen, auch wenn Da manchmal meinte, dass andere Kinder ihm sehr guttun würden.

      Deshalb war es für ihn desillusionierend, als sie ihn im Alter von fast sieben Jahren auf dem Rücken liegend festhielt, weil er etwas tun wollte, was sie nicht für gut befand. Dieser erste Eingriff in den freien Willen eines Forsyte machte ihn fast rasend. Es lag etwas Erschreckendes in der schieren Hilflosigkeit jener Position und der Ungewissheit, ob es jemals wieder aufhören würde. Wenn sie ihn nun nie wieder aufstehen lassen würde! Fünfzig Sekunden lang litt er lautstarke Qualen. Am schlimmsten war, dass es ihm schien, Da habe so lange gebraucht, um zu merken, welch schreckliche Angst er ertragen musste. So offenbarte sich ihm auf schreckliche Weise der Mangel an Vorstellungskraft der Menschen.

      Als Da ihn wieder aufstehen ließ, blieb er überzeugt, dass sie etwas Schreckliches getan hatte. Obwohl er nicht gegen sie aussagen wollte, war er aus Angst vor einer Wiederholung gezwungen gewesen, zu seiner Mutter zu gehen und zu sagen: »Mama, lass Da mich nicht noch einmal so auf dem Rücken festhalten.«

      Seine Mutter, die Hände mit zwei geflochtenen Zöpfen darin über dem Kopf – couleur de feuille morte, wie der kleine Jon die Farbe ihres Haars noch nicht zu nennen gelernt hatte –, hatte ihn mit Augen wie kleine Stückchen seines braunen Samtjäckchens angesehen und geantwortet: »Nein, Liebling, das lasse ich sie nicht.«

      Da sie für ihn wie eine Art Göttin war, war der kleine Jon zufrieden gewesen. Besonders, als er sie beim Frühstück, als er zufällig gerade unter dem Esstisch saß, weil er auf einen Pilz wartete, zu seinem Vater sagen hörte: »Also, Schatz, sagst du es Da, oder soll ich es ihr sagen? Er bedeutet ihr doch so viel.« Und sein Vater antwortete: »Naja, so darf sie ihm das aber nicht zeigen. Ich weiß genau, wie es sich anfühlt, auf dem Rücken liegend festgehalten zu werden. Kein Forsyte kann das eine Minute aushalten.«

      Da ihm bewusst war, dass sie nicht wussten, dass er unterm Tisch war, überkam den kleinen Jon das ihm ziemlich neue Gefühl der Verlegenheit, und er blieb, wo er war, verzehrt von dem Verlangen nach dem Pilz.

      Dies war sein erster Blick in die dunklen Abgründe des Lebens gewesen. Danach hatte sich ihm nicht viel mehr davon aufgetan, bis er eines Tages, als er, nachdem Garratt mit dem Melken fertig war, für sein Glas frische Kuhmilch hinunter zum Kuhstall gegangen war, Clovers Kalb tot vorgefunden hatte. Untröstlich und gefolgt von einem bestürzten Garratt, war er zu Da gegangen, doch dann war ihm plötzlich bewusstgeworden, dass sie nicht die Person war, die er brauchte, und er war davongeeilt, um nach seinem Vater zu suchen, und war dabei seiner Mutter in die Arme gelaufen.

      »Clovers Kalb ist tot! Oh! Oh! Es sah so sanft aus!«

      Die Umarmung seiner Mutter und ihre Worte: »Ja, mein Liebling, na, na!«, hatten sein Schluchzen aufhören lassen. Doch wenn Clovers Kalb sterben konnte, dann konnte alles andere auch sterben – nicht nur Bienen, Fliegen, Käfer und Hühner – und so sanft aussehen! Das war erschreckend – und schnell wieder vergessen.

      Das nächste war, dass er sich auf eine Hummel gesetzt hatte, eine schmerzhafte Erfahrung, die seine Mutter viel besser verstanden hatte als Da. Danach hatte sich nichts wirklich Wichtiges mehr ereignet, bis zum Jahreswechsel, als er nach einem Tag absoluten Elends in den Genuss einer Krankheit kam, die aus kleinen Flecken, Bettruhe, Löffeln mit Honig und vielen Mandarinen bestand. Da war die Welt erblüht. Er verdankte dieses Blühen seiner Tante June, denn kaum war er ein kleines lahmes Entlein, kam sie von London herbeigeeilt und brachte die Bücher mit, die ihre eigene Berserkerseele genährt hatten, die in dem berühmten Jahr 1869 geboren worden war. Sie waren alt und bunt und gefüllt mit den ungeheuerlichsten Ereignissen. Aus ihnen las sie dem kleinen Jon vor, bis er selbst lesen durfte, woraufhin sie zurück nach London flitzte und sie ihm in einem Stapel daließ. Jene Bücher befeuerten seine Fantasie, bis seine Gedanken und seine Träume nur noch aus Leutnants zur See, Dauen, Piraten, Flößen, Sandelholzhändlern, Dampflokomotiven, Haien, Schlachten, Tataren, Indianern, Ballons, Expeditionen zum Nordpol und anderen extravaganten Vergnügen bestanden.

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