Der vertauschte Sohn. Андреа Камиллери

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Der vertauschte Sohn - Андреа Камиллери WAT

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kommen mußte und daß ich weder früher noch später geboren werden konnte; aber ich gestehe offen, von all diesen Dingen habe ich mir noch keinen Begriff gemacht und werde mir wohl auch nie einen machen können.

      Ehrlich gesagt, glauben wir nicht, daß sich die Dinge so verhalten, wie Pirandello sie uns mitteilt: eine Vorstellung davon, weshalb sein unfreiwilliger Aufenthalt auf Erden von einer zweifachen Spur gekennzeichnet worden ist, hatte er sich ganz fraglos gemacht.

      Und wenn schon keine klare Vorstellung, dann doch wenigstens die Feststellung eines Unbehagens.

      Aufgeschreckt aus dem Schlaf, vielleicht auf Grund eines Irrtums, und in einem Durchgangsbahnhof aus dem Zug gezerrt. Nachtzeit; und ich ohne alles Gepäck.

      Ich habe Mühe, mich von meiner Betäubung zu erholen

      Ich stehe auf dem Bahnsteig, allein, in der Finsternis einer einsamen Station; und weiß nicht, an wen ich mich wenden soll, um zu erfahren, was mit mir geschehen ist, wo ich bin.

      Und dann: Warum als Mensch geboren werden, als fröstelnder, verlorener Transitreisender?

      Man wird auf viele Weisen und in vielen Formen zum Leben geboren: Baum oder Stein, Wasser oder Falter … oder Frau, und nur ein einziges Mal und in dieser bestimmten Form, denn niemals waren zwei Formen identisch, und so für eine geringe Zeit, manchmal nur für einen Tag und auf einem äußerst kleinen Raum, während man um sich herum und unbekannt die ganze weite Welt hat, die riesige, undurchdringliche Leere der Existenz. Als Ameise wird man geboren, als Schnake, als Grashalm.

      Tja. Und wieso nicht Vierbeiner?

      Ich weiß, welche Anstrengung ich in manchen Augenblicken auf mich nehme, um mich lediglich auf zwei Pfoten zu halten. Glaub mir, mein Freund: wenn es der Natur nachginge, wären wir alle aus Neigung Vierbeiner. Das wäre das Beste! Bequemer, angenehm bedächtig, immer ausgeglichen … Wie oft würde ich mich hinwerfen und auf der Erde gehen wollen, so, mit aufgestützten Fingern, auf allen Vieren! Diese verdammte Zivilisation ruiniert uns! Vierbeiner, ich würde ein schönes wildes Tier sein; Vierbeiner, ich würde dir ein paar Tritte in den Bauch versetzen, wegen der Grobheiten und Ungereimtheiten, die du von dir gegeben hast; Vierbeiner, ich hätte keine Frau, keine Schulden, keine Sorgen.

      Aber nun ist er eben als Mensch geboren, er ist klein, ein Junge, der den Namen Luigi trägt.

      DIE MILCH

      In der Zeit, als der kleine Luigi Muttermilch bekam, diktierte im Umland von Girgenti ein Ex-Sträfling das Gesetz, der in den Tagen der Landung Garibaldis befreit worden war. In seinem Einakter Der andere Sohn zitiert Luigi Pirandello ihn mit Vor- und Familiennamen, und so läßt er durch den Mund einer anderen Person, der alten Maragrazia, dessen Taten erzählen:

      Sämtliche Gefängnisse sämtlicher Orte wurden geöffnet, mein junger Herr. Und Sie können sich kaum vorstellen, was für ein gewaltiger Zorn überall losbrach! Die gemeinsten Diebe, die gemeinsten Mörder, wilde, blutrünstige, wütende Bestien, die durch viele Jahre in Ketten so geworden waren! Unter diesen war einer: ein gewisser Cola Camizzi. Der schrecklichste von allen. Ein Anführer von Briganten. Der brachte die armen Geschöpfe Gottes um, einfach so, aus Lust, als wären es Fliegen. Um das Pulver auszuprobieren – sagte er –, um zu sehen, ob der Karabiner auch gut geputzt war. Der stürzte sich auf die Landstriche unserer Gegend … Er hatte schon eine Bande aus Bauern zusammengestellt, aber damit war er noch nicht zufrieden, er wollte weitere, und er brachte jeden um, der ihm nicht folgen wollte.

      Als die garibaldinische Grille vorüber ist, hört Cola Camizzi mit den aufsehenerregenden Bluttaten auf und verwandelt sich in einen gefürchteten Mafiaboß dieser Gegend. Er mordet zwar weiter, tut es aber in aller Heimlichkeit, lautlos, ohne Aufsehen zu erregen, wenn sich jemand seinem Willen widersetzt oder sich weigert, Schutzgeld zu bezahlen.

      Kaum ist der kleine Luigi geboren, hat Don Stefano eine Schwefelmine gepachtet, die anfängt, Erträge abzuwerfen. Als er eines Tages nach Porto Empedocle zurückkehrt, wird er von Cola Camizzi gestellt. Die Straße ist, wie immer, auch in diesem Augenblick menschenleer, außer den beiden Männern gibt es niemanden, nicht einmal ein Hund streunt vorüber.

      »Lieber Pirandello, um mit Schwefelminen Glück zu haben, braucht es …«, haute Cola ihn an und ließ seinen Worten eine vielsagende Bewegung folgen, indem er sich an den Hintern faßte.

      Nardelli, Pirandellos Biograph, der diese Episode ausführlich erzählt hat, schreibt, daß Don Stefano »auf eine derart plump unliebenswürdige Kontaktaufnahme ohne viel Geplänkel reagierte«.

      Wir glauben kaum, daß Don Stefano wegen mangelnder Liebenswürdigkeit seitens des ehemaligen Briganten und jetzigen Mafioso indigniert war und reagieren mußte. Vielmehr standen sich hier zwei Sizilianer gegenüber, Aug in Aug, und erfaßten ganz genau den unterschwelligen Diskurs eines jeden Satzes. Für Stefano Pirandello war absolut klar: es ging um eine Schutzgeldforderung.

      Und er versetzte Cola einen solchen Schlag ins Gesicht, daß der zu torkeln anfing.

      Cola war verwirrt und benommen, vor allem aber überrascht: noch nie hatte eine Menschenseele es gewagt, die Hand gegen ihn zu erheben. Und als wollte er ganz sichergehen, fragte er drohend:

      »Eine Backpfeife? Für Cola Camizzi?«

      »Eine? Hundert!« gab Don Stefano zur Antwort.

      Er ließ ganze Salven von Backpfeifen und Faustschlägen links und rechts auf ihn niedergehen, unter denen Camizzi zur Erde stürzte und ein Gesicht wie ein weicher, gerade aus dem Backofen gehobener Brotlaib machte.

      Ein paar Stunden später befand sich Don Stefano in seinem Schwefellager am Strand und besprach gerade mit einem Kunden, der mit Nachnamen Veronica hieß, den Preis für die Einlagerung einer bestimmten Menge Schwefels, da hörte er von ferne Schüsse aus einer Flinte. Er schickte einen der Lagerburschen, um nachzusehen, was los war. Kurz darauf kam der Bursche wieder zurück und berichtete, daß Cola Camizzi in der Nähe sei und seine Waffe ausprobiere.

      Die ständige Kontrolle der Flinte mußte wohl ein fixe Idee des Mafioso gewesen sein, wenn Maragrazia in der bereits zitierten Dialogpassage erzählte, daß der Brigant gewöhnlich nur deshalb auf einen geschossen hätte, um auszuprobieren, ob seine Flinte noch gut funktionierte. Doch Stefano Pirandello hatte auch diesmal die Bedeutung der Probeübung durchaus begriffen. Ohne daß sein Kunde es bemerkte, nahm er den Revolver, den er immer im Gürtel bei sich trug, und steckte ihn in die rechte Jackentasche.

      Es war sinnlos. Denn Camizzi war im Schutz der Schwefelhaufen gefährlich nahe an ihn herangekommen.

      »Weg da! Weg da!« rief Camizzi, der offensichtlich wollte, daß der Kunde sich entfernte.

      Der verzog sich. Dann geschah alles in Sekundenschnelle. Don Stefano hatte gerade noch Zeit, sich die Brust mit einem Arm zu schützen und sank, von zwei Kugeln getroffen, auf die Knie. Daraufhin warf Cola die Flinte weit weg und kam langsam auf Don Stefano zu, um ihn mit einem Revolverschuß zu erledigen.

      Doch er beging einen Fehler. Der Bursche, der vorher geschickt worden war, um zu sehen, wer da geschossen hatte, bemächtigt sich nämlich der leeren Waffe, hält sie am Lauf fest und versetzt dem Mafioso von hinten einen gewaltigen Schlag auf den Kopf. Der wankt und macht sich davon. Don Stefano steht auf, ihm hinterher und feuert ein ganzes Magazin auf ihn ab. Dann kann er nicht mehr, er sinkt hin und verliert das Bewußtsein.

      Blutend

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