Der vertauschte Sohn. Андреа Камиллери

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Der vertauschte Sohn - Андреа Камиллери WAT

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Waffenbruder und Freund (eine Freundschaft, die während der garibaldinischen Unternehmungen entstanden war) Rocco Ricci Gramitto, ein Girgentaner, ergab sich dagegen am Aspromonte lieber den Königlich Savoyischen Truppen. Er wurde nach San Benigno überführt, wo er sechs Monate Gefängnis verbüßte. Rocco war der zukünftige Schwager von Stefano.

      Die Ricci Gramittos waren mit Sicherheit die antibourbonischste Familie im Girgentanischen.

      Giovanni Ricci Gramitto war ein hervorragender Rechtsanwalt, einer der Organisatoren der Erhebungen von 1848 in Palermo, Separatist, Minister in der Regierung Ruggiero Settimo.

      Als der König von Neapel die Macht wieder zurückerlangt hatte, wurde Giovanni Ricci Gramitto von der Amnestie ausgeschlossen und, mit Zustimmung des Herrschers, auf die Proskriptionslisten gesetzt. Jeglichen Vermögens beraubt, muße er nach Malta fliehen. Er hatte vier Jungen (Francesco, Rocco, Vincenzo und Innocenzo) und drei Mädchen (Rosalia, Caterina und Adriana). Caterina, die zukünftige Mutter Luigi Pirandellos, war damals dreizehn Jahre alt. Kurz darauf folgte Giovannis Frau mit den Kindern ihm auf einer Tartane von Porto Empedocle aus ins Exil nach. Und Pirandello schreibt 1915 über diese Reise und die Zeit im Exil aufgrund der Erzählung der Mutter. Sie lebten von der Unterstützung eines Onkels, eines Bruders von Giovanni, der Kanonikus war, völlig gegenteilige Ideen vertrat und in der Kathedrale das Te Deum anläßlich der Rückkehr von König Ferdinand II. von Bourbon sang, und zwar am gleichen Tag, an dem Giovanni sich nach Malta aufmacht.

      In Bùrmula auf Malta stirbt Giovanni im Alter von sechsundvierzig Jahren, aufgezehrt von der Verzweiflung und der Ferne von seiner heimatlichen Erde. Bevor er den letzten Atemzug macht, versammelt er an seinem Bett seine Frau und seine Kinder und läßt sie schwören, daß sie ihre ganze Kraft, ja sogar ihr Leben für die Befreiung von den Bourbonen einsetzen werden. Die Familie kehrt nach Sizilien zurück, der Onkel Kanonikus nimmt sie auf, erfährt wegen dieser Verwandten, die er liebt, Demütigungen und Hausdurchsuchungen, ohne sich jemals darüber zu beklagen. Außerdem hatten Giovannis Familienangehörige sich gleich daran gemacht, Verschwörerisches vorzubereiten: Caterina nähte italienische Fähnchen, die sie in einem Kabuff unter der Treppe versteckte. Die gleichen Fähnchen, die ihr Bruder Vincenzo, der vom Onkel in ein Priesterseminar gesteckt worden war, aus dem er aber ausbüchste, bei sich trug, als er auf die bourbonischen Wachen in Girgenti losstürmte. Francesco und Rocco wurden Rechtsanwälte, auch ihre Ausbildung bezahlte der Onkel. Innocenzo schlug die militärische Laufbahn bei den Bersaglieri ein. Rocco und Vincenzo schlossen sich den Truppen von Rosolino Pilo an und folgten dann Garibaldi. Am Aspromonte nahm Rocco, der Leutnant unter Garibaldi war, den blutigen Stiefel seines Generals an sich und brachte ihn nach Girgenti.

      Den schenkte er später Luigi Pirandello, der ihn wiederum dem Rathaus von Rom vermachte. Wie bereits gesagt, ergab sich Rocco Ricci Gramitto, anders als sein Freund Stefano Pirandello, den Königlichen Bersaglieri. Unter diesen war – und das mag wie eine schlechte Erfindung klingen – sein Bruder Innocenzo, der, dem militärischen Befehl gehorchend, auf seinen Bruder und auf dessen künftigen Schwager schoß. Als Donna Anna von dieser Geschichte erfuhr, wollte sie ihren Sohn Innocenzo lange Zeit nicht mehr sehen.

      Rocco wurde in den ersten Oktobertagen des Jahres 1862 endlich freigelassen, kehrte nach Girgenti zurück und wurde dort triumphal empfangen. Bei dieser Gelegenheit trafen sich Rocco und Stefano nach der Schlacht am Aspromonte wieder, und so kam es, daß Stefano Pirandello und Caterina Ricci Gramitto sich zum ersten Mal begegneten.

      Sein Enkel Stefano, Luigis Sohn, schreibt 1936:

      »Er war schön, sie nicht, außer den Augen. Und außerdem kam sie sich im Alter von achtundzwanzig Jahren bereits wie eine alte Jungfer vor. Ihre Jugend hatte sie dem Vaterland hingegeben. Als Stefano Hals über Kopf um ihre Hand anhielt, glaubte sie, er würde sich einen Scherz erlauben. Es war eine patriotische Ehe.«

      Wenn irgendein Gegenstand, und war er auch von geringem Wert, für den man vermutlich im Ort keinen Ersatz bekam, beschädigt oder zerbrochen wurde, versank das ganze Haus in Trauer und tiefste Betroffenheit … Aber man mußte eben berücksichtigen, was jene Beschädigungen oder jener Bruch für den Mann bedeuteten: Er erblickte darin einen Mangel an Respekt, nicht etwa gegenüber dem Gegenstand, der wenig oder nichts wert war, sondern ihm gegenüber, ihm, der ihn gekauft hatte. Ob er geizig war? Nein, nicht einmal im Traum. Er war imstande, wegen irgendeiner Kleinigkeit, die ein paar Lire gekostet hatte, den halben Hausrat kurz und klein zu schlagen

      Doch genügte manchmal ein Nichts, ihn zu den wüstesten Ausbrüchen zu veranlassen. Vielleicht tat es ihm gleich darauf schon wieder leid. Er wollte oder konnte es jedoch nicht eingestehen. Das wäre ihm so vorgekommen, als hätte er sich erniedrigt oder geschlagen gegeben. Er wünschte, daß die anderen es errieten. Aber weil niemand in seinem Schrecken auch nur zu atmen wagte, schloß er sich für ganze Wochen in einen schwarzen, stummen Zorn ein.

      Dies ist das Porträt von Francesco Ajala, einer Figur aus Pirandellos Roman Die Ausgestoßene. Nur, daß diese Figur keine Phantasiegestalt ist, sondern das Porträt des Vaters, und diese furchtbaren Zornesausbrüche sind nur die realistische Darstellung dessen, was bei ihm zu Hause vorgeht, bei diesem stattlichen cholerischen Vater. Der seine Kinder ganz sicher liebt, aber nicht weiß, wie er seine Liebe offen zeigen kann.

      Der kleine Luigi ist feingliedrig, mager, nur seine Augen wachsen, er hat ein fieberndes Verlangen nach liebevoller Wärme, die ihm der hünenhafte brüllende Vater nicht geben kann. Und fast immer gerät sein kindlicher Glaube, alles und jedes allen und jedem mitteilen zu können, angesichts der granitenen Realität des Vaters ins Wanken und verliert sich.

      Als Jugendlicher vertraut er seinen Freunden an, daß sein Vater für ihn ein unverständlicher Mann ist, einer, mit dem man nicht vernünftig reden kann.

      Daher entwickelte sich zwischen ihnen weder eine Gefühlsäußerung noch die Möglichkeit einer vernunftbestimmten Beziehung.

      So entsteht zwischen den beiden also schon in Luigis früher Kindheit das, was Gaspare Giudice eine »gläserne Mauer« nannte, eine Mauer, die »sich niemals auflöste, im Gegenteil, sie wuchs in Dicke und Höhe und wurde im Lauf der Jahre schließlich unüberwindbar«.

      DIE ERINNERUNG AN DAS DUNKEL

      Eines Tages, als er etwa sechs Jahre alt ist und mit der Mutter spricht, beginnt der kleine Luigi ein Haus in Porto Empedocle zu beschreiben. Er erinnert sich an das Eßzimmer, das durch eine Trennwand mit zwei Bullaugen geteilt ist, hinter der sich das Zimmer der beiden Hausmädchen befindet. Er erinnert sich, daß eines Morgens zu einer bestimmten Stunde, als das Hausmädchen Filippa ihn auf den Armen trug, Finsternis aufzog, und es so dunkel wurde, daß eine Lampe angezündet werden mußte.

      Das stimmte. In den ersten Februartagen des Jahres 1868 gab es eine Sonnenfinsternis.

      Aber wie konnte sich der kleine Luigi nur daran erinnern, wenn er zu dieser Zeit gerade erst einmal knappe acht Monate alt war?

      Durch etwas nicht Übereinstimmendes, nicht Logisches war sein Erinnerungsvermögen als neugeborenes Kind unauslöschlich geprägt worden: Wie konnte es geschehen, daß es am Tag so nachtschwarz wurde, daß man eine Lampe anzünden mußte?

      PORTO EMPEDOCLE, GIRGENTI

      Die Orte seiner frühesten Kindheit sind zwei: Porto Empedocle und Girgenti. Porto Empedocle, dem er unterschiedliche Namen gibt, wird der Ort einiger seiner Novellen.

      Doch zunächst: Wie sieht dieser Ort aus? Das beschrieb er in Versen:

      

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