Der vertauschte Sohn. Андреа Камиллери

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Der vertauschte Sohn - Андреа Камиллери WAT

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und die Sehnen der Hand zertrennt, mit der er das Herz geschützt hatte. Die andere hat die Brust durchbohrt und eine Rippe zerschmettert.

      Von den beiden Verletzungen ist die an Hand und Arm die schwerere, man spricht sogar von Amputation. Doch die wird nicht nötig sein, allerdings wird Don Stefano aufgrund dieses Schußwechsels einen Finger nicht mehr gebrauchen können.

      Beim Anblick der Szene, wie ihr Mann, am Arm von Freunden gestützt, nach Hause zurückgebracht wird und eine breite Blutspur hinter sich läßt, fühlt sich Signora Caterina erstarren.

      Ihre Milch versiegt auf der Stelle.

      Und so wird Luigino einer Amme anvertraut.

      Die Geschichte soll noch zu Ende erzählt werden. Cola Camizzi, der auf Pirandellos Anzeige hin verhaftet worden war, wurde zu sieben Jahren wegen versuchten Mordes verurteilt. Doch als er nach Verbüßung seiner Strafe wieder nach Girgenti zurückkehren wollte, haben »Freunde« ihm geraten, es sei besser für ihn, seine Luft anderswo zu atmen: Don Stefano habe nämlich geschworen, ihn, sobald er ihn sehen würde, zu erschießen. Und Don Stefano galt als ein Mann, der sein Wort hielt. Cola verschwand aus girgentinischem Gebiet und tauchte in den fernen Schwefelminen eines gewissen Di Giovanni unter, und dort, schreibt Nardelli, »ging sein Leben in Düsternis zu Ende«.

      Was versteht der kleine Luigi von den Worten der Mutter, als sie ihm die Geschichte seiner Geburt und seiner ersten Annäherung ans Leben erzählt?

      Er versteht, daß er ein Siebenmonatskind war, geboren vor seiner Zeit, weil der Vater der Mutter entsetzliche Angst eingejagt hatte.

      Er versteht, daß er nicht von seiner Mutter gesäugt werden konnte, weil der Vater ihr noch einmal entsetzliche Angst eingejagt hatte.

      Gewiß hat sich im elementaren Mechanismus des Kopfes des Kleinen ein Prinzip von Ursache und Wirkung herausgebildet: jedesmal, wenn der Vater seiner Mutter eine entsetzliche Angst einjagt, widerfährt auch ihm ein Unglück.

      Ja, denn der Verlust der Muttermilch stellt ganz sicher eine Behinderung dar: »Großgezogen wird man nicht vom Vater / sondern durch die Brust der Mutter«, sagt ein sizilianisches Sprichwort.

      Und er fragt sich möglicherweise, ob die Tatsache, daß der Vater ihn daran gehindert hat, mit dieser Milch groß zu werden, nicht ein Versuch war, ihm, Luigi, eine Familienidentität, eine Zugehörigkeit zu verweigern.

      Und so fängt auch er an, vor dem Vater Angst zu bekommen.

      Er schreibt, daß er als Kind sogar Schwierigkeiten hatte, mit der Mutter zu kommunizieren, obwohl er ein bewegendes Vertrauen in Worte hatte, und bei meinem Vater kam es mir unmöglich vor, doch nicht etwa, während ich mich darauf vorbereitete, sondern im Augenblick des Sich-Beweisens, was meistens furchtbar endete.

      DER VATER, DIE MUTTER

      »Bei den Sizilianern ist das Zusammengehörigkeitsgefühl der Familie stark ausgeprägt. Der Vater übt die absolute, nicht in Frage stehende Herrschaft über sie aus; die Mutter besorgt das Haus, sie legt darin größtes Interesse an den Tag und gebietet über die Kinder, gewissermaßen stellvertretend für den Gatten, dem sie gehorcht und den sie liebt, auch wenn er es nicht verdient hat. An seiner Statt flößt sie den Kindern Liebe und Verehrung für ihn ein, nicht nur, weil er der Vater ist, sondern auch die Stütze des Hauses: ›Ein Haus ohne Mütze / ist schon bald ohne Stütze‹.« So schreibt Giuseppe Pitrè.

      Ein Haus, in dem der Mann nicht herrscht (und der Mann wird hier durch die Mütze, das heißt die sizilianische Schiebermütze symbolisiert), kann nur zusammenbrechen.

      Noch 1945 hat Sebastiano Aglianò in einer glänzenden Arbeit über Sizilien geschrieben, daß »das Zusammenspiel in der Familie zwar instinktmäßig entsteht, doch nur selten von gegenseitigem Vertrauen, von Freundschaft zwischen den Ehegatten gestützt wird, was die Blutsbindung betonen könnte.«

      Die Schiebermütze des Vaters von unserem kleinen Luigi ist im Haus immer gegenwärtig, und wohl erst recht dann, wenn er physisch nicht anwesend ist. Wie gesagt, Don Stefano ist selten oder nie zu Hause, er ist wegen seiner Handelsgeschäfte ständig in Sizilien unterwegs. Wenn er in den Heimatort zurückkehrt, zieht er es vor, seine freien Augenblicke außerhalb des Hauses mit Freunden zu verbringen. So ist es Brauch.

      Die Gesellschaft des Mannes sind andere Männer, die der Frauen andere Frauen. Und so bemerkt Aglianò, daß »die Freunde des Ehegatten auch aufrichtige, herzliche Freunde der Gattin werden, ist äußerst selten«.

      Don Stefano gibt kein Blut weiter, das immer schon Inselblut gewesen wäre. In gewisser Weise ist er nur ein halber Sizilianer, aber diese Hälfte genügt, um aus ihm einen hundertfünfzigprozentigen Sizilianer zu machen.

      Die Pirandellos war Ligurer, die im 18. Jahrhundert nach Sizilien gekommen waren und sich durch geschickten, umsichtigen Handel schon bald ein Vermögen erworben hatten.

      Don Stefanos Vater Andrea war mit sechsundvierzig Jahren während einer Choleraepidemie gestorben. Er hatte Zeit, mit seiner sizilianischen Frau ganze vierundzwanzig Kinder zu zeugen, deren Zahl wohl noch gewachsen wäre, wenn der Tod die Fließbandproduktion nicht unterbrochen hätte.

      Stefano war das achtzehnte Kind.

      Als Andrea sich mit der Krankheit angesteckt hatte, wurde er im Haus des Erstgeborenen aufgenommen, der Felice hieß. Dem wurde sehr früh klar, daß sein Vater nicht überleben würde. In dem Maß, in dem die Kräfte des Vaters allmählich schwanden, rieben sich in seinem Kopf die Probleme, die mit der Erbschaft im Zusammenhang standen. Sie waren zwar reich, das schon, doch ein Erbe, das durch vierundzwanzig (einschließlich der Mutter) geteilt werden mußte, bedeutete Armut für alle.

      Und so hatte er einen genialen Einfall.

      Als der Vater gestorben war, machte er keinem Mitteilung davon. Statt dessen lief er von einem Rechtsanwalt zum anderen, von einer Notarskanzlei zur nächsten, um dafür zu sorgen, daß er den besten Teil überschrieben bekam. Ergebnis: vier Tage nach dem Tod (die Leiche befand sich immer noch in seinem Haus) erfuhren Andreas Frau und die anderen dreiundzwanzig Kinder auf einen Schlag zwei Dinge: das erste war, daß der Gatte der einen und der Vater der anderen in ein glücklicheres Leben eingegangen war, und das zweite, daß er ihnen keinen Cent hinterlassen hatte, alles war an Felice gegangen.

      Stefano mußte sich also alleine durchkämpfen, und es gab Augenblicke von großem Reichtum und von wirtschaftlichen Engpässen. Ausgestattet mit starkem Temperament, mit Abenteuersinn, versehen mit körperlichem Mut, oftmals hart und voller Verachtung, hatte er in seinem Leben sieben Auseinandersetzungen mit der Schußwaffe und ein halbes Dutzend Duelle bestanden.

      Gleich nach Garibaldis Ankunft auf Sizilien meldete er sich bei den garibaldinischen Freiwilligenverbänden. Er machte alle Schlachten mit, angefangen mit der an der Admiralsbrücke in Palermo und alle weiteren, und hatte sich, fünfundzwanzigjährig, bereits den Ruhm eines Helden erworben. In der Via Papireto in Palermo befand er sich völlig alleine und schutzlos im Kugelhagel der bourbonischen Füsiliere. Er bewegte sich nicht, er suchte keinen Schutz: unerschrocken schoß er zurück. Garibaldi wurde auf den mutigen jungen Mann aufmerksam, der sich in diesem irrwitzigen Scharmützel engagiert hatte, lief ihm selbst zu Hilfe und brachte ihn in Sicherheit.

      Nach dieser Begebenheit trat Stefano den garibaldinischen Truppen dauerhaft bei und folgte dem General bis zur Schlacht bei Volturno. Zwei Jahre später war er am Aspromonte erneut an dessen Seite, wollte sich aber nicht gefangennehmen

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