Zurück auf Gestern. Katrin Lankers
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Zurück auf Gestern - Katrin Lankers страница 18
»Trotzdem.« Sylvia wiegte den Kopf hin und her. »Du hast es bis in die Finalrunde geschafft. Darauf solltest du dich bestmöglich vorbereiten, oder nicht?«
»Ja, natürlich, Mama.« Sophie schob die Melonenstücke auf ihrem Teller hin und her.
Ich rollte mit den Augen. Der Mathematikwettbewerb war aktuell Sylvias Lieblingsthema. Frau Dr. No hatte Sophie angemeldet. Und nachdem meine Stiefschwester sich durch die ersten beiden Runden gerechnet hatte, würde sie nun gegen die größten Nerds des ganzen Landes antreten.
Der Wettbewerb fand im Rahmen des Jahrestreffens der Deutschen Mathematischen Gesellschaft statt, das in diesem Jahr in unserer Stadt abgehalten wurde. Eine Veranstaltung, die im Normalfall komplett an mir vorbeigegangen wäre.
Doch Frau Dr. No war irgendwie an der Organisation des Treffens beteiligt. Deshalb hatte sie in unserer Klasse gefragt, wer sich mit einem Job an der Garderobe oder im Service ein bisschen Geld dazuverdienen wollte. Lulu fand, das wäre eine gute Gelegenheit, um unser Erspartes aufzubessern, und hatte mich schließlich dazu überredet. Auch wenn ich mit meinem Taschengeld eigentlich auskam – im Gegensatz zu Lulu, die wegen ihrer Shoppingsucht ständig knapp bei Kasse war –, wollte ich ihr den Gefallen nicht abschlagen.
»Ich kann trotzdem für das Kolloquium üben«, versuchte Sophie, ihre Mutter zu überzeugen. »Auf den Bandauftritt muss ich mich ja nicht vorbereiten.«
»Nun lass ihr doch den Spaß, Sylvieschatz«, ergriff mein Vater für Sophie Partei.
»Dass du sie unterstützt, war ja klar«, entgegnete Sylvia bissig. »Du weißt eben nicht, was es bedeutet, wenn das eigene Kind hochbegabt ist. Das ist eine große Verantwortung.«
»Natürlich.« Wieder zwinkerte mein Vater mir zu. Mein Paps hatte in der Schule eine Ehrenrunde gedreht – aus purer Faulheit, wie er betonte.
»Was ist eigentlich mit dem Anhänger passiert?«, fragte Sophie plötzlich. Vermutlich wollte sie vom Thema ablenken. Mit spitzem Finger deutete sie erst auf meine und dann auf Lulus Brust. »Habt ihr ihn etwa schon kaputt gemacht?«
Ich wollte protestieren, doch ich hatte den ganzen Mund voller Schokobrötchen. Ich schluckte eilig, um zu widersprechen, aber natürlich verirrte sich ein Krümel in meine Luftröhre und statt einer schlagfertigen Antwort kam nur ein ersticktes Röcheln heraus, gefolgt von einem keuchenden Husten.
»Blödsinn«, mischte Lulu sich schnell ein, als sie meine Notlage erkannte, und hämmerte mir unsanft auf den Rücken. Mein Vater hielt mir ein Glas Wasser hin.
»Ich habe mich nur gefragt, ob Claire vorsichtig genug mit einem so wertvollen Familienerbstück umgeht«, hörte ich Sophie zwischen zwei Hustenanfällen. »Und weil ich die Verantwortungsbewusstere bin, dachte ich …«
Ich hatte es geahnt! Das war ihre Rache für die Törtchenattacke, noch viel hinterhältiger und gemeiner, als ich es erwartet hatte.
»Du … bist …«, presste ich hervor. Aber die Worte »hinterhältig« und »gemein« gingen in einem erneuten Hustenanfall unter.
»Stimmt das?« Mein Vater maß mich mit einem intensiven Blick. »Habt ihr den Anhänger wirklich zerbrochen?«
Wieder schluckte ich. Und dieses Mal hörte das Husten zum Glück endlich auf.
»Natürlich nicht«, erklärte ich so überzeugend wie möglich.
»Es waren von Anfang an zwei Hälften«, sprang Lulu mir bei. »Sie waren nur …«
» … ineinander verhakt«, vollendete ich schnell den Satz, bevor Lulu von Magnetismus und Magie anfangen konnte.
»So, so.« Mein Vater legte den Kopf schräg und blickte von mir zu Lulu und wieder zu mir zurück.
»Wirklich«, betonten wir einstimmig.
»Ich habe dir gleich gesagt, dass so ein altes Familienerbstück nicht in die Hände einer unreifen Fünfzehnjährigen gehört«, mischte sich nun zu allem Überfluss auch noch meine Stiefmutter ein. Ich konnte mir gut vorstellen, dass sie fand, dass solch ein Familienerbstück ausschließlich in ihre eigenen Hände gehörte.
»Ja, das hast du.« Mein Vater tätschelte ihren Arm. »Und ich weiß deine Besorgnis zu schätzen. Doch wie ich dir bereits erklärt habe, ist das nicht meine Entscheidung.«
Sylvia verzog den Mund zu einem schmalen Strich. Offenbar hatte es bereits eine Diskussion über den Anhänger gegeben. Vermutlich hatte sie versucht, Paps zu überreden, das Schmuckstück lieber Sophie statt mir zu schenken.
»Mama hat in ihrem Testament eindeutig festgelegt, dass Claire diesen Anhänger bekommen soll. Und nicht Sophie.« Paps warf meiner Stiefschwester ein entschuldigendes Lächeln zu. »Übrigens«, fuhr er an mich gewandt fort, »ich habe den Brief deiner Großmutter in meinen Unterlagen gefunden.«
Er schob seinen Stuhl zurück, stand auf und verließ das Zimmer. Die zähe Stille, die sich daraufhin über den Tisch senkte, hätte man mit dem Buttermesser schneiden können. Die Blicke, die mich von allen Seiten trafen, waren dafür umso aussagekräftiger. Zum Glück kam mein Vater schnell zurück.
»Hier.« Er überreichte mir einen wattierten Umschlag, auf dem in der gestochenen Handschrift meiner Großmutter mein Name stand. Ich schluckte erneut.
»Danke.« Kaum hielt ich den Umschlag in Händen, hatte ich nur noch einen Wunsch: Ich wollte so schnell wie möglich einen Blick hineinwerfen.
»Ich hab keinen Hunger mehr«, erklärte ich deshalb und schob den Teller mit der zweiten, unangetasteten Brötchenhälfte von mir weg.
»Das ist ja mal was ganz Neues«, raunte Sophie, aber ich ignorierte sie einfach.
»Ist es okay, wenn ich aufstehe?«, fragte ich. Und noch bevor mein Vater nickte, stand Lulu ebenfalls schnell auf.
»Ich bin auch fertig.« Sie deutete auf ihren unbenutzten Teller. »Wie man sieht.«
Im Nullkommanichts rannten wir die Treppe hinauf und warfen uns wieder auf mein Bett.
»Das ist so wahnsinnig aufregend«, sagte Lulu gespannt. »Los, mach schon auf!«
Doch nun zögerte ich plötzlich. Für mich war es nicht einfach nur aufregend. Für mich war dieser Brief das letzte Vermächtnis meiner Großmutter.
»Sie hat gewollt, dass du ihn öffnest.« Lulu spürte meine Stimmung, legte mir den Arm um die Schulter und drückte mich fest an sich.
Ich wog den Umschlag in der Hand und roch daran. Ich war mir nicht sicher, ob ich tatsächlich einen Hauch von Omilis Parfüm wahrnahm oder ob ich mir das nur einbildete. Ich presste den Brief gegen mein Herz und atmete tief durch.
»Willst du ihn nicht lesen?«, fragte Lulu vorsichtig.
»Doch.« Natürlich wollte ich ihn lesen. Aber gleichzeitig wollte ich den Moment noch ein kleines bisschen hinauszögern.
Lulu drückte mich erneut an sich, und ich spürte ihre Ungeduld,