Engadiner Abgründe. Gian Maria Calonder
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Читать онлайн книгу Engadiner Abgründe - Gian Maria Calonder страница 6
Rainer Pinggera rief von drinnen: »Rudi, bring mal meine Brille.«
»Deine Brille? Seit wann benutzt du denn die?«
»Die Klobrille natürlich, wovon reden wir die ganze Zeit?«
Capaul schlug vor: »Wenn Sie mir eine Glühbirne geben, schraube ich sie inzwischen ein.«
»Steigen Sie da bloß nicht hoch, das Brett ist nämlich lose«, sagte Rudi und ließ ihn stehen. Während er im Stall die Brille holte, sah Capaul sich all das Schnitzwerk im Treppenhaus an, eine Uhr, einen Schrank, zwei Truhen. Den Schrank öffnete er einen Spalt weit, in ihm stapelten sich, aufs Akkurateste gefaltet, Putz-, Geschirr- und Leintücher.
Dann kam Rudi wieder, sie gingen zurück in die Stube, und der Alte fragte: »Rudi, sieh nach, ob er etwas eingesteckt hat. Ich habe gehört, wie er herumgeschnüffelt hat.«
»Erklär mir lieber, wie du das hier flicken wolltest, Onkel.« Er drückte ihm mehrere Holzteile in die Hand.
»Ui, ui, ui«, sagte der Alte und breitete sie auf dem Tisch aus, um sie genauer zu betrachten. »Als ich sie in den Stall genommen habe, hatte sie nur einen Riss. Ich habe sie wohl fallen lassen.«
»Ja, so sah es aus, die Teile lagen auf dem Boden verstreut.«
Der Alte seufzte, dann sah er sich nach Capaul um.
»Glauben Sie, die Versicherung könnte mir eine neue Brille bezahlen? Wobei ich gar nicht wüsste, wo man so was noch bekommt. Das ist beste Handarbeit. Rudi, die hat dein Großvater geschnitzt.«
Rudi zwinkerte Capaul zu. »Bestimmt bezahlt die Versicherung das. Und ich kenne im Münstertal einen guten Antikschreiner. Aber dann musst du Herrn Capaul auch endlich erzählen, was passiert ist. Oder was passiert sein könnte. Also, du wolltest die Brille leimen und bist dafür in den Stall gegangen …«
»Leimen? Du hast keine Ahnung! Damit das hält, muss man so was schrauben oder zapfen, und danach muss man lackieren, schleifen, wieder lackieren. Sonst bleibt womöglich ein Spalt, in dem man sich was einklemmt. Hast du dich mal am Reißverschluss eingeklemmt? Dann weißt du, wovon ich rede.«
»Onkelchen, ich habe noch anderes zu tun. Sagen wir, du wolltest sie flicken, dazu hast du Licht gebraucht. Du wolltest die Lampe einstecken, obwohl du dort keine hast, ich weiß, aber du hast eben gedacht, du hättest eine, und stattdessen hast du das Öfelchen eingesteckt. Könnte es so gewesen sein?«
»Nein, wie soll das gehen?«, rief der Alte. »Ich stecke das Öfelchen ein, und der Stall steht in Flammen? So ein Öfelchen ist doch kein Bunsenbrenner. Du bist ein miserabler Lügner.«
»Wie war es denn wirklich, Herr Pinggera?«, fragte Capaul, während er eine Kuckucksuhr an der Wand betrachtete.
»Wie es war? Es hat gebrannt, als ich kam. Das Öfelchen hat ganz normal geblasen, und davor hat es gebrannt.«
»Die Zeitungen und der Farbverdünner?«
»Wieso?«
»Da gibt es kein Wieso«, schaltete sich Rudi ungeduldig ein. »Du hattest dort nun mal Zeitungen und offenbar Verdünner liegen, die Polizei erfindet so was nicht.«
»Nein, ich habe dort keine Zeitungen. Die Zeitungen sind im Schuppen, nicht im Stall, das weißt du doch, du trägst sie mir immer raus.«
»Da waren Zeitungen, Verdünner oder Pinselreiniger und Skiwachs«, versicherte Capaul. »Brandverursacher war das Skiwachs.«
Der Alte wurde still.
»Was ist, Onkelchen?«
»Nichts. Ich glaube, ich kann auch ohne das Öfelchen.«
»Sie wollen den Schaden gar nicht melden?«
»Nein.«
»Keinen Rapport?«
»Ich sage doch: Nein.«
»Onkelchen, natürlich braucht es einen Rapport. Was, wenn das Feuer noch irgendwo glimmt? Oder wenn du einen gesundheitlichen Schaden davonträgst?«
»Mir geht es gut«, versicherte Rainer Pinggera eigenartig bedrückt und stemmte sich hoch. »Ich muss jetzt nur zu Bett.«
»Meinetwegen, vergiss nur nicht zu trinken«, sagte Rudi und ging zu den Schuhen. »Morgen früh kommt übrigens die Spitex. Danach, dachte ich, machen wir ein Fährtchen hoch zur Padellahütte. Dort ist Kehrausparty, sie machen winterdicht. So was gefällt dir doch.«
»Du und ich allein? Bring Annamaria mit.«
»Wie du willst. Bist du sicher, dass es dir gut geht?«
»Doch, doch. Hast du die Glühbirne gewechselt?«
»Ich muss erst eine besorgen, ich komme nachher noch mal her.«
»Lass, das hat Zeit bis morgen. Ohne Brille kann ich sowieso nicht. Ich gehe hoch.«
Rudi wandte sich zu Capaul: »Das Bad, das zur Wohnung gehört, ist nicht gerade modern, aber es hat immerhin eine Toilette mit Spülung. Und die Mieter sind verreist.«
»Woher weißt du das schon wieder?«, fragte der Alte.
»Von dir, du Giftzwerg. Ach, Onkelchen, das heute war wohl alles etwas viel für dich. Schlaf dich aus, morgen sieht die Welt ganz anders aus.«
Er wollte ihn umarmen, aber der Alte ging schon zur Tür und hielt sie auf. »Vergiss nicht, diesen Polizisten mitzunehmen«, sagte er zum Abschied.
III
Als Capaul diesmal aufs Revier zurückkehrte, ging der Summer schon, bevor er überhaupt die Klingel gedrückt hatte. Inzwischen hielt Jon Luca die Stellung, er tippte mit zwei Fingern auf der Tastatur und fluchte auf Romanisch. Capaul sah jetzt auch den Bildschirm, auf dem man den Eingang sehen konnte.
»Woher wusstest du, wer ich bin?«, fragte er.
»Aus deiner Akte natürlich«, sagte Jon Luca, ohne aufzusehen. »Außerdem hat längst die Runde gemacht, dass du ein Hübscher sein sollst.«
Capaul hörte darüber hinweg. Er beugte sich über den Tresen und legte Linard den Ausweis ins Fach, dann fragte er: »Ich sollte den Brand in Zuoz rapportieren, aber das Opfer will gar keinen Rapport. Was tue ich jetzt?«
»Schreib einen internen Bericht, drei Sätze, dann geh und trink ein Bier darauf, so leicht machen sie es dir selten. Sieh mich an, ich bin fast den ganzen Tag einer Anzeige wegen unerlaubten Plakatierens nachgerannt. Du glaubst nicht, was ich angeschnauzt wurde. Und der ganze Mist gehört jetzt auch noch ins Protokoll.«
»Ich schreibe ja eigentlich gern.«
»Dann bist du hier definitiv richtig. Aber ich dachte, du fängst erst