Pferdesommer mit Lara. Ursula Isbel-Dotzler

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Pferdesommer mit Lara - Ursula Isbel-Dotzler

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konnte.

      Ich sagte kein Wort, gab mir Mühe, durch ihn hindurchzusehen, und ging an ihm und dem Labrador vorbei, zwängte mich durch die Sträucher und war wie erlöst, als ich den alten Gartenpfad erreichte, der unter Efeu und Unkraut fast verschwunden war.

      Er versuchte nicht, mir zu folgen. Auch der Hund lief nicht hinter mir her. Als ich wusste, dass er mich nicht mehr sehen konnte, ging ich schneller und lief dann bis zum Mauerdurchschlupf.

      Zu Hause schaute ich als Erstes in den Flurspiegel. Ich sah verboten aus. Mein Gesicht war rot wie eine Tomate, meine Haare struppig und zerrauft. Meine Arme und Beine waren total zerkratzt und wirkten noch dünner als sonst. Blut tropfte von meinem rechten Knie.

      Erst als ich mir das Gesicht wusch, merkte ich, dass ich einen Ohrring verloren hatte.

      Eigentlich waren es Ronjas Ohrringe. Sie hatte sie zum dreizehnten Geburtstag bekommen und nur einmal getragen. Und weil sie fand, dass sie mir besser standen als ihr, hatte sie sie mir geschenkt. Dafür hatte ich ihr den schwarzen Rucksack gegeben, der ihr so gefiel. Wir hatten das öfter gemacht, Geschenke ausgetauscht.

      Die Ohrringe waren neben meinem alten Bären, einer Spieldose und ein paar Zeichnungen von Ronja das Liebste, was ich hatte. Jetzt war mir nur noch einer geblieben – eine Hälfte von etwas, was zusammengehörte. Irgendwie passte das verdammt gut zu allem anderen.

      Ich hielt den Ohrring in der Handfläche und sah auf ihn nieder. Es war ein Hängeohrring mit einem kleinen, tropfenförmigen Opal, einem Stein wie milchiges Glas, der seine Farbe mit dem Licht veränderte. Jetzt schimmerte er bläulich.

      Ich dachte, dass ich den zweiten bestimmt nie wiederfinden würde. Wahrscheinlich hatte ich ihn irgendwo im Garten von Eulenbrook verloren, und was in dieser Wildnis versank, war wohl für alle Zeiten verschwunden.

      Dann legte ich mich ins Bett und vergrub mich in den Decken. Der verlorene Ohrring ging mir nicht aus dem Sinn, und es ärgerte mich, dass ich mich so dumm benommen hatte. Dieser Typ musste mich für absolut bescheuert halten und sicher auch für potthässlich.

      Irgendwann klopfte meine Mutter an die Tür, schaute herein und fragte, was ich essen wollte.

      »Nichts«, sagte ich. »Ich hab keinen Hunger.«

      Darauf folgte die übliche Predigt. Ich hätte mir am liebsten die Ohren zugehalten.

      »Aber Kind, du musst etwas essen! Du weißt, was Doktor Hoffmann gesagt hat. So geht das einfach nicht weiter, wir machen uns solche Sorgen um dich … Wie wär’s mit einem schönen Zucchini-Nudel-Auflauf? Den hast du doch früher immer so gern gegessen!«

      Allein schon der Gedanke an Zucchini-Nudel-Auflauf verursachte mir Übelkeit. »Nein, echt nicht, danke!«

      »Oder Apfelstrudel?«

      Weil ihre Stimme so flehend klang, und damit ich endlich Ruhe hatte, murmelte ich: »Okay, ist gut, meinetwegen.«

      »Na siehst du. Bist du müde?«

      »Ich möchte allein sein.«

      Ich hörte sie leise seufzen. Dann schloss sie die Tür, vorsichtig, als läge ich in einem Krankenzimmer.

      Nachts träumte ich von Ronja und dem Ohrring. Es war einer der seltsamsten Träume, die ich je hatte. Im steinernen Becken von Eulenbrook saß Ronja zwischen Fischen und Molchen und Seerosen im Wasser. Ihr Kopf war unter Wasser, und ihre langen dunklen Haare fluteten um sie herum wie auf einem Bild von Ophelia, das ich einmal in einem Kalender gesehen hatte.

      Sie saß da und hielt den Ohrring mit dem Opal in ihrer Handfläche. Als ich mich über den Rand des Beckens beugte, sah sie zu mir auf, lächelte und zwinkerte mir zu. Ihre Lippen formten ein Wort. Obwohl ich keinen Laut hören konnte, war es doch, als würde ein Gedanke von ihr zu mir überspringen. Das Wort hieß: Komm!

      Ich lehnte mich über den Beckenrand, so weit ich konnte, streckte die Hand aus und versuchte, sie zu berühren, aber es gelang mir nicht.

      »Hilf mir!«, sagte ich. »Gib mir die Hand, ich ziehe dich hoch!«

      Sie lächelte noch immer und hob ihre freie Hand. Unsere Finger verschränkten sich ineinander. Ich versuchte zu ziehen, aber Ronja war stärker als ich. Sie zog und zog, und ich musste mich am Beckenrand festklammern und die Knie mit aller Kraft gegen die Mauer stemmen, um nicht kopfüber ins Wasser zu fallen.

      Dann, als ich merkte, wie meine Kraft nachließ und wie ich den Halt verlor, stieß ich einen Schrei aus und wachte auf.

      Um mich her war es stockdunkel und stickig wie in einer Gruft. Meine Knie schmerzten. Eine Weile lag ich wie betäubt da und wartete, bis sich das Hämmern meines Herzens beruhigte.

      Im Traum hatte ich Ronja so deutlich gesehen, dass mich jetzt die Sehnsucht nach ihr mit der gleichen Stärke überfiel wie in den ersten Wochen und Monaten nach ihrem Tod. Zugleich spürte ich wieder diese verzweifelte Ungläubigkeit und wilde Auflehnung, dass es nicht sein konnte – nicht gerade Ronja, die so voller Lebenslust gewesen war, viel lebendiger, übermütiger und fantasievoller als ich und alle anderen Menschen, die ich kannte.

      Schließlich stand ich auf und öffnete das Fenster, das der Wind zugedrückt hatte. Die Nacht war samtschwarz, ich sah weder Mond noch Sterne. In der Ferne rief eine Eule, vielleicht im Garten von Eulenbrook. Jahre hindurch hatte ein Eulenpaar zwischen den Dachbalken des alten Gutshauses genistet; sie waren durch eines der zerbrochenen Dachfenster aus und ein geflogen. Einmal, im Spätfrühling, hatten wir ihre Jungen gesehen, drei putzige, rührende Gestalten mit uralten Gesichtern, die auf der Dachrinne aufgereiht saßen und ihre Köpfe fast um hundertachtzig Grad drehen konnten.

      Ronja hatte sie »die drei Gummihälse« genannt und eine Zeichnung von ihnen gemacht. Wenige Wochen später fanden wir ein Eulenjunges tot hinter dem Schuppen und begruben es im Garten unter einem Rosenbusch.

      Ich kroch ins Bett zurück. Die Leuchtziffern der Uhr zeigten auf drei. Natürlich konnte ich nicht mehr einschlafen.

      Als der Morgen endlich dämmerte, fasste ich den Entschluss, noch einmal – ein letztes Mal – nach Eulenbrook zu gehen und den Ohrring mit dem Opal zu suchen.

      4

      Eulenbrook lag außerhalb unseres Städtchens. Von der Landstraße aus konnte man es nicht sehen, denn ein Erlengehölz verdeckte den Blick auf die Gartenmauern und das graue Dach mit den drei Kaminen.

      Während des Zweiten Weltkriegs, hatte mein Großvater erzählt, waren plündernde Soldaten daran vorbeigezogen und hatten den Gutshof einfach übersehen, obwohl sie sonst jedes Haus nach Nahrungsmitteln und Wertgegenständen durchsucht hatten.

      Ich überquerte den Bach auf der kleinen Brücke und radelte durch das Wäldchen, in dem Wildtauben gurrten. Was sollte ich machen, wenn sie wieder da waren? Um festzustellen, ob ihr Wagen in der Auffahrt stand, musste ich bis fast zum Haus gehen. Doch wenn Bonnie, der Hund, mich hörte oder witterte, konnte es passieren, dass alles so ähnlich ablief wie gestern. Ich wollte dem Jungen auf keinen Fall ein zweites Mal begegnen.

      Während ich durch das Loch in der Gartenmauer schlüpfte, lauschte ich angestrengt, bereit, beim geringsten ungewohnten Geräusch umzukehren und mich aufs Fahrrad zu schwingen.

      In einem Punkt war ich ihnen jedenfalls überlegen: Ich kannte mich hier aus, kannte jedes Versteck, jeden

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