Pferdesommer mit Lara. Ursula Isbel-Dotzler
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Das Gerumpel wurde von Minute zu Minute dramatischer. Einen Moment lang schoss mir der Gedanke durch den Kopf, das Pferd könnte plötzlich in Panik geraten und durchgehen. Womöglich hatte der Junge es irgendwann nicht mehr im Griff und es stürmte los und überrannte mich.
Rasch sah ich mich um und merkte, dass Pferd und Reiter näher kamen und mich einholten. Der Junge hielt die Stute am kurzen Zügel. Jetzt ritten sie neben mir, in einigem Abstand, aber auf gleicher Höhe. Zwischen uns lief Bonnie.
Noch immer kam kein einziger Tropfen vom Himmel, der wie ein schwerer dunkler Baldachin über uns hing. Ein unheimliches Pfeifen und Sausen ging durch die Luft. Es klang, als wäre ein Heer wilder Geister unterwegs.
Der Pfad durchs Moor war zum Glück trocken, sonst wäre ich sicher mit dem Rad stecken geblieben. Büsche, Bäume und die hohen Sumpfgräser bogen sich in irrem Tanz. Ein gewaltiger greller Blitz zuckte über den Baumwipfeln des nahen Waldes auf. Ein ohrenbetäubendes Krachen folgte.
Die Stute riss den Kopf hoch, wieherte angstvoll und begann zu steigen. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie der Junge kämpfte, um im Sattel zu bleiben. Für einige Sekunden stand sie auf den Hinterbeinen. Im gespenstisch bläulichen Licht sahen sie wunderbar aus, unwirklich wie in einer Szene aus einem Fantasyfilm – ein Pferd, das einen blonden Ritter auf seinem Rücken in die Schlacht trägt.
Das schrille Gewieher ging im Krachen des Donners unter. Ich radelte jetzt wie ein Weltmeister über holpriges Gelände, Zweige und Steine zwischen den Birkenstämmen durch. Schon prasselten die ersten schweren Tropfen wie Wurfgeschosse auf mich nieder.
Im Schutz des Birkenwäldchens stand der alte Holzschuppen, kaum mehr als eine krumme Bretterbude, mit grauen Schindeln bedeckt. Eine Hälfte des Tores hing schief in den Angeln. Ich bremste scharf, ließ das Fahrrad fallen und war mit ein paar Sätzen im Innern der Hütte. Bonnie war an meiner Seite, raste um mich herum und schüttelte sich heftig.
Im nächsten Moment führte der Junge die Stute herein.
»Das war knapp!«, sagte er.
Sein Gesicht glänzte vor Nässe, seine Haare klebten an der Stirn und den Schläfen. Er knotete die Zügel seines Pferdes zusammen, lockerte den Sattelgurt und klopfte Fees Hals, um sie zu beruhigen. Die Stute schnaubte und wich zur Bretterwand zurück. Ich konnte das Weiße in ihren Augen sehen.
Ein weiterer Donnerschlag erschütterte die Hütte. Gleichzeitig tauchte ein Blitz sekundenlang alles wie in Scheinwerferlicht. Der Junge hatte einen Arm um den Hals seiner Stute gelegt und redete leise auf sie ein. Bonnie drängte sich zitternd an meine Beine.
»Das klang, als hätte es ganz in der Nähe eingeschlagen«, sagte ich.
»Ja, wir haben echt Glück gehabt. Ich hätte gar nicht erst losreiten sollen, aber ich dachte, die Wolken verziehen sich wieder.«
Seine Augen funkelten, als wäre das Unwetter ein Abenteuer für ihn. Ein Rauschen wie von starker Brandung ließ uns aufsehen. Der Regen kam in wahren Sturzbächen vom Himmel, der Wind trieb Gischtwolken durch die Öffnung zwischen den Torflügeln und die Ritzen zwischen den Brettern.
Wir suchten in der hintersten Ecke der Hütte Schutz, wo ein Holzstapel und Reste von altem Heu lagen. Draußen waren die Regenfluten so gewaltig, dass sie wie eine undurchdringliche weiße Wand wirkten. Es war, als wären wir in einer Luftblase unter Wasser. Rinnsale und kleine Bäche fluteten über den festgestampften Boden.
Doch die Gewalt des Unwetters war gebrochen. Das Donnergrollen wurde schwächer und ferner und ging im Rauschen des Regens unter. Die Stute senkte jetzt den Kopf und schien sich zu entspannen, während Bonnie sich seufzend ins Heu legte.
»Wir sind noch mal davongekommen.« Der Junge lachte leise. »Ich stell’s mir nicht gerade angenehm vor, vom Blitz erschlagen zu werden.«
Darauf fiel mir keine Antwort ein. Eine Weile schwiegen wir und schauten auf den Regen, der hinter dem Spalt zwischen den Torflügeln mit unverminderter Heftigkeit vom Himmel strömte.
»Bist du immer so schweigsam oder hat es was mit mir zu tun?«
Sicher hielt er mich auch für eine Trantüte. Ich hatte geglaubt, es wäre mir egal, dass jeder mich so einschätzte, aber bei ihm machte es mir etwas aus.
»Ich rede nur, wenn ich was zu sagen habe.« Das klang, als wollte ich mich verteidigen.
»Kein schlechter Grundsatz. Ich dachte nur, du hast was gegen mich persönlich. Und ich bin ziemlich sicher, dass es mit Eulenbrook zu tun hat. Für dich sind wir Eindringlinge oder liege ich da falsch?«
Ich erwiderte nichts. Wie hätte ich es ihm auch erklären sollen? Er sah mich kurz an, wandte dann den Blick von mir ab und sah zu Boden. Das Regenwasser war jetzt bei uns angelangt und lief mir in die Sandalen.
»Tut mir leid«, murmelte er, und ich wusste, dass er nicht meine nassen Füße meinte.
»Ihr könnt nichts dafür.« Ich wunderte mich selbst, dass ich das sagen konnte, aber es stimmte. Die Stute hatte den Kopf vorgestreckt und schnupperte an meinem Hals. Ihre Nüstern waren wunderbar weich und ihr warmer Atem hatte etwas Tröstliches.
Unwillkürlich hob ich die Hand und strich mit den Fingerspitzen über ihren Nasenrücken. Er fühlte sich wie warmer Samt an. Plötzlich, ich hatte keine Ahnung weshalb, spürte ich, dass mir Tränen in die Augen stiegen. Ich wandte mich ab, doch nicht rasch genug. Der Junge hatte es schon bemerkt.
»Du liebst Tiere«, sagte er. Seine Stimme klang sanft.
So unvermittelt, wie die Regenflut eingesetzt hatte, endete sie auch. Die weiße Wand wurde durchsichtig, das Rauschen ließ nach. Es nieselte nur noch und alles war in blendende Helligkeit getaucht. Die Regentropfen blitzten wie Perlenschnüre im Licht. Wir hätten wieder gehen können. Trotzdem standen wir noch immer in der Hütte, mitten in einer großen Pfütze.
»Übrigens, ich heiße Arne.«
»Und ich Rikke.«
»Ein schöner Name; hat es was mit einem Reh zu tun?«
»Nein«, sagte ich. »Rikke mit zwei ›K‹.«
»Trotzdem – er passt zu dir. Ist dir schon mal aufgefallen, dass es Menschen gibt, die einem bestimmten Tier ähnlich sehen? Du hast etwas von einem Reh, besonders deine Augen.«
Das war das Beste, was ich seit Langem über mein Äußeres gehört hatte. Es war ein echtes Kontrastprogramm zu all den besorgten oder hämischen Bemerkungen über meine dünnen Arme und Beine und mein mageres Gesicht, an die ich mich fast schon gewöhnt hatte.
Jetzt waren wir beide verlegen. Arne griff in seine Jeanstasche, zog ein zusammengefaltetes Papiertaschentuch heraus und gab es mir.
Ich öffnete den kleinen Beutel aus Zellstoff. Dazwischen lag Ronjas Ohrring. Der Opal schimmerte geheimnisvoll im Licht.
»Es ist fast ein Wunder, dass du ihn gefunden hast«, sagte ich leise.
»Oder vielleicht ein Zeichen.«
Ja, dachte ich, aber wofür? Mit Bonnie und Fee verließen wir die