Pferdesommer mit Lara. Ursula Isbel-Dotzler

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Pferdesommer mit Lara - Ursula Isbel-Dotzler

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schleuderte sie in die Luft, fing sie wieder auf und schüttelte sie wie einen toten Fisch.

      »Bonnie ist so glücklich hier«, sagte der Junge unerwartet. »Wir haben bis jetzt in einer Großstadt gelebt.«

      »Mit drei Pferden?«

      Er fragte nicht, woher ich wusste, dass sie drei Pferde hatten. »Sie waren in einem Reitstall untergestellt. Aber irgendwie haben sie mir immer leidgetan. Tiere gehören in die Natur.«

      »Wir Menschen auch«, erwiderte ich unwillkürlich.

      Er musterte mich flüchtig. »Ja, auch wenn viele das nicht mehr spüren.«

      Irgendwo im Schilf quakte eine Ente. Dann durchbrachen Stimmen und laute Musik die morgendliche Stille.

      »Ich hab meinen Schnorchel vergessen!«, schrie jemand. Und eine Frauenstimme übertönte das schmalzige Gedudel eines Kassettenrekorders: »Frankie, hast du den Picknickkorb mit den Spareribs dabei?«

      Der Junge und ich wechselten einen Blick. »Das ist erst der Anfang«, sagte ich.

      »Hoffentlich kommen sie nicht hierher und machen Zoff, weil Bonnie und Fee im Wasser sind.«

      »Wieso denn?«

      »Es gibt jede Menge Leute, die Tiere für unhygienisch halten und meinen, sie würden das Wasser verunreinigen. Dabei ist es genau umgekehrt. Wir Menschen sind’s doch, die die Gewässer verschmutzen.«

      »Dann sag es ihnen, falls sie kommen und motzen.«

      Er seufzte leicht. »Ich hab keinen Bock auf Streit.«

      »Wenn du nichts sagst, tu ich es. Es ist ungerecht, und es schadet den Leuten nicht, wenn sie mal über ihre Dummheit nachdenken. Tiere haben auf unserer Welt sowieso kaum noch Rechte.«

      Wir gingen jetzt nebeneinanderher zu der Stelle, an der die Stute und der Labrador spielten. Bonnie sprang übermütig um das Pferd herum und versuchte, es spielerisch in die Hinterbeine zu zwicken. Die Stute schnaubte und prustete wie ein Wasserspeier.

      Während ich den beiden zusah, fühlte ich mich plötzlich wie verwandelt. Es war, als hätte jemand einen bösen Zauber von mir genommen. Die dumpfe Bedrückung und hoffnungslose Leere, die nun schon so lange auf mir lastete, hob sich wie ein dunkler Vorhang.

      Vielleicht waren es die spielenden Tiere, ihre Freude und Unbeschwertheit, die mir für Augenblicke eine Ahnung davon zurückbrachten, wie ich mich einst gefühlt hatte, als mein Leben noch in Ordnung war. Dass es auch mit Arne zu tun hatte, mit seiner Gegenwart, begriff ich erst viel später.

      6

      Ich erwachte noch früher als sonst. Mein erster Gedanke war, dass ich diese seltsame Verabredung mit dem Jungen aus Eulenbrook hatte, von dem ich bisher nur den Nachnamen wusste.

      Er hatte Ronjas Ohrring gefunden. Das grenzte an ein Wunder, wenn ich mir den dschungelähnlichen Zustand des alten Gartens vorstellte. Vielleicht war es ja ein Zeichen – aber wofür?

      Zum ersten Mal kam mir der Gedanke, dass ich Eulenbrook nicht wirklich verloren hatte, sondern dass sich nur etwas änderte und verwandelte, wenn ich offen dafür war.

      Um halb sechs stand ich auf, duschte und wusch mir die Haare. Meine Haare sind das Schönste an mir, finde ich, von Natur aus gelockt, schulterlang und glänzend wie reife Kastanien. Sie verdeckten meinen schrecklich mageren Hals und die Schlüsselbeine, die so hässlich hervortraten und mich immer an ein Gerippe erinnerten, wenn ich in den Spiegel sah.

      Meine Eltern schliefen noch. Ich ging in die Küche und aß ein Knäckebrot mit etwas Butter, ausnahmsweise ohne Widerwillen. Es schmeckte sogar ganz gut, wenn auch etwas staubig, und hinterließ nicht dieses Gefühl in meinem Magen, als hätte ich einen Ziegelstein geschluckt.

      Dann steckte ich einen Apfel in meinen kleinen Rucksack und radelte los. Noch war alles still; niemand begegnete mir. Ich merkte erst, dass ein Gewitter aufzog, als ich auf den Trampelpfad zum Waldsee abbog. Die Wolkengebirge hatten schwarze, tiefviolette und schwefelgelbe Ränder und in der Ferne sah ich Blitze zucken. Eine wunderliche, spannungsgeladene Stille herrschte. Die Vögel hatten aufgehört zu singen. Der See war dunkel wie ein Tintenklecks und glänzte geheimnisvoll.

      Ich dachte: Er wird nicht kommen. Fast gegen meinen Willen stieg Enttäuschung in mir auf. Doch vielleicht war es ja wegen des Ohrrings, den ich so dringend wiederhaben wollte.

      Sicher war es am besten, wenn ich umkehrte und nach Hause radelte, so schnell ich konnte. Vielleicht schaffte ich es noch vor dem Gewitter. Doch etwas in mir, das stärker war als meine Vorsicht und Vernunft, trieb mich dazu, den Pfad bis zu der Stelle weiterzufahren, wo ich gestern den Jungen, sein Pferd und seinen Hund getroffen hatte.

      Plötzlich fegte eine Windbö über den Wald, fuhr mit scharfem Geraschel durch das Schilf und bog die Halme tief nach unten. Zwei Mücken stachen mich in die Hände, ehe ich es verhindern konnte.

      Das Ufer lag verlassen im bläulich gelben Licht. Sie waren natürlich nicht gekommen. Es war dumm von mir gewesen, weitere fünf Minuten zu verlieren, statt mich sofort auf den Rückweg zu machen.

      Während ich wieder aufs Fahrrad stieg, lauschte ich noch immer und bildete mir ein, Geräusche zu hören, die der Wind mir von irgendwoher Zutrug – ein schwaches Klipp-Klopp und ein kurzes, verwehtes Bellen. Dann erklang Donnergrollen. Es wurde rasch dunkler; Blitze zuckten über den Himmel. Jetzt war es zu spät, um noch rechtzeitig nach Hause zu kommen, das wusste ich.

      Ich stieg vom Rad. Zwischen den Bäumen tauchte Bonnie auf. Sie kam zu mir, sprang an mir hoch und tat, als wäre ich eine lang vermisste Freundin. Ich hielt mit der linken Hand die Lenkstange fest und streichelte sie mit der rechten.

      Eine Windbö wirbelte mir Haarsträhnen ins Gesicht, sodass ich für Sekunden nichts sehen konnte. Doch ich hörte den Hufschlag jetzt ganz deutlich, und als ich mir die Haare zurückstrich, sah ich sie kommen.

      Der Gewitterwind trieb das silbrige Mähnenhaar und den Schweif der Stute fast senkrecht in die Luft, als wäre sie Pegasus, das geflügelte Pferd aus der griechischen Sage. Sie näherte sich im Galopp; ich glaubte zu spüren, wie der weiche Moorboden unter ihren Hufen zitterte.

      Dicht vor mir machten sie halt. Der Junge blieb im Sattel sitzen, beugte sich vor und fragte hastig und atemlos:

      »Weißt du, wo wir uns unterstellen können? Eine Scheune wäre gut. Hier am See ist es zu gefährlich, in der Nähe des Wassers schlägt leicht der Blitz ein.«

      Der alte Heuschober am Rand des Feuchtgebiets fiel mir ein, in dem Ronja und ich vor Jahren eine Marderfamilie entdeckt hatten. Ich nickte und stieg aufs Fahrrad.

      »Reite hinter mir her!«, rief ich über die Schulter. »Vielleicht schaffen wir’s noch rechtzeitig!«

      Der Wind kam jetzt von Westen und war gegen mich. Ich radelte geduckt, mit zusammengekniffenen Augen, weil jede Menge Blätter, Zweige und Rindenstücke durch die Luft wirbelten. Bonnie rannte neben mir her, als wäre alles nur ein wunderbares, aufregendes Spiel.

      Es war ein seltsames Gefühl, die Stute hinter mir zu wissen, ein mächtiges Wesen, dessen Tritte den Boden erschütterten. Jetzt zuckten überall Blitze auf und knallende Schläge folgten. Noch hatte uns das Gewitter nicht erreicht, noch gab es kurze Pausen zwischen den Blitzen und dem Donner.

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